Morast eines frei drehenden postkolonialen Anti-Imperialismus
Die „Israelkritik“ von Amnesty sagt viel über die NGO und ihre Unterstützer und nichts über den jüdischen Staat aus.
Die schlechte Nachricht für Kommentatoren zuerst: In der unsäglichen Causa Amnesty ist inzwischen fast alles gesagt, und auch nahezu von jedem. Besonders Sascha Lobos punktgenaue Mittwochskolumne im Spiegel hat das Thema final abgehandelt, und auf sie auch nur ein Wort draufzusatteln, hieße eigentlich Eulen nach Athen zu tragen. Vor allem aber hat die plumpe Amnesty-Kampagne mit ihren schon tausendfach vorgebrachten und jedes Mal wieder als wagemutiger Tabubruch in Szene gesetzten Attacken gegen Israel nicht die Gratis-PR verdient, die die vielstimmige Kritik ihr seit Tagen verschafft. Man hat es, um nicht über Gebühr zu pauschalisieren, zumindest in der britischen Zentrale von Amnesty International ganz offensichtlich mit einer Organisation zu tun, die den jüdischen Staat schlicht und ergreifend hasst.
Unter denen, die sich ernsthaft mit der Bekämpfung von Antisemitismus beschäftigen, überrascht das zwar exakt niemanden. Aber es hat sein Gutes, dass als Folge der aktuellen Empörungswelle auch in Deutschland endlich ein blendend helles Schlaglicht auf den antiisraelischen Feldzug im NGO-Sektor fällt. Auch Menschenrechtsorganisationen, die an anderer Stelle sinnvolle Arbeit tun, sind nicht dagegen gefeit, im pseudomoralischen Morast eines frei drehenden postkolonialen Anti-Imperialismus stecken zu bleiben.
Das gilt besonders für Amnesty, das mit seiner karikaturhaften Dämonisierung Israels als „Apartheid“-Staat den Bogen überspannt und damit in der deutschen Debatte selbst wohlgesonnene Beobachter verprellt hat. Hierzulande ist die Gesellschaft nach einem Jahrzehnt wüster antiisraelischer Demonstrationen und langer Debatten um die BDS-Kampagne inzwischen offensichtlich stärker für die Existenz von israelbezogenem Judenhass sensibilisiert als eine international tätige Menschenrechtsorganisation wie Amnesty International. Nur so ist zu erklären, dass selbst die Tagesschau AI von der Fahne gegangen ist, dass die Bundesregierung den „Apartheid“-Vorwurf klar zurückwies und dass auch Mitglieder des Bundestages, die anders als die AfD nicht allein durch performativen Nonsens auffallen, ihre Mitgliedschaft bei AI öffentlichkeitswirksam kündigten. Im Grunde begrüßenswert ist, dass die deutsche AI-Sektion es in diesem Umfeld immerhin vorzog, wortreich ihr eigenes Schweigen anzukündigen und den Londoner Bericht nicht weiter zu verbreiten, aber auch hier bleibt Sascha Lobo einschlägig: „Für mich klingt das wie: Für unseren antisemitischen Israelhass seid ihr einfach zu emotional wegen des Holocaust.“ Stand heute (3. Februar) führt auf der deutschen AI-Webseite übrigens ein Klick auf den Bericht direkt und kommentarlos zum englischsprachigen Original.
Es ist in dieser Lage leicht, auf Amnesty einzudreschen, das sich demonstrativ keiner Schuld bewusst ist und in Person seiner Generalsekretärin Agnès Callamard lieber der israelischen Regierung Ablenkungsmanöver vorwirft, als vor der eigenen Tür zu kehren. Würde Bigotterie schreien, wir alle wären längst taub.
Nur muss man kein Politologe oder Völkerrechtler sein, um zu erkennen, dass unter solchem Zirkus vor allem die seriöse Arbeit für Menschenrechte leidet, die es heute mehr denn je bräuchte. Anstatt aber den kostbaren Platz auf der Bühne der öffentlichen Wahrnehmung für wichtige Themen freizuhalten, zettelt AI ohne Not einen sinnlosen Zwist mit der Demokratie Israel an – ob für Klicks und Spenden oder aus finstereren Motiven, sei dahingestellt. Dass Amnesty und andere NGOs solche strategischen Entscheidungen treffen, ist Tatsache, aber für die Freiheit in der Welt ist es kein Gewinn. Anders dagegen für die Politologen und Völkerrechtler, die Psychologen, Soziologen und Historiker der Zukunft, die sich über reichlich Quellenmaterial freuen können. Und wer weiß, vielleicht gelingt ihnen ja die Beantwortung der Frage, an der wir heute scheitern: Was soll das alles, Amnesty?