Der Trumpismus lebt
Bei den amerikanischen Zwischenwahlen könnten Putinisten gewinnen, die Amerika gerne nach dem Vorbild des orbánschen Ungarn umbauen möchten. Auch für Deutschland und Europa ist das enorm gefährlich.
Liebe Deutsche! Ich bitte um einen Moment Eurer geschätzten Aufmerksamkeit. Ich weiß, Ihr seid gerade damit beschäftigt, Euch vor den Atomschlägen zu fürchten, mit denen Putin droht, und Euch auf einen kalten Winter mit grauenhaften Energiepreisen vorzubereiten — aber wir hier in der Neuen Welt haben auch ein paar Probleme. Uns stehen die wichtigsten Zwischenwahlen der amerikanischen Geschichte bevor, und es sieht leider nicht gut aus.
Als 2020 Joe Biden die Wahl gewann, gab es Leute — ich gehörte zu ihnen — die hofften, nun hätten wir die widerwärtige und furchterregende Trump-Episode der amerikanischen Geschichte hinter uns, und diese Hoffnung mit der Wirklichkeit verwechselten. In Wirklichkeit leidet der Patient — die amerikanische Republik — aber immer noch an hohem Fieber. Der Fieberherd steckt immer noch tief im “body politic” und vergiftet das Blut.
Die Republikanische Partei — die schon vor Trump zersetzt war von tumben Ayn-Rand-Anhängern, Rassisten, Verschwörungsgläubigen — hat zwei Radikalisierungsschübe erlebt: Der erste war 2016, als Trump Präsident wurde. Der zweite war 2020, als Trump verlor. Es ist mittlerweile unter Republikanern ein Dogma, dass nicht Joe Biden, sondern ihr blondes Idol die Wahl gewonnen habe, und jeder Wahlsieg der Demokraten auf Wahlbetrug basiere. Der Putschversuch vom 6. Januar 2021, als eine faschistische Horde mit Konföderiertenflaggen und “Camp-Auschwitz”-T-Shirts das Kapitol überrannte Polizisten mit Fahnenstangen verprügelten, den Vizepräsidenten und die Sprecherin des Repräsentantenhauses lynchen wollten, gilt in republikanischen Kreisen mittlerweile als friedlicher Spaziergang von amerikanischen Patrioten; die “Black-Lives-Matter”-Demonstrationen (von denen die meisten tatsächlich gewaltfrei blieben), so heißt es, seien doch viel schlimmer gewesen.
Tonangebende Radikale
Neulich drang ein Mann, der an die üblichen rechtsradikalen Verschwörungstheorien glaubt, mit einem Hammer in das Haus von Nancy Pelosi in San Francisco ein. Er wollte sie umbringen. Als er sie nicht fand, griff er Paul Pelosi, Nancy Pelosi Ehemann, an. Der liegt jetzt mit einer Schädelfraktur im Krankenhaus. Mitt Romney und Mike Pence haben den Mordanschlag verurteilt. Nicht aber der Sprecher der republikanischen Fraktion im Repräsentantenhaus. Und natürlich nicht Donald Trump. Gewalt und die Drohung mit Gewalt ist für die Republikanische Partei mittlerweile etwas Normales geworden — siehe die unzähligen Werbespots, auf denen Kandidaten und Kandidatinnen mit Knarren posieren.
Gewiss, auch die Demokratische Partei hat ihre Radikalen. Aber die Linksradikalen und Antisemiten bilden dort den Rand. In der Republikanischen Partei geben die Radikalen den Ton an: Bei Marjorie Taylor Greene, die dumm, bösartig und verrückt zu gleichen Teilen ist, handelt es sich um eine Anführerin, keine Randerscheinung. Sie repräsentiert genau das, was die republikanische Parteibasis will.
Wie werden die Zwischenwahlen ausgehen? Das weiß zur Stunde kein Mensch. Eigentlich ist die Logik, dass in den Midterms die Partei gewinnt, die nicht das Weiße Haus kontrolliert; denn in den Zwischenwahlen wird nach zwei Jahren Amtszeit des Präsidenten die Frage gestellt: “Irgendwelche Beschwerden?” Und dann gehen vor allem die Kritiker zur Wahl, während die Anhänger des Präsidenten zu Hause bleiben. Normal ist darum auch eine geringe Wahlbeteiligung: Wenn 70 Prozent sich am Wahltag die Decke über den Kopf ziehen, ist das nicht ungewöhnlich. Vor allem junge Leute, die sich in Amerika ohnehin kaum für Politik interessieren, bleiben bei den Zwischenwahlen gern zuhause. In diesem Jahr ist die Zahl der Leute, die früher wählen gehen oder von der Briefwahl Gebrauch machen, exorbitant hoch — vor allem junge Frauen, die tief erzürnt sind von der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, das Recht auf Abtreibung zu kassieren, beteiligen sich an der Wahl. Das ist eine gute Nachricht für die Demokraten.
