Es ist üblich geworden, alles, was nicht links ist, gleichermaßen als rechts abzutun. Damit verschwindet aus der Sprache eine politische Kategorie, die benötigt wird. Das schadet der demokratischen Debatte und die Extremisten freuen sich.

„Geh’ doch nach drüben!“ In den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts mussten sich westdeutsche Linke und Linksliberale diesen dummen Spruch häufig anhören. Kaum hatte man ein kritisches Wort über die Zustände in der Bundesrepublik gesagt, war die Antwort: „Dann geh doch nach drüben!“. Es nützte nichts zu erklären, dass man „drüben“ keinesfalls besser fand, dass demokratische Linke dem Ulbricht-Regime ganz besonders verhasst waren und verfolgt wurden. Vergeblich. „Links“ war für westdeutsche Gesinnungshausmeister im Osten hinter der Mauer.

In ihrer Begrüßungsansprache zur Diskussion zwischen Durs Grünbein und Uwe Tellkamp sprach die Dresdner Kulturbeigeordnete Annekatrin Klepsch von „rechts verorteten Verlagen“ – und meinte offenbar den Antaios-Verlag des Götz Kubitschek. Rechts verortet? Ist nicht auch die CDU rechts verortet? Wenn ein völkischer Agitator wie Kubitschek nur „rechts verortet“ ist, wie nennt man dann einen konservativen Parlamentarier? Alles irgendwie rechts? Alles eine Soße? Fast täglich kann man in Zeitungen lesen, in Radio und Fernsehen hören, wie Beate Zschäpe (NSU) ebenso mit dem Wörtchen rechts eingeordnet wird wie Thilo Sarrazin (SPD) oder Markus Söder (CSU).

IN GEFAHR: DIE PLURALISTISCHE GESELLSCHAFT

Meist geschieht dass vermutlich unbewusst und ist lediglich Teil einer allgemeinen sprachlichen Schlampigkeit. So wie Attentate, Amokläufe, Terroranschläge und Massaker seit einiger Zeit „Schießerei“ genannt werden. Doch dieses Vermischen von allem was vermeintlich oder tatsächlich rechts ist, schadet der politischen Debatte und auch der pluralistischen Gesellschaft.

Ideengeschichtlich stellt das Links-Sein die Werte Gleichheit und Gerechtigkeit in den Vordergrund, während man rechts die staatliche Ordnung betont, kulturelle Eigentümlichkeiten und Traditionen bewahren möchte. Es geht also nicht um Gut und Böse, sondern um konkurrierende Sichtweisen. Eine pluralistische Demokratie braucht demokratische Rechte genauso wie Linke und Liberale. Beide Weltsichten haben sich im Laufe des 20. Jahrhunderts in ihren totalitären Extremen gründlich diskreditiert. Jedoch sind sie als politische Kategorien offenbar nicht tot zu kriegen. Weshalb ein gewisse sprachliche Sorgfalt angebracht wäre.

Die Umdeutung des Begriffs rechts begann schon in den 80er-Jahren, als sich Musikfestivals „Rock gegen rechts“ nannten. Sie richteten sich jedoch nicht gegen die CDU/CSU (die sich damals ganz selbstverständlich noch als rechts definierte) oder Kanzler Kohl, sondern gegen die NPD und Neonazi-Gruppen, die zunehmend offensiver und militanter auftraten. Seither hat sich die sprachliche Gleichsetzung von rechts und rechtsradikal oder gar neonazistisch voll durchgesetzt. Ob einer Antisemit ist oder Abtreibungsgegner, ob er Ausländer hasst oder die Ehe-für-alle kritisiert, sich über gegenderte Sprache lustig macht, oder Frauen zurück an den Herd befehlen will – es ist alles eins. Rechtextrem, rechtsradikal, rechtskonservativ oder rechtsliberal verschwinden aus dem Sprachgebrauch. Es gibt nur noch rechts.

RELIGIONSKRITIK IST PLÖTZLICH RECHTS?

Selbst Liberale und Linke werden in die rechte Ecke geschubst, wenn sie bei irgendeinem Thema vom grünen Kirchentagskonsens abweichen. So gilt heute als rechts, wer bestimmte technische Errungenschaften wie Pflanzengentechnik oder Atomenergie nicht rundheraus ablehnt. Obwohl doch der technische Fortschritt vor nicht allzu langer Zeit noch Sache der Linken war. Seltsam auch, dass Skepsis gegenüber apokalyptischen Klimaprognosen als rechte Gesinnung angeprangert wird. Ebenso steht eine kritische Haltung gegenüber dem Islam unter Rechts-Verdacht. Religionskritik rechts? Das hätte noch vor wenigen Jahrzehnten völlig absurd geklungen.

Die selbstgerechten Umdefinierer haben so gründliche Arbeit geleistet, dass die meisten Politiker der Unionsparteien das Etikett rechts unauffällig an der Garderobe abgegeben haben. Statt selbstbewusst darauf zu bestehen, dass man auch mit rechtskonservativen Überzeugungen ein guter Demokrat und anständiger Mensch sein kann, haben sich die meisten der Begriffsverschiebung stillschweigend angepasst.

KUBITSCHEK UND GAULAND DÜRFEN SICH FREUEN

Der sprachliche Kollateralschaden ist erheblich: Reichsbürger, NPD-Anhänger, AfD-Hetzer und Pegida-Wutbürger werden verharmlost wenn man sie mit dem selben Begriff tituliert wie konservative Demokraten. Dabei könnte man sie doch einfach als das bezeichnen, was sie sind: Neonazis, Antisemiten, Völkische, Rassisten, Rechtsextreme, Rechtsradikale. Worte dafür gibt es genügend. Leider werden sie kaum benutzt.

Wie soll man reaktionäre Christen wie Peter Gauweiler oder Peter Hahne nennen? Wie Law-and-Order-Typen à la Gunnar Schupelius oder Anti-Merkel-Konservative wie Roland Tichy?

Alle sind sie definitiv rechts, das würden sie auch selbst so sehen. Aber sie wollen nicht das Grundgesetz abschaffen. Dieser Unterschied zu völkischen Demagogen wie Kubitschek ist nicht unwichtig und keine Petitesse. Denn wenn alles, was vom grün-protestantischen Konsens abweicht, einfach nur noch pauschal rechts genannt wird, freuen sich die Kubitscheks, Höckes und Gaulands, denn sie können sich hinter den anständigen Konservativen verstecken. Das erleichtert ihre Agenda. Wo kein akzeptiertes, anständiges rechts mehr existiert, erobern die Antidemokraten den frei gewordenen Raum.