Deutschland war in den vergangenen Jahrzehnten in eine gefährliche Abhängigkeit von Russland geraten. Die Schuld daran trägt vor allem ein Netzwerk um den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Zwei Journalisten haben diese Geschichte nun erzählt. Es ist das Buch der Stunde.

„Um vom Totalitarismus korrumpiert zu werden, braucht man nicht in einem totalitären Land zu leben.“ George Orwell

Bis vor kurzem löste das Wörtchen „Frogs“ in mir eine Erinnerung an die sehr populäre deutsche Fernsehserie Raumpatrouille  aus den sechziger Jahren aus. Die damals von einem der Raumfahrer spontan so genannten „Frogs“ waren schillernde und einschüchternde Außerirdische, die in der letzten Folge sogar eine Invasion der Erde in die Tat umsetzen wollten. Erst im letzten Moment konnte das verhindert werden.

Jetzt, nach der Lektüre von Die Moskau-Connection, weiß ich, dass es „Frogs“ auch als Akronym gibt – allerdings mit einer anderen Bedeutung, nämlich: „Friends of Gerhard Schröder“. Diese „Frogs“ stehen am Anfang des Buches der beiden Journalisten Reinhard Bingener und Markus Wehner, denn der sogenannte Freundeskreis bildet die Ur-Zelle von Schröders Karriere und Netzwerk. Unternehmer sind dabei, alte Kumpel, Parteifreunde – alles Vertraute, die sich regelmäßig am Tischkicker bei Bier, Würstchen und Nudelsalat treffen, ohne Frauen natürlich. Das klingt wie eine Anekdote aus dem Reich des deutschen, männerbündischen Biedersinns, die es in vielen Politiker- und Unternehmerbiographien gibt: Man fängt in einer kleinen, vertraulichen Runde an, kommt ganz nach oben, und am Ende hebt man die Welt wenigstens ein bisschen aus den Angeln. Doch was hier so harmlos und austauschbar beginnt, entwickelte sich über die letzten Jahrzehnte zu einem politischen Skandal ohnegleichen – nur dass kaum jemand von einem Skandal spricht.

Auch Bingener und Wehner meiden das Wort „Skandal“ und überhaupt jede polemische Zuspitzung. Sie bleiben ihrem Gegenstand der Betrachtung die ganzen 300 Seiten über so nüchtern, sachlich und kühl wie ein Chirurg über einer offenen Bauchdecke, denn man hat das alles schon gesehen. Und doch haben sie das Buch der Stunde geschrieben, weil sie vieles, was man als politisch Interessierter bereits wusste und wodurch sich leider schon Gewöhnung ansetzte, mit so vielen unbekannten, aber jede moralische Halsader anschwellenden Details in einen großen Zusammenhang bringen, sodass die skandalösen Verhältnisse plötzlich hyperrealistisch in hellem Licht stehen. Ihr Buch ist also im besten Sinne politische Aufklärung. Und das ist es, was die Republik gerade sehr dringend braucht.

NETZWERK TRIFFT AUF NETZWERK

Netzwerke zu bilden ist für einen Politiker von großer Bedeutung. Es können nur die wenigsten von ihrem Charisma allein leben und sich ohne eine größere Gruppe von Gefolgsleuten gegen Konkurrenz durchsetzen. An dieser Netzwerkbildung ist erst einmal nichts Anstößiges. Gerhard Schröder hat das früh erkannt, aber ebenso haben andere erkannt, dass in diesem ehrgeizigen, eloquenten und eitlen Politiker jemand steckt, mit dem man arbeiten kann. Bingener und Wehner zeichnen den Werdegang Schröders in Niedersachsen und im Bund zügig nach – was da und wie das passierte, ist wichtig, um Schröder und seine Politik zu verstehen. Aber richtig interessant und skandalös wird es erst am Ende und nach der Kanzlerschaft Schröders, als er mit seinem Netzwerk auf ein anderes Netzwerk trifft: eines aus ehemaligen Geheimdienstlern um Wladimir Putin.   

Es ist das Verdienst des Autoren-Duos, die Person Schröder zwar ins Zentrum zu rücken, aber den Personen in seinem Netzwerk ebenso viel Aufmerksamkeit zu schenken, ihrem gemeinsamen Vorgehen, ihren Rollen und Funktionen bei dem Bemühen, Putins Russland in Deutschland immer mehr Einfluss zu verschaffen und vor allem das Gas-Geschäft fast bis zur totalen Abhängigkeit voranzutreiben. Die Liste der Namen ist lang, wurde über die Jahre immer länger – und es sind vor allem SPD-Granden.  

