Hipster-Schnurrbärte, Craft-Bier, viel Leidenschaft und links – das ist Dulwich Hamlet FC aus London. „The Hamlet“, gegründet im Jahr 1893, spielt in Southwark im Süden von London in einem etwas maroden 3300-Zuschauer-Stadion, dem „Champion Hill“. Es gibt feines Craft-Pale-Ale statt Stadion-Plörre (ein Pint für fünf Pfund), Hühnchen-Souvlaki mit Salat und Pommes in Pita (sieben Pfund), […]

Hipster-Schnurrbärte, Craft-Bier, viel Leidenschaft und links – das ist Dulwich Hamlet FC aus London.

„The Hamlet“, gegründet im Jahr 1893, spielt in Southwark im Süden von London in einem etwas maroden 3300-Zuschauer-Stadion, dem „Champion Hill“.

Es gibt feines Craft-Pale-Ale statt Stadion-Plörre (ein Pint für fünf Pfund), Hühnchen-Souvlaki mit Salat und Pommes in Pita (sieben Pfund), statt Wurst und obwohl der Verein in pink-schwarz nur in der sechstklassigen National League South spielt, kommen an Wochenenden mehr als 3000 Fans. Der Klub ist kult.

Ein Fan-Fischer-Hut des Dulwich Hamlet FC – Foto: Til Biermann

Und das hat nicht viel mit überragenden Leistungen zu tun: Der vielleicht bekannteste Ex-Spieler ist Stürmer-Legende Peter Crouch, heute 41, der als 19-jähriger mal für sechs Spiele als Leihspieler kam.

Das Ambiente erinnert an das alte Arbeiter-Stadion des FC St. Pauli in Hamburg mit seinen Beton-Stehplätzen und morbidem Charme, das am Millerntor stand, bevor dort der moderne Fußballtempel gebaut wurde. Dulwich gehört per „Supporters Trust“ zu einem großen Teil den Fans, die sich oft politisch links sehen. Normale Tickets kosten zwölf Pfund, für Ärmere und Kinder gibt es auch welche für einen Pfund.

Hinter dem einen Tor hängt ein Banner mit „Don’t buy The Sun“ und einer Faust, die das Logo des Boulevardblatts zerschlägt. Einer der Hauptsponsoren ist „Defected“, ein House-Musik-Label, der passt zum Underground-Flair. Es ist ein Gegenentwurf zu Multi-Milliarden-Pfund-Operationen wie Manchester City und Liverpool.

Banner hinter dem Tor – Foto: Til Biermann

LGBTQ-freundlich

Aus einem Container heraus verkaufen Männer Fan-Artikel. Der Klub ist LGBTQ-freundlich, ein Fan-Schal extra in Transfarben, einer mit dem Regenbogen-Schriftzug „South London Pride“. Ein anderer ist wie das Dulwich-Auswärtstrikot in schwarz-weiß-roten Altona-93-Farben gehalten. Wer den für zehn Pfund kauft, unterstützt eine geplante Klubreise nach Hamburg.  

Altona 93, ebenfalls 1893 gegründet, spielt in der fünftklassigen deutschen Oberliga, ist „Schwesterklub“. Und die Liebe ist beidseitig: Altonas Auswärtstrikot ist schwarz-pink, wie das Heimtrikot der Briten.

Zwei Mal traten die befreundeten Klubs gegeneinander an. 2015 in London ging es 5:3 für Altona aus, 2018 in Hamburg 4:1 für Dulwich.

Fan-Sticker im Vereinsheim – Foto: Til Biermann

Im Vereinsheim mit Blick auf das Spielfeld kleben an einer Säule Altona-93-Sticker: „Love Altona – hate racism“ neben einem mit „Fridays for Future – Saturdays for Football“.

David Rogers, um die 50, erzählt, wie es zu der Freundschaft mit den Hamburgern kam: „Vor einigen Jahren besuchte unser mittlerweile verstorbener Fan Michi Morath Hamburg und fand dort Freunde. Die Fans besuchen einander oft. Unser Ziel ist langfristig, unseren Klub komplett zu besitzen. Wir wollen nebenan ein neues 4000-Zuschauer-Stadion bauen. Und hoffen, in die 4. Liga zu kommen.“

Die 4. Liga in England ist schon sehr professionell, mit einzelnen Spielermarktwerten von bis zu zwei Millionen Euro. Da würde der sympathische Hipster-Verein auf Klubs von reichen Mäzenen treffen.  

