Bundeskanzlerin Merkel ist mit „unserer schönen Nationalhymne so wie sie ist“ zufrieden. Eine Abwandlung zugunsten der geschlechterneutralen Sprache hält sie für unnötig – ein Fehler, findet unsere Gastautorin.

Liebe Leserinnen,

heute möchte ich Ihnen erklären, warum das Gendern keineswegs Wahnsinn ist.

Moment –Sie heißen Fritz, Franz oder Felix und fühlen sich jetzt nicht angesprochen? Stellen Sie nicht so an! Sie sind mitgemeint. Meine Herren! Mann kann es auch übertreiben mit der Empfindlichkeit. Jetzt fühlen Sie sich diskriminiert? Na endlich.

Dann brauche ich diesen Artikel eigentlich gar nicht weiter zu schreiben. Sie haben das Problem verstanden. Mein Problem und das Problem des anderen Geschlechts, das über die Hälfte der Weltbevölkerung ausmacht: Die Mitgemeinten.

Mitgemeint bin ich seit der zweiten Klasse. Es war 2005, Merkel wurde Kanzlerin und meine erzkonservative Grundschullehrerin echauffierte sich vor der ganzen Klasse über einen Brief in dem stand: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, …“.

Jeder wisse ja schließlich auch so, dass im Kollegium auch Frauen seien – tatsächlich gab es aber nur einen einzigen männlichen Lehrer an unserer Schule.

Das war ihr egal. Auch wunderte es mich, wenn sie von den tollen Leistungen ihrer Schüler sprach, hatte ich mich doch genauso angestrengt wie meine männlichen Mitschüler. Heute weiß ich: Ich war mitgemeint. Doch wie hätte ein 8-jähriges Mädchen das ahnen sollen? Die Leistungen der Hälfte der Klasse wurden faktisch nicht zur Sprache gebracht und das vermittelte ein Gefühl: Meine Leistungen sind nicht der Rede wert. Ich bin nicht der Rede wert. Wie soll sich eine Mitgemeinte als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft fühlen, wenn sie dieser Gesellschaft nicht der Rede wert zu sein scheint? Denn zur Sprache gebracht zu werden bedeutet Wertschätzung.

Gendern ist so umständlich

Doch Fritz, Franz und Felix haben ein gutes Argument: „Gendern ist so umständlich“, sagen sie. Gendern ist so unbeliebt, so unpopulär, dass das Wort mir sogar beim Verfassen dieses Artikels von meinem Schreibprogramm rot unterstrichen wird. Ich kann Fritz, Franz, Felix und Microsoft Word zwei Dinge entgegnen:

Erstens: Gendern ist Gewohnheitssache. Dass Sprache nicht statisch ist, vor allem in Bezug auf Geschlechterrollen, haben wir aus der Geschichte gelernt. Das Wort „Fräulein“, als Bezeichnung unverheirateter Frauen war noch bis in die 80er-Jahre eine geläufige Anrede. Dem sprachlichen Kleinermachen einer Frau, ihren Wert in Abhängigkeit zu einem Mann zu stellen setzte 1972 Hans-Dietrich „Genschman“ Genscher ein Ende. Über zehn Jahre danach hatte die Gesellschaft es sich schließlich abgewöhnt. Was in den 70ern möglich war, war können wir heute in Bezug auf das Gendern erst recht schaffen.

Zweitens: Totschlagargument Artikel 1 , Absatz 1 Grundgesetzbuch. Dort steht nicht etwa : „Die Würde des Menschen ist unantastbar (es sei denn man kann Satzzeichen sparen)“. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Punkt.

Wertschätzung

Würde bedeutet Wertschätzung. Wertschätzung bedeutet, nicht übergangen zu werden. Also lieber, Fritz, Franz, Felix, liebe Grundschullehrerin, liebes Microsoft Word: Meine Würde ist
die zusätzlichen Satzzeichen wert.

Ich bin der Rede wert.

Die Autorin Katharina Kunert ist Journalistin in Berlin. Sie studiert Geschichte und Gender Studies. Ihr Themenschwerpunkt ist Feminismus.