Eine Sportverletzung zeigt Betroffenen oftmals eine neue Seite – nicht nur im Leben, sondern auch von sich selbst. Deana Mrkaja lernt nach ihrem Kreuzbandriss, was Entschleunigung bedeutet.

Manchmal sitze ich da und bekomme Schnappatmung: Ich kann seit dem Kreuzbandriss nicht rennen, wann ich will, kann mich nicht bewegen, wie ich es gewohnt bin, ich bin nicht mobil und selbst das Einsteigen in die Badewanne ist eine riesige Herausforderung. Zuweilen fühle ich mich hilflos, überfordert mit einfachsten Sachen oder auch der Situation ergeben. Immer, wenn mir diese Gedanken durch den Kopf schießen, habe ich das Gefühl, wahnsinnig zu werden und frage mich: Wie soll ich das noch wochenlang aushalten?

Nach Hilfe zu fragen, bedeutet Kontrolle zu verlieren

Ich frage grundsätzlich sehr ungern nach Hilfe. Früh lernte ich auf eigenen Beinen (jetzt auf 1 ½ Beinen) zu stehen und für mich selbst zu sorgen. Schon immer fragte ich nur in äußersten Ausnahmesituationen nach Hilfe. Selbst meinen ersten Umzug innerhalb Berlins bewältige ich alleine. Ok, mit einem Taxifahrer gemeinsam, der von seinem Glück nichts ahnte, als ich anrief und ein Großraumtaxi bestellte. „Warum stehen hier Stühle und ein Fernseher?“ „Ach, nur so. Das nehme ich mit.“ „Und der kleine Tisch und die drei Koffer? Ist das etwa ein Umzug?“ Ich bejahte leise, sagte „sorry“, gab ihm 30 Euro extra in die Hand und ließ mich zu meiner neuen Wohnung fahren.

Jemanden nach Hilfe zu fragen, bedeutet für mich immer, mir eingestehen zu müssen, dass ich es alleine nicht schaffe. Und was ich alleine nicht schaffe, bedeutet gleichzeitig ein Stück meiner Freiheit zu verlieren. Kontrolle abzugeben. Ja, das mag für manch einen verrückt klingen – ich behaupte auch nichts Gegenteiliges – nur bin ich eben so. Also, finde ich mich nun in einer Situation wieder, in der ich kaum etwas allein bewerkstelligen kann und nach Hilfe fragen muss. Dieses Müssen bedeutet Schnappatmung. Was ich mir aber nicht nehmen lasse, ist, mein Handtuch bei der Physiotherapie selbst zur Liege zu tragen, auch wenn die Therapeutin es mir immer abnehmen möchte: „Ich mach‘ das alleine“, sage ich dann stolz. Schließlich braucht man ja ein paar Erfolgserlebnisse.

Voll Null auf 100 und wieder auf Null – der neue Alltag

Genauso schnell wie ich mich neuerdings in Dinge reinsteigere, rege ich mich auch wieder ab – einfach, weil es gar keine andere Wahl gibt. Ich kann mich schließlich noch so sehr aufregen über das, was passiert ist, an meiner Situation wird sich absolut nichts ändern. Da ich an Karma glaube und unsere menschliche Psyche für unglaublich einflussreich in Bezug auf unseren Körper halte, bin ich sogar davon überzeugt, dass eine positive Einstellung zu meinem neuen Knie auch positive Auswirkungen auf meine Genesung haben wird. Deshalb küsse ich mein Knie abends beispielsweise manchmal. Ja, wirklich.

Warum sich meine Mutter sogar ein klein wenig darüber freute, dass ich nun eine Zwangspause von meinem normalen Leben nehmen muss, liegt in erster Linie daran, dass sie glaubt, ich würde irgendwann, doch eher in naher als in ferner Zukunft, an einem Herzinfarkt sterben. Ja, ich bin kein ruhiger Mensch, habe absolut keine Geduld, handle und denke schnell, bin genervt von langsamen Leuten und bin eigentlich immer vollkommen überdreht. Selbst beim Yoga muss ich immer lachen, obwohl nichts daran lustig ist. Einfach nur, um nicht ruhig zu sein.

Das ist die neue Version meiner Selbst

Doch plötzlich gibt es da keine Wahl mehr, denn alles, was ich mache, mache ich langsam. Wenn ich zu einem Termin muss, gehe ich nicht wie sonst zu spät, sondern eine Stunde vorher los. Beim Ein- und Aussteigen in die Bahn, oder beim Laufen auf dem Gehweg bin ich nun eine von denjenigen, über die ich mich sonst immer ärgere. Ich bin das neue Ich, die entschleunigte Version meiner Selbst.

Mit diesem neuen Bewusstsein gehe ich nun durchs Leben. Sehr viel langsamer als sonst, doch irgendwie auch zufrieden. Ich gewöhne mich daran, dass die Dinge nun in einem anderen Tempo passieren – meine Mitmenschen sind mir dankbar. Oder eben meinem Knie. Vor einer Woche hatte ich Besuch aus der Schweiz bei mir. Eine Nation, die bekannt ist für ihre Langsamkeit (vielleicht liegt es aber auch nur an der Sprache). Als der Besuch, der mich nicht sonderlich gut kennt, nach drei Tagen wieder nach Zürich flog, sagte er beim Abschied zu mir: „Du bist so schön entspannt.“ Ich freute mich darüber, rief eine Freundin an, um ihr davon zu berichten, und sie lacht immer noch.

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Sämtliche Beiträge aus Deana Mrkajas Tagebuch des Kreuzbandrisses finden Sie hier.