David Rogers ist auch im „Supporters Trust“ – mit diesem wollen die Fans den Klub langfristig übernehmen – Foto: Til Biermann

Hartes Spiel gegen Worthing FC

An diesem Dienstag geht es gegen Worthing FC, einem Klub von der Küste, der gerade aus der siebten Liga aufgestiegen ist und um die 100 Fans mitgebracht hat. Dulwich krieselt, man spielt gegen den Abstieg, der 13 Jahre lang amtierende Trainer Gavin Rose wurde gerade gefeuert, ein Jüngerer soll es jetzt richten, frischen Wind reinbringen.

Wie zu jedem Heimspiel gibt es ein liebevoll gemachtes Fan-Magazin. Zu jedem einzelnen Spieler des Gegners Worthing hat da jemand eine kleine Biographie geschrieben mit Beschreibungen wie: „Als ein in der Heimat gewachsener Felsen machte er mit 17 Jahren sein erstes Spiel für die erste Mannschaft, bevor er eine Karriere voller Tore an der Nyewood Lane begann.“

Der „Champion Hill“ liegt neben einem Supermarkt in einem Arbeiter-Stadtteil von London. Die Fans kämpfen darum, ein neues Stadion mit mehr Kapazität nebenan bauen zu dürfen – Foto: Til Biermann

Der Fußball ist gut, viele Spieler beider Mannschaften waren in Jugendakademien von Profi-Klubs, sie verdienen auch Geld (der Ligadurchschnitt liegt bei 1200 Pfund im Monat, Dulwich soll mehr zahlen), die Struktur ist semiprofessionell. Dulwichs Nummer 26, Kreshnic Krasniqi, ein kräftiger Kosovare, dem nur etwas die Sprintschnelligkeit fehlt, spielt schöne Pässe und kann seinen Körper gut einsetzen. Aber der Ball geht nicht rein.

Anders die effektiven Gäste: In der 36. Minute vollendet Worthing einen Konter, 0:1 durch Ibby Akanbi, ein flacher Schuss ins rechte Eck, ein Stich ins Dulwich-Fan-Herz.

Der Ball will für Dulwich einfach nicht rein

In der Pause dudelt es aus den Boxen „Das Model“ von Kraftwerk, vielleicht ein Gruß an den deutschen Schwesterklub. Der Stadionsprecher ermahnt, ein Fan habe sein Fahrrad an das Geländer eines Aufgangs angeschlossen, er solle das abschließen, sonst käme ein Bolzenschneider zum Einsatz, die Leute lachen.

In der zweiten Hälfte macht Dulwich Druck, aber immer wieder scheitern die Londoner vor dem Tor. Der Stürmer mit der 9, Danny Mills, groß, schlank, feine Technik, aber leider auch etwas langsam, macht ihn nicht rein. Mal landet der Ball in den Armen des Torwarts, mal geht er knapp vorbei.

Die Grätschen sind hart, teils beidfüßig, manche Aktion, die hier laufen gelassen wird, hätte in Deutschland zumindest eine gelbe Karte gekostet. Die Spannung steigt, es wird immer mehr das alte britische Kick-and-Rush – lang und schmutzig in den Strafraum und hinterherrennen.

Knapp daneben ist auch vorbei

In der 85. Minute, mitten in der Druckphase des Heimteams, läuft ein Dulwich-Verteidiger, Jack Holland, ein Hühne mit der Nummer 6, einem Worthing-Stürmer den Ball ab und setzt seinen Körper geschickt ein. Der Stürmer, Javaun Splatt, zufälligerweise Zwillingsbruder des Dulwich-Verteidigers Jamie Splatt, revanchiert sich mit einem Faustschlag ins Gesicht, der Hühne fällt wie ein Baumstamm, bleibt liegen. Es gibt Tumulte, eine rote Karte. Ein Worthing-Fan rennt auf’s Feld und mischt mit.

Aber auch in Überzahl gelingt das 1:1 trotz weiterer Chancen nicht mehr. Wieder eine Niederlage. Die Fans werden trotzdem wiederkommen – die kommenden Spiele an Wochenenden sind schon ausverkauft – denn dieser London-Klub ist kult.

Die Nummer 6 von „The Hamlet“, Jack Holland, liegt gefällt am Boden