Wie die FPÖ einen Eklat um den Journalisten Armin Wolf inszenierte – und was solche Kampagnen für Pressefreiheit und Demokratie bedeuten.

„Ihr Bruder heißt Adolf, Sie heißen Rudolf – und wie waren Ihre Eltern sonst so?“ Mit dieser Frage stieg der Moderator Friedrich Küppersbusch Anfang der 90er Jahre einmal in ein Gespräch mit dem damaligen Innenminister Rudolf Seiters ein, der 1937 geboren wurde. Eine komplett unsachliche und persönliche Frage. Sie diente dazu, den für seine wachsweichen Aussagen bekannten CDU-Politiker so aus der Reserve zu locken, dass man ein halbwegs spannendes Interview mit ihm führen konnte. Das gelang sogar, und einen großen Medienskandal hat Seiters daraus nicht gemacht. Denn er wusste, dass Küppersbusch alle seine Gäste so oder ähnlich provozierte. Und er dürfte gewusst haben, dass kontroverse Interviews eine völlig normale und anerkannte Form des Journalismus waren und sind. Der Deutschland-Funk-Moderator Christoph Heinemann etwa trieb den Grünen-Politiker Anton Hofreiter im Interview zum Thema Schulstreiks für das Klima im März vor sich her, in dem er immer wieder dieselbe Frage wiederholte: „Herr Hofreiter, was bedeutet Schulpflicht?“ Hofreiter wich bis zuletzt aus und offenbarte damit das Dilemma, in dem die Partei bei dem Thema steckt.

Von solchen Zumutungen möchte die österreichische Regierungspartei FPÖ künftig offenbar verschont bleiben. Und sie nutzt ein Interview, das Armin Wolf, Moderator des österreichischen Rundfunks (ORF), mit dem FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky geführt hat, für eine Kampagne, die nicht nur gegen Wolf persönlich gerichtet ist, sondern letztlich auf die Umgestaltung des Mediensystems in Österreich zielt. Ein zentrales Motiv in dieser Kampagne ist die bewusste Fehlinterpretation des kontroversen Interviews als Beweis dafür, dass Journalisten wie Wolf eine persönliche politische Agenda hätten. Eine Agenda, die in unfairen Gesprächen zum Ausdruck kommt, die dem hilflosen Interviewten massiv schaden. Dass gerade jenes konkrete Gespräch allerdings diese These wohl kaum bestätigt, ficht die FPÖ nicht an. Sie kann sich darauf verlassen, dass sich ohnehin kaum jemand das Interview noch einmal genau ansehen wird.

Grundsätzlich gilt zunächst: Jeder gute Moderator sollte die Techniken des kontroversen Interviews im Repertoire haben. Sie werden an Journalistenschulen, in Volontariaten oder Fortbildungen von professionellen Trainern gelehrt. Denn für den Fragesteller ist ein solches Gespräch eine Herausforderung, an der er grandios scheitert, wenn er außer seiner Meinung nichts zu bieten hat. Er muss vielmehr gut vorbereitet sein, die Fragen und das Timing müssen sitzen und er muss die unangenehme Atmosphäre aushalten, die sich zwischen ihm und seinem Gegenüber entwickeln kann. Ein Gegenüber, mit dem man danach ja in der Regel wieder normal umgehen können möchte. Der Interviewer muss zudem aufpassen, mit seiner Gesprächsführung den Gast nur so weit zu bedrängen, dass er ihn nicht in eine Opferrolle drückt – denn dies führt dazu, dass die Sympathien der Konsumenten sich zu Ungunsten des Journalisten verschieben. Vor allem aber darf der Interviewer das eigentliche Ziel nicht aus den Augen verlieren. Ein kontroverses Interview ist kein Selbstzweck, sondern es dient dazu, einen Gesprächspartner mit hartnäckigen Nachfragen, Unterstellungen, Provokation oder dem Herumreiten auf einem unangenehmen Thema dazu zu bringen, mehr und ehrlichere Antworten zu liefern als man dies normalerweise erwarten würde.

