Mit der Kettensäge schreibt „Bild“ gerade gegen einen Wissenschaftler an. Aus der Perspektive des Blatts ist das unverständlich.

Disclaimer: Gegnerschaft zur „Bild“ ist für unseren Autor keine identitätsstiftende Emotion, im Gegenteil: Er hat dort schon veröffentlicht und ist großer Fan der Auslandsberichterstattung des Blattes. Außerdem ist die Axel Springer SE an seiner Firma beteiligt.

„Bild“ fährt derzeit eine beispiellose Kampagne gegen Christian Drosten, den Deutschland aus seinem erfolgreichen Podcast als den Coronaviruserklärer Nummer Eins kennengelernt hat. Dabei verhält sich das Blatt genau so, wie in dem Zerrbild, das seine schärfsten Kritiker bisher zu unrecht von ihm zeichneten.

Dabei wähnen sich die Redakteure als Aufklärer, die dafür sorgen, „dass die Öffentlichkeit versucht, diesen Streit (je nach Klientel: Disput, Zoff) aus dem Elfenbeinturm zu holen, damit die Masse leicht verständlich nachvollziehen kann, warum die Schulen geschlossen sind“.

Dazu ist zunächst anzumerken, dass „Bild“ nicht „die Öffentlichkeit“ ist, sondern ein Boulevardblatt, das, wenn es seinen Job ordentlich macht, den Gesetzen des Boulevards gehorcht. Und während Wissenschaftler ihren Austausch als kollaborative epistemologische Anstrengung erleben, kann „Bild“ gar nicht anders, als die Diskussion, die im Kontext wissenschaftlicher Publikationen idealerweise rein sachlich geführt wird, zu personalisieren und zu emotionalisieren.

„Voller Fehler, Vollidioten“

Den wissenschaftlichen Raum darf man sich so vorstellen: A: „Ich glaube, Sie haben X zu stark gewichtet, werter Kollege. Aus den und den Gründen.“ B: „Danke für den Hinweis, da gehe ich aber nur teilweise mit aus den und den Gründen. Ich habe nun X etwas weniger stark gewichtet.“ Und bei der nächsten Konferenz geht man natürlich wie gewohnt professionell, gar freundschaftlich miteinander um. Daraus wird dann bei „Bild“ sinngemäß: „Bs Studie voller Fehler! A hält B für einen Vollidioten!“

Das führt erstens dazu, dass der geneigte Leser, der in aller Regel einfach nicht weiß, wie die wissenschaftliche Methode funktioniert, jeden Glauben an „die Wissenschaft“ verliert, obwohl er nüchtern (!) betrachtet (und nüchterne Betrachtung ist das Handwerk des Boulevards genau nicht) Grund dazu hätte, schließlich sehen wir ihr grade live dabei zu, wie sie sich in lebhafter Diskussion kollaborativ der Wahrheit entgegenirrt.

Das führt dann zweitens dazu, dass alle zitierten Wissenschaftler sich distanzieren und eventuell in der nächsten Konsequenz nichts mehr im Pre-Print publizieren, weil sie wissen, dass sie damit Gefahr laufen, auf der Eins der „Bild“ zum Vollidioten und Volksfeind erklärt zu werden. Da bietet der Peer-Review-Prozess eines akademischen Papers den echten Vorteil, dass die Bluthunde des Boulevards nicht involviert sind. Kostet halt Zeit und im konkreten Fall genau deshalb Menschenleben, aber das würde ich, wäre ich Wissenschaftler, zugunsten meines persönlichen Wohlergehens (und wie man inzwischen befürchten muss dem meiner Familie) gewichten.

Wer dem Podcast von Prof. Drosten folgt, der weiss, dass er nicht müde wird, auf Ungenauigkeiten und Ambivalenzen seiner Arbeit hinzuweisen – und darauf, dass seine virologische Expertise eben nicht alleinige Grundlage für politische Entscheidungen sein kann oder soll, vielmehr fordert er, andere Disziplinen mit einzubeziehen in den Prozess der Entscheidungsfindung, konkret zuletzt Kinderärzte und Wirtschaftswissenschaftler. Damit hebt er sich übrigens angenehm ab von den medial bekannten Forschern der Klimawissenschaft, die nicht müde werden, sehr konkrete politische Forderungen zu formulieren.

