Der Bundestagswahlkampf geht auf die Zielgerade. Wieder einmal war er unbefriedigend, uninspirierend – und ziemlich lang. Das sollte man aus guten Gründen ändern. Ein Vorschlag.

Irgendwann in der dritten Woche des Bundestagswahlkampfs 2021 überkam mich der Gedanke, dass es schon reiche, dass es genug sei mit den sonderbaren Wahlwerbespots vor den Nachrichten, den bedrohlich großen Plakatwänden und den Trommelbotschaften, die man eh schon kennt. Aber da war der Wahlkampf noch nicht mal halb rum – und ich glaube, ich habe deswegen geseufzt und mich gleich danach mit einer Erinnerung an den letzten US-Präsidentschaftswahlkampf zur Ordnung gerufen. 

Keine Ahnung, wie die Amerikaner das aushalten. Denn zusammen mit den Vor- und dann den Präsidentenwahlen geht bald ein Jahr an Wahlkampf für das höchste Amt im Staate drauf. Und wie die Welt schon öfter erfahren konnte, gewinnt am Ende noch nicht einmal der qualifizierteste und charakterstärkste Kandidat. Und dann sind da noch all die anderen Wahlen für die übrigen politischen Ebenen bis hinunter zu den Sheriffs und Staatsanwälten. Bewundernswert. Die Stadt auf dem Hügel ist eben nicht nur Rom, sondern in hohem Maße auch Athen – es geht nicht nur um gefestigte Institutionen, sondern auch um die kompetitive Auswahl der Repräsentanten und Führer. Und das Land ist stolz darauf. Die Konkurrenz der Kandidaten ist hart, man braucht eine Menge Geld für den Wahlkampf und ganze Bataillone an Beratern und Fußvolk. Das ist auch ein Grund, warum der Wahlkampf in den USA so lange dauert: Da es keine staatliche Wahlkampffinanzierung wie in Deutschland gibt, braucht es riesige Spendensummen, die nicht in wenigen Wochen generiert werden können. Es braucht schon etwas Show und Spannung, um das nötige Geld einsammeln zu können. Aber wie überall in Demokratien schauen viele Menschen distanziert, gelangweilt bis ablehnend auf den „Wahlzirkus“. Vieles bleibt ihnen fremd und in Riten erstarrt, obwohl man doch in kleinen, unkonventionellen und quasi basisdemokratischen Abstimmungsrunden („Caucus“ und „Convention“) Vorauswahlen trifft. Vielleicht ist das auch einfach alles zu viel, und in der Ablehnung steckt vor allem Überdruss. Mit diesem Gefühl kennen wir uns in Deutschland natürlich auch aus.

ÜBERZEUGTE UND UNENTSCHIEDENE

Aber es liegt nicht am ausgegebenen Geld, wenn einen immer häufiger das Gefühl beschleicht, dass der Wahlkampf in Deutschland zu lange dauert. Rund 200 Millionen Euro bekommen die Parteien aktuell im Jahr. Davon werden von den Bundestagsparteien ca. 70 Millionen für den Wahlkampf ausgegeben. Das meint vor allem die heiße Phase von rund sechs Wochen, die allerdings nicht per Gesetz geregelt ist. Das Ziel des Wahlkampfs ist es von jeher, die eigenen Mitglieder und Sympathisanten zu motivieren und zu den Urnen zu rufen und die Unentschiedenen von der Stimmabgabe für die eigene Partei zu überzeugen. Doch es braucht definitiv keine sechs Wochen, um die eigene, immer kleiner werdende Gruppe von Sympathisanten bzw. Stammwählern für die eigene Sache zu gewinnen. Das geht auch schneller. Ein Wahlkampf ist ja keine Impfkampagne. 

Bleiben die Unentschiedenen – diese Gruppe wächst von Wahl zu Wahl. Dieses Mal erreicht sie den Spitzenwert von 40 Prozent. Und daran haben die bisherigen fünf Wochen Wahlkampf nichts geändert. Denn die Kandidaten überzeugen nicht, so sehr sie sich mühen. Und wenn sie überzeugten, so täten sie das von Anfang an. Was kann in einem deutschen Wahlkampf schon geschehen, damit aus einem Zwerg ein Riese wird? Die Medien bauen den Kandidaten zwar brav und fleißig eine Arena nach der anderen, und manchmal geben die Moderatoren einem Kandidaten sogar ein paar Vorlagen, weil sie hoffen, daraus entspränge spontan eine geniale Rede, ein überraschender „One-Liner“, das pfiffige Bonmot, das „tout Berlin“ verzaubert und den Trend zum Positiven wendet oder die Wahl sogar – nun ja – „entscheidet“. Aber nichts dergleichen passiert.

Vielleicht liegt es auch daran, dass Medien, wie große Teile des Publikums, eher an dem Beweis interessiert sind, dass auch der Sturz vom Rednerpult genug Fallhöhe hat, um als politische Erkenntnis durchzugehen. So warten sie alle auf einen großen Fauxpas, der die Chancen eines Kandidaten zerstört. Oder dass er bzw. sie zu sehr schwitzt. Seit Nixon vor über sechzig Jahren gegen Kennedy verlor, weil er beim TV-Duell etwas bartschattig aussah, glauben alle, es könnte ähnliches wieder unter den Augen der Kameras und vor Millionen Fernsehzuschauern geschehen. Und tatsächlich hat Laschet ihnen den Gefallen getan und am Beginn des Wahlkampfs einmal an der falschen Stelle sehr laut gelacht. Ergebnis: Die Zahlen gingen runter. Ähnliches bei Baerbock: Sie hat ihre Glaubwürdigkeit und Integrität durch Mogeleien auch gleich mal untergraben. Für die Medien ein Freudenfest. So können sie das Drama aufführen, dass der, der gleich beim Start stürzt, zu einer großen Aufholjagd ansetzt. Und der Wahlkampf, den man gerade noch den langweiligsten aller Zeiten nannte, wird nun zum spannendsten der Nachkriegszeit umetikettiert.