Vier Namen tauchen immer wieder auf. Es sind Gerhard Schröder, Matthias Platzeck, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel. Und je weiter man kommt in diesem Buch voller Fakten über die wirklich besonderen Finessen der eben genannten Protagonisten, desto deutlicher wird dem Leser, dass jeder seine Rolle im Netzwerk – oder sollte man sagen: Doppelnetzwerk? – bis ins Kleinste perfekt erfüllt.

Schröder regelt als Putins Lobbyist generell das Geschäftliche zwischen Russland und Deutschland. Das bedeutet, er arrangiert „Wechselbeziehungen“, wodurch deutsche Firmen in Russland und russische Firmen in Deutschland Fuß fassen und lukrativen Geschäften nachgehen können. Wobei er sich voll und ganz auch auf den Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft verlassen kann (oder um hier mal dessen Vorsitzenden nach dem Giftanschlag auf Nawalny zu zitieren: „Verständigung zwischen Deutschland und Russland muss Staatsräson bleiben.“)

Platzeck hingegen pflegt das Kontaktnetz aus deutsch-russischen Partnerschaften und Vereinen, führt so Menschen zusammen, die letztendlich dem Ansehen und der Propaganda Russlands dienen.

Steinmeier wiederum verteidigt, selbst von erschreckenden politischen Tatsachen unberührt und sich der offensichtlichen Wahrheit über den Charakter des Putin-Regimes immer aufs Neue widersetzend, das Märchen, Russland sei ein verlässlicher und seriöser Partner, mit dem man in einer „Modernisierungspartnerschaft“ mittels „gemeinsamer Grundüberzeugungen“ in vielen Feldern zusammenarbeiten könne und müsse, beispielsweise „bei der Klima- und Energiepolitik, im gemeinsamen Bemühen um Energieeffizienz, bei der Gesundheitspolitik, bei der Abfederung der Folgen einer älter werdenden Gesellschaft, auf den Feldern Bildung und Wissenschaft oder auch der Rechtsstaatlichkeit“ (sic).

Gabriel als Bundeswirtschaftsminister schließlich ist der Vollstrecker: Obwohl eigentlich die Trennung von Produzent, Pipeline-Betreiber, Gasspeicher-Eigentümer und Vertriebsgesellschaft angesagt sein sollte, um die Markmacht einzelner Akteure zu begrenzen, ermöglicht er das Gegenteil und sorgt für den Verkauf deutscher Energieinfrastruktur an Russland, ohne Hemmungen oder Bedenken.

All das ergänzt sich so perfekt, als hätten Putin oder der FSB das Quartett insgeheim gecastet.

Und damit auch ja nichts schief geht, haben diese an weiteren wichtigen Stellen im Gazprom-Konsortium alte Bekannte von der Stasi installiert, damit immer mehr Gas nach Deutschland fließt und deutsches Geld Putin und Konsorten die Kassen füllt. Bei dem Deal ist natürlich Putin der Koch, und die deutschen Helfershelfer sind die Kellner.

Diese Rolle wird ihnen aber großzügig vergolten. Nicht nur Schröder dürfte auf diesem Weg reich geworden sein, sondern auch der Ex-Stasi Matthias Warnig und der altgediente „Frog“ und SPD-Funktionär Heino Wiese. Und doch hat Putin das alles zum Schnäppchen-Preis bekommen. Denn nicht jeder ist käuflich, aber nichtsdestotrotz verführbar. Auch wenn man schon manch menschliche Schwäche gesehen hat in seinem Leben, so kommt man doch nicht aus dem Staunen heraus beim Blick in den Instrumentenkasten, mit dem gewiefte Strategen und Ex-Geheimdienstler wie Putin Menschen auf ihre Seite ziehen und binden (und auf den ersten Blick natürlich alles unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit). Da finden sich Kutschfahrten, Saufgelage, Luxus-Bankette, Orden, Honorarkonsul-Titel, Ehrendoktorwürden, „Spenden“, Autogramme, privilegierte Zugänge zu Putin, die Gründung von Vereinen, Foren, Think Tanks, Stiftungen, Instituten, dazu Sponsoring, Bauchpinseleien und Tarninstitutionen, ja, sogar Kinder, die Putin dem Ehepaar Schröder zum Adoptionsgeschenk gemacht hat. Man kann in dem Buch eine beliebige Seite aufschlagen und findet überall Abgründe, politischer und moralischer Art – und am Fuß liegen Geld, Einfluss, Prestige.