Dennoch oder gerade deshalb lassen sich Profis aus Politik, Wirtschaft oder Sport bewusst auf solche Interviews ein. Denn für den Befragten ist diese Situation zwar schwierig – aber zugleich auch eine große Chance. Wenn er sich auf das Interview gut vorbereitet hat und souverän sowie schlagfertig genug ist, kann er als Punktsieger das Studio verlassen und eigene Botschaften noch besser vermitteln als in einem harmonischen Gespräch, dem die Spannung fehlt. Zusammengefasst: Gelungene kontroverse Interviews sind eine allseits anerkannte Ausdrucksform des Journalismus, um den Auftrag nach Information, Kontrolle und Kritik zu erfüllen, der den Medien in demokratischen Gesellschaften zufällt. Genau dieser Auftrag jedoch wird von autokratischen Ideologen – egal, welcher politischen Richtung – grundsätzlich bestritten. „Wie hältst du‘s mit der Pressefreiheit?“ ist daher eine der entscheidenden Fragen, um Freunde und Feinde der pluralistischen Demokratie voneinander zu unterscheiden. Und an diesem Punkt wird der Fall Wolf/Vilimsky so interessant.

Der gewollte Eklat

Armin Wolf beherrscht die Kunst des kontroversen Interviews und wendet sie an. Wer in seine Sendung ZiB2 kommt, weiß das. Auch FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky wusste das, als er sich am 24. April zum Interview mit Wolf ins Studio begab. Er wurde in diesem Gespräch weder außergewöhnlich unfair behandelt noch der Gelegenheit beraubt, ausführlich Stellung zu beziehen. Das Gespräch endete auch nicht, wie es in der Nachbetrachtung ab und zu heißt, in einem Eklat. Vielmehr beruhigte sich der Schlagabtausch nach einer sehr kontroversen Passage über eine umstrittene Karikatur der FPÖ-Jugend in der Steiermark sogar wieder. Bei den folgenden Themen, dem Abstimmungsverhalten seiner Fraktion im EU-Parlament zur Verkehrspolitik sowie dem Wahlverhalten von Außenministerin Karin Kneißl zog sich Vilimsky bemerkenswert gut aus der Affäre. Entsprechend gab es für einen Politikprofi wie Vilimsky auch keinen Grund, aus diesem Gespräch oder der Rolle von Armin Wolf einen Skandal zu machen. Es sei denn, die FPÖ hätte es von vornherein darauf angelegt. Wenn man das Gespräch analysiert, liegt genau diese Vermutung nahe.

Schon zu Beginn, bei der ersten Frage, in der Wolf von Vilimsky wissen wollte, warum es immer wieder Fälle von Rechtsextremismus in seiner Partei gebe, geht der Politiker zum Gegenangriff über. Er diskreditiert die Tatsache, dass diese Fälle öffentlich diskutiert werden, als Werk „linker Netzwerke“, die „in den letzten Winkeln suchen, ob sie Dinge finden, die man instrumentalisieren kann.“ Bei der zweiten Frage, in der Wolf auf das Poster „Tradition schlägt Migration“ der FPÖ-Jugend in der Steiermark zu sprechen kommt, führt Vilimsky die „linken Kreise“ erneut an. Im nächsten Schritt schlägt er Wolf selbst diesen Kreisen zu und unterstellt ihm, er versuche nur „dieser Regierung Schaden zuzufügen.“ Ohne dies zu belegen fügt Vilimsky hinzu, er wisse, dass Wolf auf Twitter „permanent Stimmung gegen uns“ mache. Nachdem er den Moderator wegen seiner Fragen quasi zum linken Staatsfeind gestempelt hat, kündigt er das Nachspiel – nämlich die persönliche Kampagne gegen Wolf – in der Sendung sogar live an.

Auf Wolfs provokante Frage, woran er die Karikatur muslimischer Einwanderer auf dem Poster von antisemitischen Darstellungen des Nazi-Blattes „Stürmer“ unterscheiden könne, antwortet Vilimsky zunächst relativ sachlich – und verweist darauf, dass die abgebildete Figur des FPÖ-Jugendverbandes ihn wegen der Kopfbedeckung an den deutschen Islamisten Pierre Vogel erinnere. Bei dieser etwas eigenwillige Interpretation belässt Vilimsky es aber nicht, sondern er verfällt in die schon zu Beginn genutzte und daher vorbereitet wirkende Empörung. Er sagt wörtlich: „Dass Sie hier vom Stürmer ein Bild nehmen und einem Jugendplakat gegenüberstellen und den Eindruck erwecken, dass wir in der Nähe des Nationalsozialismus wären, ist etwas, das nicht ohne Folgen bleiben kann.“

Es geht um die Pressefreiheit

Eine eindeutige Drohung. Und die setzte die Partei eine ganze Woche lang mit einer Kaskade verschiedenster Wortmeldungen in die Tat um. Praktischerweise wird der ORF-Stiftungsrat mit Norbert Steger von einem FPÖ-Parteifreund geführt, der Wolf ein „Sabbatical“ empfahl. Seitdem diskutiert Österreich nicht darüber, wie weit eine Regierungspartei bei der Stigmatisierung von Einwanderern gehen darf, sondern darüber, wie kritisch Journalisten Politiker der Regierungskoalition angehen dürfen.