Pustekuchen! Schaut man sich die vielen Prognosen der unzähligen Meinungsforscher an, so bewegen sich die Prozentzahlen in einem Korridor, der so viel Abwechslung bringt wie der Blick in einen Tunnel zwischen zwei Bahnsteigen. Auch wenn Scholz-Fans anderes behaupten mögen. Alles, was sich jetzt als Prognose zeigt, ist schon in den Wochen vor dem Wahlkampf als Trend zu beobachten gewesen; spätestens seit der späten Ausrufung der Kandidaten von CDU/CSU und GRÜNEN. Nach sechzehn Jahren Kohl, pardon, Merkel musste es für jeden Kandidaten von der CDU/CSU schwer werden, ein Ergebnis zu erzielen, das ein Ticket für eine weitere Regierungsbildung bedeuten würde. Seit Jahren ist zudem klar, dass auch in Deutschland das Ende der stabilen Volksparteien gekommen ist, dass nun die Milieupartei mit schwankenden Ergebnissen die Regel sein wird. Auch die schmalen Schwankungsbreiten, wie wir sie jetzt haben, legitimiert keinen sechswöchigen Wahlkampf. Schließlich gibt es ohnehin jeden Tag im Jahr irgendwo mindestens eine politische Talkshow. Wenn die Leute sich nicht schon vorher ein Bild von den Politikern gemacht haben, die die Geschicke dieses Landes in die Hand nehmen wollen, dann können sie es in der Regel nach zwei oder drei Streitgesprächen oder eben überhaupt nicht – dann gehören sie zu den Unentschiedenen bis zum Schluss, weil keine Botschaft und keine Schlagfertigkeit und keine Farbe der Schuhe oder Krawatten irgend etwas bei ihnen bewirkt hat. 

Trotzdem wird der Wahlkampf in die Länge gezogen und produziert, je länger er dauert, nur noch Wiederholungen und Peinlichkeiten, über die sich allein jene Parteisoldaten freuen, die ihren Kandidaten ganz objektiv für den „Gewinner des Tages“ halten.

So sind die eigentlichen Gewinner des Wahlkampfs immer nur die Medien, die etwas inszenieren, was nicht da ist: Spannung. Aber ihr Drehbuch hat Schwächen, Lücken, Durchhänger. Und so bleibt keiner so richtig bis zum Ende der Serie. 

LOB DER KNALLHARTEN POLITIK

Natürlich könnte alles anders sein. Und zwar in nur drei Wochen. Es müsste bloß einen Wahlkampf geben, der mindestens drei richtig pfeffrige kleine und große Streitgespräche vorsähe und keine weichmoderierten Politschmonzetten. Keine schmunzelnde Aufwärmfragen mehr, keine menschelnde Kinderfragen, keine lebensweltliche Morgenmagazinfragen, sondern: knallharte Politik. Fragen mit Bruchkanten, an denen man abstürzen kann, wenn man keinen politischen Plan hat.

Habe ich es verpasst, oder hat zum Beispiel wirklich niemand auch nur ein einziges Mal danach gefragt, was in einem Jahr passiert, wenn die letzten deutschen Atomkraftwerke vom Netz gehen? Geben wir dann in den Braunkohlekraftwerken noch ein paar Schüppen drauf, oder borgen wir uns den Strom bei den französischen AKWs? (Ich bin übrigens kein Freund der Atomkraft, wüsste aber schon gerne, wie die Lücke so schnell geschlossen werden soll.) Vielleicht wüsste auch gerne die eine oder der andere, welche Maßnahmen für Klimaanpassungen in nächster Zeit finanziert werden, denn selbst wenn wir in Deutschland das Atmen und Arbeiten einstellen würden – die Klimaveränderungen werden bleiben. Auch nicht ganz uninteressant und immer noch nicht gestellt und beantwortet ist die Frage, wie die Rente der kreuzfahrtlustigen Generationen in Zukunft finanziert werden soll. Und dann ist da noch die Frage der fortlaufenden Migration und so weiter und so fort. Der ungestellten Fragen sind recht viele. Aber wie gesagt: Man könnte sie ganz konzentriert auch in drei Wochen stellen. Und wenn man sie in sechs Wochen nicht stellen will, dann reichen drei Wochen ohnehin.

Alles andere wie die Motivierung, zur Wahl zu gehen, sich selbst als Partei und Kandidat in ein gutes Licht zu stellen, die Gesichter auf den Wahlplakaten mit Hitlerbärtchen und Zahnlücken zu dekonstruieren, ein Baywatch-Team für einen absaufenden Kandidaten zu casten und am Ende noch ein paar Wahlversprechen aus der Schublade zu holen – das alles lässt sich ebenso in drei Wochen erledigen. Schließlich gibt es auch noch das Internet, die Zeitungen, die Post, die Kundgebungen und auf den Marktplätzen, die Stände der Parteien, um die man so gern einen großen Bogen macht. Das alles reicht doch. Ein zähflüssiger Wahlkampf der jetzigen Art verbreitet nur ein Unbehagen zwischen Verdruss und Überdruss.

Also, verkürzt künftig den Wahlkampf! Lasst bessere Regisseure und Drehbuchschreiber ran, die ihn mit relevanten, kurzweiligen und spannenden Inhalten inszenieren. Denn drei Wochen sind genug.