Atom ist das neue Öko. Unsere Autorin ist gerade zur Revision im Kernkraftwerk Grohnde und erklärt, warum.

Vergessen Sie alles, was Sie bisher über Ökostrom gehört haben. Lange bevor in diesem Land irgendeine Windmühle in Betrieb war, haben wir schon Ökostrom in rauen Massen gemacht. Wenn unsere Anlage läuft, produziert sie 1430 MW CO2-freien, luftschadstoffreien Strom, Tag und Nacht. Unseren Eigenbedarf bauen wir selber an. Regelenergie stellen wir der Allgemeinheit zur Verfügung. Alle reden vom Wetter, wir nicht.

Doch auch im Nicht-Leistungsbetrieb sind wir total öko. Wir schämen uns für jeden Tag, an dem unsere Hilfskesselanlage mit Heizöl läuft, und halten daher unsere Revision so kurz wie möglich. Wir trennen Müll, Plastik, Metalle, Papier und Altöl wie ein Kreuzberger Oberstudienrat. Wir nutzen unsere großen Aggregate im Ringtausch und unsere Brennelemente fünf Jahre hintereinander. Wir schmeißen ungern weg, was man noch gut gebrauchen kann, zum Beispiel unseren Reaktordruckbehälter, der auch nach dem 36. Zyklus noch fit für den fünfzigsten wäre.

Nichts verlässt unseren Kontrollbereich, ohne nicht dreimal vermessen worden zu sein. Dort putzen und waschen wir täglich mit einem geschlossenen Wasserkreislauf und eigenem Verdampfer. Wenn wir Wasser in den Fluss ablassen, ist es sauberer als wir es bekommen haben. Bei uns nisten Turmfalken und Wildtauben, und zwischen Maschinenhaus und Reaktorgebäude hoppeln Feldhasen.

Manufactum, wir waren vor euch da. Bei uns wird jede Pumpe und jede Armatur von Hand auseinandergenommen, überprüft, geschliffen, gespült und in Handarbeit wieder zusammengesetzt. Jede Turbinenschaufel und jeder Dampferzeuger wird individuell angehört und bei Bedarf von einem Spezialteam therapiert. Am Ende kriegen wir eine Anfahrgenehmigung mit Schleifchen vom Umweltminister.

Unsere Vollschutz-Anzüge sind maßgeschneidert*, unsere Hamburger sind hausgemacht, und unsere Salatbar hat mehr Sorten als die Amerikaner Reaktortypen.

Warum, verdammt, lässt man uns also nicht in Ruhe unseren Job machen?

*Ehrenwort, das ist die einzige Flunkerei in diesem Text. In Wirklichkeit hängen die Dinger jedem Menschen unter 100 Kilo Körpergewicht wie ein Sack um den Hintern.

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Dr. Anna Veronika Wendland ist Osteuropa- und Technikhistorikerin und liebt Grenzgänge zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. Forschungsbedingt arbeitet sie ab und zu in Kernkraftwerken. Sie lebt mit Mann und drei Söhnen in Leipzig.