Ein Besuch im vom Drogenkrieg angefressenen Mexiko.

Ich sitze in einer mexikanischen Säuferkneipe im Karibik-Ort Playa del Carmen. Vor 20 Jahren waren hier noch ein paar Häuschen, jetzt reiht sich Hotel an Hotel. Vom Meer kommt eine warme, karibische Brise rüber.

Neben mir an der Bar sitzt M. M. hat harte, graue, leicht irre Kokain-Augen, ein wettergegerbtes Gesicht. Er ist Tauchlehrer und geht ab und zu auf die Toilette und zieht Nachschub.

„Playa del Carmen ist das neue Jerusalem“, sagt der Koks-Prophet. „Ich habe Familie in Israel, aber die große Zeit da ist vorbei. Hier ist jetzt das gelobte Land.“ Er meint das ernst. Er hat Vorfahren aus Frankreich, ist in der Mega-Metropole Mexiko-Stadt aufgewachsen.

Er erzählt mir dann, er glaube, dass ich bald eine wunderschöne mexikanische Frau kennenlernen würde. Und gibt mir Tipps: „Aber Du musst zu ihnen hingehen. Sie würden dich niemals ansprechen. Gehe zu ihnen und sei ehrlich. Rede mit ihnen, erzähle ihnen was. Alles andere ergibt sich von selbst.“ In der Bar, in der wir sitzen, gibt es auch Professionelle, sagt er.

M. fragt mich dann, was ich denn beruflich machen würde. Ich sage, ich sei Journalist. Seine Augen verfinstern sich, ein Lügenpresse-Blick, er sagt: „Wir lassen dich fliegen.“ Damit meint er, dass man mich umbringen würde und „wir“ sind seine Kumpanen.

„Das ist kein Problem für mich“, sagt er. „Es ist nichts, ich würde mich nicht schlecht fühlen.“

Ich frage ihn, wie er darauf kommt, dass ich etwas über ihn schreiben wolle, ich hatte das ja eigentlich gar nicht vor. Er erklärt mir dann, wie das läuft in Mexiko, wo kritische Journalisten regelmäßig ermordet werden. Seit 2000 waren es schon mehr als 120.

Sie sind unter den über 130 000 seit 2006 ermordeten Menschen in dem mittelamerikanischen Land, das von Drogenkartellen und damit einhergehender Korruption zerfressen wird. Sehr eindrucksvoll ist diese Ausweglosigkeit in der oscarnominierten Doku „Cartel Land“ zu erfassen, in der Leute, die mit Waffen gegen die Kartelle aufstehen, später selbst zum Kartell werden.

M. sagt: „Wenn wir jemandem sagen, schreibe das nicht, sollte er das nicht tun. Schreibe nicht über meine Geschäfte, meine Familie. Dann sollte er sich daran halten. Wenn er das nicht macht, geht er, das ist kein Problem!“

Ariel Camacho und seine Plebejer von der Ranch

Später, als ich den Rat des Playa-del-Carmen-Propheten M. befolgend mexikanische Frauen anspreche, bin ich in einem Tanz-Klub, in dem eine Live-Band Volksmusik spielt und die Einheimischen tanzen. Ich tanze mit einer Frau, die eigentlich in Tabasco, auf der anderen Seite von Mexiko auf einer Kakao-Plantage arbeitet und gerade ihre Tante besucht. Sie hat kleine Narben an der Hand von der Machete.

Als die Band fertig gespielt hat, laufen über die Anlage auf einem Video-Screen noch ein paar Rausschmeißer. Darunter ein eingängliches Lied von Ariel Camacho und seinen Plebejern von der Ranch (y Los Plebes del Rancho).

In „Entre Platicas y Dudas“ („Zwischen Gerede und Zweifel“) singt Camacho, der 2015 mit 22 Jahren bei einem Autounfall starb, belgeitet von einer Riesen-Tuba eine Ballade über „Narcos“, mexikanische Drogen-Gangster. Camacho singt bewundernd über einen: „Er ist von reinem Silber, ein Sohn vom Land, ein Mann, der Geschichte geschrieben hat und den Feinde und Regierung stets respektieren.“

Eine Bekannte sagt mir dazu später: „Die Kinder wollen Narcos werden, weil sie über sie hören, als seien sie die Könige von Mexiko. Und das, mein Freund, ist so schlecht auf zu vielen verschiedenen Ebenen.“

Als ich am Morgen danach die örtliche Zeitung „Por Esto!“ – „Deshalb!“ lese, sind die ersten acht Seiten mehreren Morden durch „Sicarios“ (Auftragsmörder) gewidmet, die in den letzten Tagen in der Gegend um Cancun geschahen. Fast alle haben mit dem Drogenkrieg zu tun. Das Cártel de Jalisco Nueva Generación versucht mit aller Gewalt in den Markt zu drängen und hinterlässt an den Tatorten seine CJNG-Initalen mit Sprühdosen. Das Kartell gilt als eines der am schnellsten wachsenden in Mexiko – und als eines der Brutalsten.

Unter den Toten sind einige Frauen und viele Taxifahrer. Manche von ihnen verkaufen ihren Fahrgästen auch Drogen, das passt den Kartellen nicht. Auf einer ganzen Seite verabschiedet sich in „Por Esto!“ ein Konkurrenzblatt mit einem Brief des Chefredakteurs aus dem Geschäft. Die gedruckte Zeitung wird eingestellt, heißt es da. „Wir konnten unsere Arbeit nicht mehr weitermachen. Die Regierung kann uns nicht schützen“, schreibt der Redakteur.

Die Marine kommt

Um die Lage in den Griff zu bekommen, patroullieren in den folgenden Tagen dann Marinesoldaten mit schweren Waffen durch die Straßen des Karibik-Ortes Playa del Carmen. Die örtliche Polizei ist von Korruption zu schwer zerfressen und macht nichts gegen die Narcos. Man hofft wohl, dass wenigstens die Soldaten noch ehrliche Häute haben.

Ich mache dann noch ein paar Touristen-Sachen. Ich rase mit einem Roller um die vor Playa del Carmen liegende Insel Cozumel. Am Südende gibt es keinen Strom, aber eine Reggae-Bar mit batteriegetriebener Jamaika-Musik. Ich schwimme in einer „Cenote“, in einem von einem Meteoritensplitter geschaffenen, glasklaren Teich, der unterirdisch über 300 Kilometer mit weiteren solchen Teichen und dem Meer verbunden ist. Ich besuche die Maya-Steinbauten von Tulum, wo die Ureinwohner vor Ankunft der Spanier ihre Wind- und Sonnentempel erschafften.

Die Maya-Chefs bauten sich auch eine Mauer, mit der sie sich die Bauern, die in erbärmlichen Behausungen Frondienste leisteten, vom Hals hielten. Sie hingegen lebten von ihren Waffen und äußerster Brutalität. Ein bisschen wie die Narcos.

https://www.youtube.com/watch?v=9FVQTRotdQE