Die Kanzlerin hat zwei Bilder von Emil Nolde aus ihren Räumen im Kanzleramt verbannt. So leer kann es nicht bleiben. Was aber nun an die Wände hängen? Eine Überlegung.

„Brecher“ und „Blumengarten“ sind nicht mehr da. Die Kanzlerin hat die beiden Bilder von Emil Nolde aus ihren Amtsräumen entfernen lassen. So ganz genau weiß man nicht, wieso. Vielleicht wollte sie einfach mal auf was Anderes schauen. Gerade die expressionistisch sehr farbkräftigen Blumen in Noldes Garten können einen auch auf Dauer nerven. Man kann sich ja auch an großer Kunst satt sehen. Und wie Gummistiefel passen sie auch nicht zu jeder Gelegenheit: Ich mag zum Beispiel Francis Bacon sehr oder Goya, aber ich würde natürlich nicht Gäste unter einem Bild empfangen wollen, auf dem ein antiker Gott seine Kinder verspeist.

Sehr wahrscheinlich ist, dass Noldes Verbannung aus dem hohen Haus der Macht mit der Ausstellung zu tun hat, die jetzt in Berlin zu sehen ist. Dort wird die Legende vom verfolgten und somit politisch einwandfreien Maler endgültig widerlegt: Emil Nolde war ein Nazi und Antisemit und wäre daher auch gerne ein vom Nationalsozialismus und insbesondere von Adolf Hitler anerkannter Staatskünstler geworden – allein, Hitler hasste den expressionistischen Stil Noldes und zählte ihn daher zur entarteten Kunst; was Nolde ein Ausstellungsverbot einbrachte, ohne dass dieser allerdings finanziell darben musste. Nolde wusste geschickt eine Legende von der verfolgten Unschuld zu stricken, die sich durch den Deutschstunde-Roman von Siegfried Lenz erst recht verfestigte. Heute sind wir schlauer – und das ist auch das Verdienst dieser Ausstellung.

Aber musste der Nolde deshalb aus dem Kanzlerbüro weichen? Generell gilt: Man darf einen Künstler für einen Scheißkerl halten und deshalb seine Kunst nicht mögen. Es könnte einem dann allerdings einiges entgehen. Dass die Kanzlerin fortan nicht mehr nach Bayreuth reist, um der  großartigen Musik des Antisemiten Richard Wagner zu lauschen, ist daher auch eher unwahrscheinlich. Aber Wagner kann ja auch auf der Waage politischer Moralfragen seine Vergangenheit als Sozialrevolutionär in die Waagschale werfen – das gleicht so manches aus. Ich weiß auch nicht, wie die Kanzlerin zu Gottfried Benn steht. Auch der sah mit dem Nationalsozialismus eine ganz tolle neue Zeit heranbrechen. Und auch dieser wurde, wie Nolde, künstlerisch von den Nazis verfemt, zog sich in eine innere Emigration (beim Militär) zurück – und schrieb nach dem Krieg mit die schönsten Gedichte deutscher Sprache! Auch Benn fand, dass man ihm Unrecht tat, dass er nicht genug gewürdigt würde – das Gegenteil war letztlich der Fall.

SAUBERE KUNST, SAUBERE KÜNSTLER

Aber heute sind die Zeiten andere. Der moralische Zugriff aufs Private, Eigene, Individuelle findet überall und bei jedem statt. Da müssen auch Promiköche mit blitzsauberen Führungszeugnissen glänzen. Und auch ein toter Star wie Michael Jackson, dessen Verhältnis zu Kindern sichtbar schon immer mehr als dubios war, wird jetzt – zumindest von einigen Radiosendern im moralischen Musterknaben Kanada – mit damnatio memoriae bestraft, der demonstrativen Tilgung politisch oder sittlich in Ungnade Gefallener. Was die alten Römer aber noch wussten: Dieses Mittel bewirkt genau das Gegenteil. Und in der unauslöschlichen Welt globaler Kommunikation gilt das ganz besonders.

Es würde gewiss helfen und uns alle entspannen, wenn man die Kunst einfach Kunst sein ließe und in ihr – zu unserer Freude und unserem Nutzen – die große Freiheit des Anderssein sähe mit ihrer verzaubernden oder verstörenden Schönheit, ihren lebendigen, geronnenen Erfahrungen und Erkenntnissen, ihrer oft unerklärlichen Art, Licht in unser Dunkel zu bringen – nichts sonst. (Ich weiß, ich weiß: Daneben gibt es auch noch jede Menge Mist.) Wir müssen nicht wissen oder stets berücksichtigen, ob die Hand, die da dichtete, malte oder komponierte, einem Heiligen oder einem Teufel gehörte. Wir sind das selber auch alles auf einmal. Bei Künstlern ist das nicht anders.

EINE FRAGE DER REPRÄSENTATION?

Trotzdem meint man in Berlin anscheinend, die Bilder, die in den Amtsräumen hingen, müssten, wie es heißt, die Republik auch „repräsentieren“; so als wären sie vom Volk gewählte Abgeordnete.

Und so sind die Stellen leer, wo vorher Staatsgäste mit Kunst beeindruckt werden konnten. Aus diesem Grund stelle ich mir gerade vor, wie die Kanzlerin im Katalog der Bundeskunstsammlung blättert, um etwas Passendes zu finden: Was und wer könnte die Republik künstlerisch repräsentieren? Dürers „Melencolia“ dürfte nicht zur Verfügung stehen, ebenso wenig Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“. Paula Modersohn-Becker ist nach einem Biopic momentan in, aber stillende Frauen würde man eher im Büro der neuseeländischen Ministerpräsidentin vermuten. Frida Kahlo wäre irgendwie klasse, aber erfüllt nicht die Voraussetzungen. Ich selbst fände Julie Mehretu gut wegen ihrer großen urbanistischen Visionen – geht aber auch nicht, sie ist Amerikanerin. Vielleicht wäre was von Leon Löwentraut drin (schon ab 12 Tausend Euro) – der repräsentiert mit seinen 21 Jahren perfekt unsere Jugend, die allseits im Kommen ist… Nein, die Farben dürften zu kribbelig und grell sein. Das bringt mich zu Gerhard Richter und seinem schwarzweißen RAF-Zyklus. Aber da ist unsere Kanzlerin dann doch zu ostdeutsch, als dass sie sich den Schlamassel der alten BRD an die Wand hängen würde. Dann irgendwas von Polke? Kiefer? Jörg Immendorff! Sein „Café Deutschland“ ist irgendwie noch aktuell. Leider hat der Maler, schon sterbenskrank, mit Prostituierten in einem Luxushotel Drogenpartys gefeiert – soviel dionysische Virilität passt einfach nicht in unser protestantisches Deutschland. Dann vielleicht A.R. Penck – von ihm gibt es das Bild „Was dem Emigranten durch den Kopf“ geht in der Bundeskunstsammlung; allerdings zeigt es zwei Skorpione, die aufeinander losgehen. Aber halt! Stopp! Jetzt hab’ ich’s: Georg Baselitz! Der lebt noch. Der könnte also noch ein Auftragswerk produzieren. So etwas wie sein „Nachtessen in Dresden“. Vielleicht ein „Nachtessen in Davos“; ein Bild, auf dem neben der Kanzlerin noch Theresa May, Jean-Claude Juncker und Donald Trump zu sehen sind. Und alles steht, wie bei Baselitz so üblich, auf dem Kopf.

So ein Gemälde würde unsere Zeit doch einmal richtig repräsentieren.