Keine Frage: Auch Journalisten dürfen nicht alles. Niemand muss sich von Journalisten alles gefallen lassen. Selbst die liberalsten Pressegesetze erlauben keine üble Nachrede, keine Beleidigung, keine verleumderische Berichterstattung. Journalistische Qualitätsstandards insbesondere bezogen auf eine sorgfältige Recherche und gesicherte Fakten sind nicht nur für die Medien wesentlich, sondern für den gesamten öffentlichen Diskurs jeder pluralistischen Gesellschaft. Zu recht müssen sich Medien an diesem Punkt immer wieder hinterfragen lassen. Selbstkritische Reflexion und Distanz zur eigenen Arbeit ist für den Medienbetrieb genauso unabdingbar wie Hygienevorschriften in der Lebensmittelbranche oder Qualitätsnormen in der Industrie.

Mit all dem hat die Kampagne der FPÖ jedoch nichts zu tun. An Wolfs Interview mit Vilimsky war nichts Skandalöses. Vielmehr ist es ein Paradebeispiel dafür, wie man mit einem inszenierten Skandal von der eigentlichen Sache ab- und auf eine ganz andere Sache umlenkt. Dabei geht es, obwohl das schlimm genug ist, nur vordergründig um die berufliche Existenz von Armin Wolf. Mittelbar geht auch um den ORF und die Zukunft von gebührenfinanziertem Rundfunk. Den möchte die FPÖ abschaffen, was nicht zuletzt immer wieder mit angeblich notorisch linken, unfairen Inhalten und Personen begründet wird, die der Regierung und damit dem Land schaden. So wie Armin Wolf. Der sieht sich seinerseits den heutzutage unvermeidlichen Hassattacken in den sozialen Netzwerken ausgesetzt, befeuert von einer Regierungspartei. In dieser Form von diffamierender Medienkritik haben die FPÖ und andere Rechtspopulisten eine professionelle Expertise erreicht, die Putinsche Züge annimmt und Sorgen machen muss. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass selbst die unprofessionelle und affektierte Medienkritik eines Donald Trump für eine Wahl ausreichende Teile der Bürger überzeugt.

Ungarn ist nicht weit

Es gibt nachvollziehbare Vorbehalte sowohl gegen die Ausstattung als auch die Gebührenlogik öffentlich-rechtlicher Anstalten, die im Internet beispielsweise zu einem unlauteren Wettbewerb zu Ungunsten der freien Presse führt. Das Beispiel Österreich zeigt allerdings, wie wichtig es ist, sensibel bei der Wahl der Argumente zu sein. Die lautesten Gegner jeder Form des angeblichen „Staatsfunks“ sind oft diejenigen, die sich dann, wenn sie an der Macht sind, unkritische Regierungsmedien bauen – also echten Staatsfunk. Ähnliches gilt für die politische Auseinandersetzung. Journalistische Inhalte oder gar Journalisten persönlich zu diffamieren, weil sie einer anderen Meinung nutzen könnten als der eigenen, ist keineswegs nur am rechten Rand des Parteienspektrums verbreitet. Vielmehr ist die vorsätzliche Entsachlichung des Diskurses zu Gunsten von Emotionalisierung, Skandalisierung und Panikmache bei beinahe jedem wichtigen gesellschaftlichen Thema momentan eher die Regel als die Ausnahme – von Zuwanderung über Dieselverbot bis Klimawandel.

Es wird dringend Zeit, dass Journalisten, Redaktionen und Medienhäuser eine klare Haltung zeigen und dabei mehr Verbündete in Politik und Wirtschaft finden. Nicht etwa im Sinne einer politisch korrekten Agenda – das wäre ein fatales Missverständnis. Sondern Haltung im Sinne freier Medien. Aus Selbstschutz und zum Schutz unseres politischen Systems. Wie kurz der Weg in die gelenkte Demokratie ist, kann man in Ungarn bereits sehen. Auf halbem Weg liegt Österreich.