Thomas B. ist laut einer Professorin der Charité schizophren. Er glaubt nicht daran. Weil er 2011 in einem Supermarkt eine Spielzeugpistole zog, muss er jetzt wahrscheinlich ins Gefängnis.

Für den Berliner Thomas B. (53) war es alles nur ein Witz. Für eine Kassiererin in einem Reinickendorfer Edeka-Markt, die im November 2011 in eine Pistolenmündung schaute, nicht.

B. lebt in einer Zwei-Zimmer-Altbauwohnung mit Außenklo im Hausflur. Ganz in der Nähe des Marktes, der mittlerweile Penny gehört. Als ich ihn besuche, nimmt er zunächst ein Weinglas, von dem der Fuß abgebrochen ist, kippt Wasser rein und stell das Weinglas in ein größeres Glas. Dann trinkt er daraus.

Seine Küche ist voller mit der Hand geschriebener Sinnsprüche. „Wenn wir bedenken, dass wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt (Mark Twain)“ etwa. Oder: „Die Gedanken sind frei, doch die Gehirne sind leer.“

Außerdem sammelt er allerlei Sachen, die er fein säuberlich anhäuft. Zahnbürsten, Erdinger-Weißbier-Alkoholfrei-Kronkorken, Meerrettich-Etiketten. Eisbehälter, die er zu einem Kunstwerk aufgeschichtet hat, das an 9/11 erinnern soll, von dem er glaubt, dass es nicht so abgelaufen sei wie „die Amerikaner“ es behaupten würden. „Ich sammele Dinge, die ich vielleicht irgendwann nochmal brauche“, sagt er.

B. trägt einen langen, rötlichen Ziegenbart, ein weißes T-Shirt und eine Jeans-Shorts und sein Haar zu einem kleinen Zopf gebunden.

B. ist laut seinen behandelnden Ärzten „schizophren“ oder „schizoid“. Er hält das alles für Schwachsinn. „Dazwischen ist ein himmelweiter Unterschied, aber ich bin beides nicht“, sagt er. Er sei nicht wahnsinnig. Die anderen sind es.

Er rauchte schon früh Cannabis, nahm LSD. Als 18-Jähriger will er in einem Erweckungserlebnis erfahren haben, dass nur er, Thomas B., einen weiteren Weltkrieg verhindern könnte. Als er 29 Jahre alt war, war er sich sicher, dass er diesen nächsten Weltkrieg nur am Ausbruch hindern könne, wenn er sich umbringe.

Er berauschte sich, hängte sich auf und wurde gerettet. Da sein Hirn am Strang zu wenig Sauerstoff bekommen hatte, musste er vieles neu lernen. Mittlerweile ist er Rentner wegen „irgendeiner Persönlichkeitsstörung“, wie er sagt. Die sei ihm attestiert worden. Er glaubt aber nicht an die Diagnose.

Seit 1993 lebt er in der Wohnung. 1996 ließ er sich beschneiden, da der sich als Jude fühlt. 1999 trat er aus der christlichen Kirche aus. Seitdem arbeitet er an einem Buch, in dem er über „Verbrechen“ der Christen schreibt. „Christen sind gemeingefährliche Irre, die Liebe heucheln“, ist eine seiner Thesen. Er suchte bereits einen Verleger und zeigt eine freundliche aber bestimmte schriftliche Ablehnung.

Dies sind Dinge, die helfen können, zu verstehen, was an einem Novembertag vor sechs Jahren geschah.

Die Sache mit der „Erbsenpistole“

Im November 2011 ging B. in den Edeka-Markt um die Ecke und wollte was kaufen. „Zwei alkoholfreie Erdinger Weizenbier und eine Flasche Rotwein, um zur Nacht noch ein oder vielleicht auch zwei Gläser als Schlaftrunk“, schreibt er in seinen Erinnerungen an den Tag.

Die Kassiererin trug an diesem Tag an einer Kette ein Kreuz um ihren „hübschen Hals“. