Die Tourismusbranche hat ihre Mühen, die Kundschaft bei der Stange zu halten. Und da Not erfinderisch macht, hat Reisejournalistin Elisabeth Hewson stets bizarre Highlights in ihrem Posteingang. Ein Überblick.

Tourismusverbände sind arme Hunde. Wie lockt man Urlauber an, die schon alles gesehen, erlebt, geschmeckt, besucht und fotografiert haben? Den Zeiten nachzutrauern, in denen gerade das Altgewohnte begeisterte, bringt gar nichts. Die familiäre Bindung an Urlaubsziel, Vermieter oder Hotels, wo immer gleich für das nächste Jahr dasselbe Zimmer mit derselben Aussicht gebucht worden war – das ist vorbei. Als man es sich noch als besondere Ehre anrechnete, am Stammtisch Platz nehmen dürfen und die Tratschereien vom Vorjahr zu ergänzen. Oder, wenn man sich etwas weiter weg gewagt hatte, dass der Barmann am Strand einen wieder mit Namen begrüßte und die Liege in der zweiten Reihe reserviert war, wie immer.

Der Chill-Faktor heißt heute, etwas noch nie Dagewesenes bieten zu können, etwas Ungewöhnliches, oder zumindest etwas Neues. Und so setzen sich die Touristiker zusammen, lassen ihre Köpfe rauchen und ersinnen vorbereitete Erlebnisse, denn die Karawane soll ja wiederkommen und nicht weiter- und vorbeiziehen.

Als Reisejournalistin wird man natürlich sofort über diese Highlights der kommenden Saison informiert und ist teilweise auch recht dankbar, denn ein duftender Waldspaziergang, eine Wanderung mit Buttermilchunterbrechung oder das Auf und Ab mit Gondel und Skiern gibt nicht viel Berichtenswertes her. Wenn da aber im Wald ein Erlebnisweg mit Schnüffel-, Tast- und Lausch-Gebrauchsanweisung errichtet wurde, kann man darüber schreiben. Auch wenn es erbärmlich ist, dass man die überhaupt braucht und nicht schlicht und selbstbestimmt über Wurzeln und durch Laubhaufen stolpert und raschelt, meinetwegen ein Pilzbestimmungs- oder Blumenerklärungsbuch in der Hand. Nein, alles braucht „Animation“. Nicht einmal das Hineingehen und Untertauchen in einem See kann alleine bewältigt werden, dazu braucht es einen Coach, der einem die „Seeberührung“ erklärt und vormacht, wie vor einigen Jahren in Kärnten.

Wie man eine Placenta zubereitet

Kurse für dies und das werden angeboten, vom Filzen der eigenen, höchst unförmigen Pantoffeln bis zu Schnitzen, Malen oder Klöppeln; bis zu den Yoga-Kursen in der Karibik, wo man dann auch noch erfahren kann, wie man eine Placenta zubereitet (wirklich!). Und so bin ich zum Beispiel in Nicaragua auf einem Brett einen Vulkan hinuntergebraust, schwarzbestaubt bis in die kleinsten Fältchen, trotz Gummiumhüllung und Brille; im Neoprenanzug einen heimischen flachen, höchst steinigen Wildbach hinuntergeschlittert, einige blaue Flecken – und glücklicherweise nichts Ärgeres – inklusive; habe in Indien eine höchst unappetitliche, aber ganz, ganz echte Ayurveda-Massage über mich ergehen zu lassen – war ja sowas von traditionell! Wie auch die Rauchsauna in Estland, die mir den Eindruck vermittelte, in einem ausgebrannten Schuppen zu sitzen und die giftigen Holzkohlengase ganz tief einatmen zu dürfen.

Ganz gerne hat man offenbar „Herausforderungen“. Die kann man sich auch nicht selber stellen, wie einen Berg bezwingen oder eine Wanderung machen. Nein, dazu gibt es entweder Pässe, in die man Destinations-Markerln kleben kann, oder Apps, die die Leistung bewerten und natürlich auch teilen. Oder es werden Themen vorgegeben, wie das seit einigen Jahren unsägliche Pilgern, bei dem man durch Entbehrung seine „inneren und äußeren Grenzen auslotet“, zu sich selbst findet, sein Gleichgewicht herstellt, oder was dergleichen Esoterikschmus und religiöses Geschwurbel mehr ist.

Na gut, soll sein, tut niemandem weh, kurbelt die Jugendherbergs-Infrastruktur an und lässt einen schätzen, was man zu Hause an Bequemlichkeit wiederfindet. Aber auch das gibt es jetzt schon einige Zeit, es braucht Neues. Und was macht da der innovative Touristiker? Er verbindet Angenehmes mit Nützlichem, wie er das vielleicht beim Brainstorming argumentiert hat. Und erfindet den „Kulinarischen Jakobsweg“.

Der abschüssige Jakobsweg

Wer nun erwartet, dass das Prinzip einer Pilgerfahrt, Entbehrung zum Zwecke der Erleuchtung, hier als Urlaubsgag angeboten wird, inklusive Schimmelbrot und Schmutzwasser, der irrt. Wäre wohl auch nicht wirklich ein Renner. Nein, was man unter diesem bizarren Titel präsentiert bekommt, sind internationale Sterneköche mit ihren eigens kreierten, bodenständigen Hütten-Gerichten. Natürlich regional! Bio! Traditionsbewusst! Und das bereits zum neunten Mal. Dass mir das bisher entgangen ist! Fünf Hütten werden da „bespielt“, aber wer das nicht schafft, sich so von einer Hütte zur anderen zu schleppen, der kann alle fünf Pilgermenüs an einem Tag auf einer Hütte probieren. Und sich dann wahrscheinlich zu Tal rollen lassen. Auf abschüssigem Jakobsweg.

Und was sich da so alles findet auf dem kargen Pilgertisch! „Knusprige Ofenkartoffel von Topinambur mit Kren und Schnittlauchrahm“– da braucht’s halt schon einen Koch des Jahres 2015 mit 18 Gault-Millau-Punkten. Oder „Schwarzwurst – gebraten mit Kartoffelpüree und roh mariniert auf Süßwein-Apfelkompott“, von Platz 22 bei „The World’s 50 Best Restaurants“ komponiert. Ja nicht zu vergessen „Geschmorte Schweinebacke mit Knollensellerie-Risotto, Räucherschinken und Trüffeln“. Was der Pilger halt so isst, gespickt mit Michelin-Sternen und Hauben. Auf Jesus’ Spuren.

Ich bin gespannt, was als nächstes kommt. Vorschläge erbeten.

Unsere Gastautorin Elisabeth Hewson wechselte nach längerer Werbekarriere als Texterin und Creativ-Direktorin zur Gegenseite über und brachte ein Konsumentenmagazin heraus, nebenbei schrieb sie als Intendantin der Wiener Kinderoper im Konzerthaus Musical-Libretti. Sie lebte in London und im (für Wiener höchst ungemütlichen) Tirol, arbeitete dort für den ORF, nach Wien zurückgekehrt als freie Reisejournalistin für einige Österreichische Tageszeitungen. Auch etliche Bücher sind erschienen, querbeet von Gesundheits- und Kulinarik- bis Kulturthemen. Das aktuellste ist das „Bio Ketzer Buch“. Sie ist Mitglied bei den „Skeptikern“ und unterstützt sie beim Kampf gegen Humbug, von Homöopathie bis Rudolf Steiner.