Dazu ein kleiner Exkurs: Was passiert, wenn man – wie gefordert – CO2-Ausstoß auch nur ansatzweise in Richtung eines korrekten Preises verteuert, könnte einem ein Soziologe oder Politologe vielleicht im Vorfeld erklären. Inzwischen reicht ein Blick über die Grenze nach Frankreich, wo eine Konsequenz eines solchen Experiments konkret zu beobachten war. Die Leute steigen nicht massenhaft auf die umweltfreundliche Bahn um, sondern ziehen sich gelbe Westen an, legen den Verkehr lahm und werden anfällig für Verschwörungstheorien der ekligen Art. Exkurs Ende

Harald Lesch, Ranga Yogeshwar und Mai Thi Nguyen-Kim aka mailab in Ehren, aber ich habe bisher nicht erlebt, dass eine Einzelperson einem größeren Publikum nachvollziehbar und in ausgewogenen Worten Methoden und Vorgehen der Wissenschaft erklärt hätte.

Politisch neutral

„Bild“ unterstellt Drosten eine politische Macht, die er weder hat noch erstrebt. Drostens Popularität hat nachvollziehbare Gründe: Die Abwesenheit großer Eitelkeit, seine außerhalb der „Bild“-Redaktion vollkommen unbestrittene Kompetenz in der einzigen kleinen Fachdisziplin, zu der er sich öffentlich äußert. Hat irgendwer irgendeine Ahnung, wie er politisch steht? Nein. Weil er sich dazu nicht einlässt. Von der Linken bis zur FDP ist bei ihm alles denkbar, die AfD halte ich aus rein habituellen Gründen für unwahrscheinlich.

„Bild“-Chef Julian Reichelt hat gerne betont, dass die Leserschaft der BILD nach Parteienpräferenz politisch ziemlich genau die Verteilung in der Gesamtbevölkerung widerspiegele. Alle Umfragen (und das alltägliche Verhalten der Bevölkerung) legen nahe, dass eine weit überwiegende Mehrheit die Maßnahmen gegen das Virus für angemessen hält. Oberpopulist Donald Trump ist klug genug, sich nicht mit einer solchen überwältigenden Mehrheit anzulegen. Er ist zwar unglücklich, weil das amerikanische Drosten-Pendant Dr. Fauci sich beharrlich weigert, des Präsidenten verantwortungslosen Äußerungen beizupflichten oder sie unwidersprochen zu lassen. Doch er tastet ihn nicht an. Den einzigen Grund, warum er ihn nicht wie jeden anderen Kritiker in einem Regierungsamt bereits gefeuert hat, hat er selbst zu Protokoll gegeben: “

But I had no idea how popular the task force is until actually yesterday when I started talking about winding down. It is appreciated by the public.

Donald Trump


Würde ich ein Boulevardmedium führen, würde ich in diesem Fall meine repräsentative Leserschaft darin bestärken, im internationalen Vergleich ziemlich viel ziemlich richtig gemacht zu haben. Denn alle meine Leser waren daran beteiligt. (Wer britischen und US-Medien folgt, der weiß, dass Deutschlands Umgang mit der Pandemie in einem Atemzug mit dem Südkoreas als vorbildlich für eine große Industrienation herausgestellt wird.) Das könnte man, ohne ins ungut Nationalistische zu rutschen, feiern und ich vermute, die Leserschaft würde es zu großen Teilen goutieren. Warum „Bild“ sich nun exklusiv zum Sprachrohr der aufgeregten, lauten aber zahlenmäßig glücklicherweise irrelevanten Minderheit macht und als Kollateralschaden in Kauf nimmt, das verdiente Vertrauen von Teilen der Leserschaft in „die Wissenschaft“ nachhaltig zu untergraben, bleibt das Geheimnis Reichelts.