Die Linke hat es nicht leicht. Am liebsten kämpft sie gegen sich selbst. Dabei könnte man sie für den Fortschritt gebrauchen.

Die Linke tut mir mittlerweile leid, denn ständig muss sie – sie muss Visionen haben, ein neues Denken hervorbringen und die falschen Linken der klammheimlichen Komplizenschaft mit den Rechten zeihen. Aber vor allem muss sie sich anscheinend sehr viel mit sich selbst beschäftigen. Erst wenn im eigenen Haus alles geklärt und reiner Tisch gemacht ist, dann, ja, dann wird sie den Rechten wie dem Front National die Arbeiter wieder wegnehmen, und alles wird gut.

Seit seinem Erfolg mit dem Buch Rückkehr nach Reims zieht der französische Soziologe Didier Eribon durch die deutschen Feuilletons und Vortragssäle und beantwortet die Schuldfrage an der allgemeinen Misere. Zuletzt hat er sich in der FAZ als Geisterbeschwörer und an der Wiederbelebung von `68 versucht – ohne zu bemerken, dass diese Art linker Nostalgie vielleicht nicht das Problem der Linken löst. Auf jeden Fall möchte er ein neues Denken entwickeln, das „auf gesellschaftlichen Kämpfen aufbaut“ und auf „vielfältigen und heterogenen Mobilisierungen“. Wer sich jetzt nicht angesprochen fühlt, der hat es eben nicht verstanden.

Ich kann mir kein Urteil über Eribons Fähigkeiten als Soziologe erlauben, aber es hat mich schon gewundert, dass er den Aufstieg des Front National mit der Arbeitslosigkeit und Strukturschwäche in Nordfrankreich, quasi dem französischen Rust Belt, erklärt. Ja, er besteht darauf, dass derjenige, der das nicht sieht wie er, die Realität verweigere. Ich tue es trotzdem und weise darauf hin, dass der FN seit nun schon vielen, vielen Jahren seine Hochburgen in Südfrankreich hat und mittlerweile in alle Bevölkerungsschichten vorgedrungen ist. Auch über andere Widersprüche geht er salopp hinweg und erklärt den komplizierten Rest mit der mehrfachen Verwendung des Begriffs „Neoliberalimus“ oder dem Attribut „neoliberal“. Das war es im Grunde schon mit seiner Analyse.

Die alte Fehde

Schade eigentlich. Denn natürlich gibt es viel zu tun in Sachen Weltverbesserung. Man könnte damit anfangen, die Schulen zu verbessern, die digitale Infrastruktur, die Altenpflege und den sozialen Wohnungsbau; und man könnte selbstverständlich auch – als großes Ziel – die Rumpelstilzchen-Ökonomie des angloamerikanischen Finanzkapitalismus an die Kandare nehmen. Aber das ist natürlich alles viel zu reformerisch, um nicht zu sagen: zu sozialdemokratisch.

Es ist die hundert Jahre alte Fehde („Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“), die immer wieder gegeben wird von Marxisten wie Eribon. Und nachdem man sich am Stalinisten Slavoj Zizek etwas satt gesehen hat, ist nun Didier Eribon der Held der Stunde.

Volksnah am Lagerfeuer

Derweil schicken sich alte weiße heterosexuelle Männer an, die Macht zu ergreifen. Die Herzen der Jugend fliegen ihnen zu. Sie versammeln sich um sie wie um ein Lagerfeuer und lassen sich die alten Geschichten erzählen. Sie versprechen, ihre Länder und den Kontinent umzuformen. Kein Stein soll auf dem anderen bleiben. Diese Männer heißen Grillo, Mélenchon und Coybyn. Alle sind sehr volksnah, ja, so volksnah, dass sie die bürgerlichen Medien verdammen, weil sie die angenehme Nähe zum Volk stören und die gemeinsame Messe nicht verstehen.

Mélenchon hat bei der Jugend eine Zustimmungsrate von über 40 Prozent (LePen fast genau so viel), vielleicht auch, weil er auf verschiedenen Veranstaltungen als sein Big-Brother-Hologramm auftritt und keiner merkt, welches das Original ist. Er hasst die EU, die Nato, Deutschland, den Kapitalismus und die Globalisierung und ist für ein Ende der Gewaltenteilung. Kuba und Venezuela sind seine Vorbilder.

Dann ist da noch ein italienischer Bruder im Geiste: Beppe Grillo. Er hasst die EU, die Nato, Deutschland, den Kapitalismus und die Globalisierung. Er ist wie Melenchon Millionär und hat unbenommen seine Verdienste beim Kampf gegen die korrupte italienische Politikerkaste.

Jeremy Corbyn ist gegen die Nato, steht dafür aber Hamas und Hisbollah nahe und ist mit verantwortlich für den Brexit, weil er in der Europäischen Union nur ein neoliberales Herrschaftsinstrument sieht, das es allerhöchstens halbherzig zu verteidigen gilt.

Es gibt sie also anscheinend doch, die linken Gipfelstürmer – doch sind sie in Wahrheit nur Linksreaktionäre, mit Programmen ohne einen einzigen Fortschrittsgedanken. Da kann auch das tolle Hologramm Mélenchons nicht darüber hinwegtäuschen.

Aber vielleicht machen es ja die jungen Sozialisten von der spanischen Partei Podemos besser. – Ja, wenn sie sich nicht gerade in Lagerkämpfen gegenseitig zerfleischen würden. Schade, denn es gibt wirklich viel zu tun.