Gleichzeitig sind die Umfragen aber ominös. Eigentlich rechnet jeder damit, dass die Demokraten zumindest die Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren, und vielleicht verlieren sie auch noch den Senat. Viele Biden-Anhänger sind enttäuscht, weil die Inflation hoch ist (obwohl sie in den Vereinigten Staaten geringer ist als in Europa), weil Benzin immer noch viel kostet (obwohl die Preise ständig sinken) und weil Biden alt ist und manchmal stark stottert (obwohl er in seiner Rede, in der er die Trumpfaschisten als Gefahr für die Demokratie bezeichnet hat, sehr deutlich artikuliert hat).
Was passiert, wenn die Republikaner gewinnen?
1) Die Republikaner werden ein Amtsenthebungsverfahren nicht nur gegen Joe Biden, sondern auch gegen Vizepräsidenten Kamala Harris und Merrick Garland, den amerikanischen Justizminister, einleiten. Schließlich hat Joe Biden die Frechheit, sich Präsident zu nennen. Kamala Harris ist schwarz und eine Frau, und wenn das als Grund für ein Amtsenthebungsverfahren nicht reichen sollte, wird sich schon irgendetwas finden. Merrick Garland ist Jude und besitzt die Unverschämtheit, ein Strafverfahren gegen Donald Trump anzustrengen. Zwar ist nicht anzusehen, dass ein solches Amtsenthebungsverfahren auch bis zum Ende durchgezogen werden kann — aber es wird ausreichen, um die Vereinigten Staaten in ein innenpolitisches Chaos zu stürzen. Es wird beweisen, dass die Republikaner sich nicht mehr wie eine politische Partei benehmen, sondern wie eine Bürgerkriegspartei mit einem bewaffneten und einem unbewaffneten Flügel.
2) Die Zahl der politischen Gewaltakte, die schon jetzt hoch ist, wird steil ansteigen. Mit Attentaten und Bombenexplosionen muss gerechnet werden. Nicht umsonst ist das Recht auf privaten Waffenbesitz (von dem, entgegen anderslautenden Gerüchten, NICHTS in der amerikanischen Verfassung steht) für die Republikaner zu einem Fetisch geworden: Sie haben sich in der Tat bis an die verrotteten Zähne bewaffnet.
3) Die Waffenlieferungen für die Ukraine werden zumindest in Frage stehen. Die Republikaner im Senat bewahren immer noch eine Art Muskelreflex aus der Zeit des kalten Krieges: Sie waren wenigstens in dieser Hinsicht noch verlässliche Reagan-Anhänger. Für die Republikaner im Repräsentantenhaus gilt das keineswegs. Sie sind Tucker-Carlson-Republikaner. Und Tucker Carlson, der die erfolgreichste Show im amerikanischen Kabelfernsehen veranstaltet, stellt alles an prorussischer Propaganda in den Schatten, was Ihr, liebe Deutsche, so gewöhnt seid: Er ist brutaler und schlimmer als Frau Wagenknecht, Herr Precht und Herr Welzer im Gesamtpaket. Der Mann ist so gut, dass er regelmäßig im russischen Propagandafernsehen zitiert wird!
Außerdem wird es noch eine langfristige Folge des Wahlsiegs der Republikaner bei diesen Zwischenwahlen geben: 2024 kann nicht mehr garantiert werden, dass ein Wahlsieg des demokratischen Präsidentschaftskandidaten auch anerkannt wird. Denn die Auszählung der Wählerstimmen obliegt den “Secretaries of State” der einzelnen Bundesstaaten; wenn jemand “Secretary of State” ist, der entgegen aller Evidenz an einen Wahlbetrug glaubt, kann er dem Ergebnis den amtlichen Stempel verweigern. Dann können von den Republikanern dominierte Bundesstaaten Gesetze verabschieden, dass die Wahlleute, die nach Washington geschickt werden, gar nicht das Wahlergebnis widerspiegeln, sondern selbstherrlich von den Landesparlamenten geschickt werden.
Kurz gesagt: Wenn diese Zwischenwahlen in die Hose gehen, sind die Vereinigten Staaten in zwei Jahren vielleicht schon keine Demokratie mehr. Die Republikaner sagen in aller Offenheit, was ihr Modell für ein Gemeinwesen ist: das korrupte, autoritäre und rassistische Ungarn. Vielleicht solltet Ihr, liebe Deutsche, diesen Zwischenwahlen also ein bisschen mehr Aufmerksamkeit schenken. Und schon jetzt darüber nachdenken, wie ihr zusammen mit den anderen Europäern Eure Landesverteidigung organisieren wollt, wenn die NATO nicht mehr da ist.