Die Corona-Demonstrationen zeigen, dass immer mehr Menschen Spektakel mit Politik verwechseln. Nicht zuletzt „ironische“ Politprojekte haben dafür den Weg bereitet – nur, dass heute niemand mehr lacht.

Wem dieser Tage der Sinn nach Realsatire steht, der muss den Blick nicht lang schweifen lassen. Immer aggressiver werdende Proteste, bei denen Reichsbürger, Aluhüte und klassische Neonazis ironischerweise gegen Maßnahmen zum Schutz der Volksgesundheit demonstrieren, bestimmen seit Wochen die Schlagzeilen. Die wütenden Hausfrauen und spinnerten Esoteriker in Ballonhosen, die diesen harten Kern umkreisen, hätte die heute-Show erfinden müssen, wenn es sie nicht bedauerlicherweise schon gäbe.

Leider neigen aber auch Menschen, die ohnehin schon ihre eigene Karikatur sind, mitunter dazu, die Grenze von der unfreiwilligen Belustigung zur offenen Fremdscham noch einmal mit Schmackes zu überspringen. So geschehen bei einer „Querdenken“-Kundgebung am Samstag in Hannover, als eine Rednerin sich im Brustton der Überzeugung mit, Sie ahnen es, Sophie Scholl verglich. Ihre Begründung: Auch sie sei „seit Monaten aktiv im Widerstand.“ Was so weit Alltag ist im Paralleluniversum von Impfmafia und Zwangschippung, bekam an diesem Tag einen unterhaltsamen Dreh, als plötzlich ein Ordner lautstark dazwischenging und unter Verweis auf die offensichtliche Holocaustverharmlosung den Dienst quittierte. Die verhinderte Widerstandskämpferin, die eben noch erklärt hatte, sie werde „niemals aufgeben“, legte daraufhin als krönenden Abschluss einen tränenreichen Ragequit hin.

Man kann solche Szenen, von denen selbst Sacha Baron Cohen sich mit Schamesröte abgewendet hätte, mit einem tiefen Stoßseufzer und dem üblichen „Deutschland 2020“ kommentieren. Aber wer das allgemeine Abdriften in den Wahnsinn nur auf „Soziale Medien“ oder noch simpler auf einen gesellschaftlichen Rechtsruck schiebt, der macht es sich deutlich zu leicht. Unironische Politperformances wie am Samstag in Hannover (oder auch in Leipzig, Stuttgart, Berlin usw., die Liste ist lang) sind die logische nächste Eskalationsstufe nach der Politperfomance mit Ironie. Und auf diesem Gebiet sind wir nach jahrelangem Trommelfeuer inzwischen hinreichend desensibilisiert.

Es ist zweifellos Zufall, aber durchaus ein passender, dass das verharmlosend „Spaßpartei“ genannte Demokratieverachtungsprojekt namens „Die PARTEI“ just in dieser Woche mit dem Ex-SPD-Querschläger Marco Bülow seinen ersten Bundestagsabgeordneten gewonnen hat. Bülow vertritt nun auf der größten Bühne der bundesdeutschen Demokratie eine Anti-Parteien-Partei, deren inhaltlicher Kern es ist, zu zeigen, dass niemand in der Politik irgendetwas ernst meint, und deren Programm es folgerichtig ist, alles und jeden der Lächerlichkeit preiszugeben, weil ohnehin alles lächerlich ist. Zwinkersmiley.

Bestenfalls Sonneborn, schlimmstenfalls Trump

Auch wenn das performativ von Hannover nicht mehr weit entfernt ist, muss man Martin Sonneborn, dem Schutzheiligen der Zoten und Witze nach dem vierten Bier, nicht unterstellen, dass er der parlamentarischen Demokratie von Beginn an ernstlich schaden wollte. Aber mit dem Wollen ist das so eine Sache. In einer Zeit, in der politische Debatten mehr und mehr über Videoclips aus Late-Night-Shows und ironisierende Memes ausgetragen werden, passt ein Politiker, der sich selbst als Satire auf Politiker versteht, leider so perfekt wie schale Witze in die Titanic. Über Kopfplakate mit Slogans wie „Der Krise ein Gesicht geben“ haben wir alle gelacht. Aber der Spaß hört auf, wenn die explizite Verächtlichmachung der Demokratie zum Inhalt parlamentarischer Entscheidungsprozesse wird. Menschen wie Sonneborn und Nico Semsrott schlüpfen in ihrem ironischen „Job“ nicht weniger ins demokratische Kostüm als der zart besaitete Sophie-Scholl-Aufguss in Hannover, der seine Demonstration als ernstes politisches Aufbegehren missversteht.

Gemeinsam ist ihnen, dass sie ihren demokratischen Kontext bestenfalls zitieren, aber nicht wirklich ausfüllen – entweder, weil sie ihn nicht verstehen oder oder weil er ihnen schlicht egal ist. Echte Politik erschöpft sich nun einmal nicht in Practical Jokes und Youtube-Videos, sondern sie ist langwierig, langweilig, zäh und in der Regel alles andere als unterhaltsam. Wer dagegen Entertainment in der Politik das Wort redet, landet im besten Fall bei Martin Sonneborn, im schlimmsten bei Donald Trump. Erstrebenswert ist beides nicht. 

Das Extrembeispiel Trump zeigt auch, wie schnell ein feixendes Online-Publikum aus Spaß Ernst werden lassen kann. Nicht ohne Grund, so schreibt die amerikanische Politikwissenschaftlerin Anne Applebaum in ihrem jüngsten Buch Twilight of Democracy, hätten „ironische“ Kandidaten zuletzt auch Wahlen etwa in Island, Italien oder Serbien gewonnen: „Eine Generation junger Leute betrachtet Wahlen inzwischen als Gelegenheit, ihre Geringschätzung für die Demokratie zu zeigen, indem sie bewusst Kandidaten wählen, die nicht einmal mehr so tun, als hätten sie ein politisches Programm.“ Auch bei uns dürfen ganz unlustig die Alarmglocken schrillen, wenn bei der Europawahl im vergangenen Jahr fast jeder zehnte Erstwähler seine Stimme an „Die Partei“ verschwendet hat – noch dazu mit hochgradig besorgniserregenden Begründungen wie „Ich nehme ihnen ab, dass sie das ehrlich meinen.“

So dreht sich erneut die Diskursmühle des Internets, die alles, was irgendwann als ironischer Kalauer anfängt, so lange mit dem Mühlstein des „Warum eigentlich nicht?“ zermahlt, bis am Ende Rudy Giulianis Pressekonferenzen live im Fernsehen übertragen werden. Und so wie am Samstag in Hannover lacht dann niemand mehr.  

Auch wenn wir uns alle nach Kurzweil sehnen, sollten wir nicht vergessen, dass Politik kein Meme ist und Performance den Gesetzgebungsprozess nicht ersetzt. Wenn wir anfangen, das eine mit dem anderen zu verwechseln, dann ist es um die Demokratie auf Dauer schlecht bestellt.

Lesen Sie dazu auch die Replik von Konrad Müller.