DIE WEGGUCKER

Natürlich würden sie alle bestreiten, als Instrumente für Putins Plan hergehalten zu haben, Russland als Imperium wieder zu errichten, die Länder Osteuropas in seinen Einflussbereich zu zwingen und die europäischen Demokratien durch Spaltung zu schwächen. Dabei ziehen sich doch unübersehbar Morde, Manipulationen und Massaker durch die Amtszeiten Putins. Aber man sah geflissentlich darüber hinweg, Schröder adelte Putin gar zu einem „lupenreinen Demokraten“, stellte die Verantwortung des Putin-Regimes für Auftragsmorde entgegen aller Erkenntnisse gar in Frage. Warum diese SPD-Politiker über die Jahre alle bekannten Tatsachen ignorierten, Warnungen vor Russlands imperialen Ambitionen in den Wind schlugen und jede Kritik am Beharren auf Putins Respektabilität zähnefletschend wegbissen, kann bislang nicht vollständig beantwortet werden. War es mehr als Chuzpe, Naivität, Gier, Skrupellosigkeit, Blindheit, Zynismus, Autosuggestion? Die Frage können auch die Autoren nicht endgültig klären. Vielleicht würde ein Untersuchungsausschuss helfen. Er ist schon lange fällig.

Eines kann man aber festhalten: Die Schröder-Connection hat dem Ansehen und der Integrität Deutschlands erheblich geschadet – und damit leider auch der Politik allgemein und der Demokratie besonders, die Schaden genommen hat in ihrer Glaubwürdigkeit und Akzeptanz.

DIE ROLLE DER MEDIEN

Ein paar Dinge kommen in dem Buch von Bingener und Wehner zu kurz. Da ist zum einen die Rolle der Unionsparteien. Dass sie in diesem Buch nicht auch behandelt werden, ist aber nachvollziehbar, denn die Rolle der SPD ist wegen ihrer komplexhaften Sympathie für Russland und dem latenten wie offenen Antiamerikanismus einfach der entscheidende Faktor für die fatale Bindung Deutschlands an Putins Regime.

Zu kurz kommt auch die Kritik an den Medien, obwohl diese ihrer Aufgabe nicht immer gerecht geworden sind. Zwar erwähnen die Autoren die servilen und lukrativen Dienste gewisser „publizistischer Wegbegleiter“, die schwarzen Schafe der Branche, die sich für mediale Gefälligkeiten bezahlen lassen. Aber manche Lücken und Unschärfen in der Berichterstattung der vergangenen Jahre sind schon auffällig und ärgerlich – und deshalb hätte man sie erwähnen sollen. So verkauften viele Journalisten Dmitri Medwedjew zu lange als „Liberalen“, obwohl das abgekartete Spiel zwischen ihm und Putin von Anfang an klar war. Auch war die Fixierung auf Schröder wegen seiner Prominenz als Ex-Kanzler verständlich, aber der Aufklärung abträglich. So blieben die Engagements von Henning Voscherau oder Brigitte Zypries lange unterbelichtet. Auch die Verstrickung von Ex-Stasi-Mitarbeitern in die Gazprom-Geschäfte hätte mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt. Besonders verdrießlich kann es einen machen, wenn man sieht, dass die Protagonisten dieses Skandals einfach weitermachen, dass ihnen immer noch Sendezeiten und Zeitungsseiten zur Verfügung gestellt werden. Ja, es machen einfach alle weiter, als wäre nichts gewesen, sie bekommen alle noch volle Aufmerksamkeit, sie können sich weiter selbst beweihräuchern und ihre falschen Geschichten verkaufen, vielleicht ein „Mea Culpa“ flüstern, dann neue Pläne machen, sie sind einfach nicht still, die Mikros immer noch offen, es sind schamlose und törichte Zeiten.

Doch weil das Buch von Reinhard Bingener und Markus Wehner so überaus wichtig, so gut recherchiert und geschrieben und vor allem so spannend ist, gebührt ihnen das letzte Wort: „Das Ziel Putins war es, den demokratischen Westen dauerhaft zu schwächen und zu spalten und die alte, von den USA dominierte Ordnung zu zerstören. Deutschland war dabei ein besonders lohnendes Ziel, weil es eine russlandfreundliche Haltung in den politischen und wirtschaftlichen Eliten gab. Da lag es nahe, Deutschland einerseits von russischer Energie abhängig zu machen und gleichzeitig in Propaganda und die politische Unterwanderung zu investieren. Dass Deutschland auf diese aggressive Politik lange nur mit Angeboten der Kooperation und Diplomatie reagiert hat, hat den Kreml ermuntert, weiter aggressiv vorzugehen. Dafür, dass Deutschland blind war gegenüber dieser Bedrohung, die für die Ukraine in einem schrecklichen Krieg endete, trägt Schröders Moskau-Connection eine bleibende Verantwortung.“

Reinhard Bingener und Markus Wehner: Die Moskau-Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit. München 2023, 18,- Euro