Die Todesopfer der Pandemie werden ausgeschlachtet und dem politischen Gegner in die Schuhe geschoben – in Amerika und bald womöglich auch in Deutschland. Das darf nicht passieren.

Die New York Times hat die Namen von Tausend Opfern der Corona-Pandemie auf die Titelseite gesetzt. Es gab viel Lob für diese Idee und die Reaktionen darauf zeigen, dass viele Leser diese Opfer mit Trump in Verbindung setzen und sie als „seine Toten“ sehen.

Nun würde zwar eine Liste der Dinge sehr kurz ausfallen, die an Trump nicht kritikwürdig ist, aber dennoch ist es falsch, ihm diese Toten so selbstverständlich anzulasten und in seiner Saloppheit irritierend. Diese Pandemie ist kein Flugzeugabsturz, wo es eindeutige Verantwortliche geben könnte, die diese Katastrophe erst möglich machten.  

Eine weitere Verrohung der politische Auseinandersetzungen

Covid-19 ist eine Herausforderung, bei deren Bekämpfung man bislang nur möglichst gut im Nebel stochern kann. Mehr ist noch nicht möglich, weil zu wenig über das Virus bekannt ist und sich der Wissensstand täglich ändert. Wer jetzt schon eindeutige Schuldige benennt, verfolgt damit zumeist eine Agenda. Nicht zufällig sind hierbei die Frontverläufe mit denen der politischen Lager praktisch identisch.

Wer nun anfängt, der Gegenseite mit einer solchen Unbekümmertheit Tote „anzuhängen“, leistet seinen Anteil an der weiteren Verrohung der politischen Auseinandersetzung. Wenn Trump nämlich für die Corona-Toten in den USA verantwortlich ist, was ist dann beispielsweise mit den Menschen in Deutschland, die früher an Krebs sterben werden, weil während des Lockdowns nötige Operationen verschoben wurden?

Die Krankenhäuser sprechen von mehr als 20.000 solcher nicht stattgefundener Eingriffe. Sind diese Toten dann Merkels Tote? Und die Suizide in Folge der Krise? Gehen die auch auf Kosten der Kanzlerin? Ganz zu schweigen von den Corona-Toten selbst, die es in Deutschland ja auch gibt. Mit diesen könnte ebenfalls eine Titelseite gefüllt werden.

Joe Biden muss der Versuchung widerstehen, wie Donald Trump auszuteilen

In den USA werden die Pandemie-Opfer ein großes Wahlkampfthema. Entscheidend wird sein, ob Joe Biden dabei Donald Trump diese Toten persönlich anlasten wird, so wie es schon jetzt viele Anhänger der Demokraten machen. Das wäre eine rote Linie, die eine politische Auseinandersetzung praktisch unmöglich machen würde. Zwar ist eine solche mit Trump ohnehin kaum zu erreichen, aber letztlich kämpft Biden nicht nur um das Weiße Haus sondern auch um die Rückkehr einer bestimmten politischen Kultur, zu der moralische Minimalstandards gehören sowie die Anerkennung von Fakten und gewisse Formen des Anstands und Respekts.

Diesem Anspruch könnte er nicht mehr genügen, wenn er den Fehler begeht und seinen Gegner auf diesem Ad Hominem-Niveau attackiert, auf dem Trump zudem Heimvorteil hat und ähnlich zurückschlagen würde. Wer sich aber gegenseitig als Mörder denunziert, kann keinen politischen Streit mehr austragen. Mit einem Mörder stellt man sich nicht auf eine Bühne und diskutiert über Steuern, Infrastruktur und Bildung. (Und mit seinen Anhängern auch nicht.) Ein Mörder gehört vor Gericht und dann ins Gefängnis.  

Trump ist kein Diktator, er ist an Gesetze gebunden und entsprechend ist weder seine Macht grenzenlos noch seine Verantwortung. Dass beispielsweise New York unter einem anderen 45. US-Präsidenten deutlich besser weggekommen wäre, ist reine Spekulation. Es wäre jedenfalls sehr erstaunlich, wenn es nicht noch ein paar mehr Gründe für die große Opferzahl in den Vereinigten Staaten geben würde als einen sowohl intellektuell als auch emotional überforderten Donald Trump. Die USA sind schließlich sowohl im Guten wie im Schlechten mehr als ihr jeweiliger Präsident.

Die US-Wahlen entscheiden über das Niveau der Bundestagswahl

Da auch in Deutschland nächstes Jahr Wahlen anstehen, dürfte der Umgang mit den Corona-Toten im amerikanischen Wahlkampf mit darüber entscheiden, ob und auf welchem Niveau in Deutschland die Toten instrumentalisiert werden. Die AfD jedenfalls hofft längst, dass sie ein neues Corona-Wutbürgertum abgreifen kann und hätte keine Hemmungen, mit Pandemie-Opfern Wahlkampf zu betreiben.

Die Art der Reaktionen auf den New York Times-Aufmacher lassen jedenfalls befürchten, dass die Hemmungen sinken, sich gegenseitig den Tod von Menschen vorzuwerfen, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Verlierer davon wären letztlich alle, denen die Demokratie etwas bedeutet. Sie kann nicht funktionieren, wenn man im politischen Gegner keinen Gleichberechtigten mit legitimen Interessen mehr sieht, sondern einen Mörder.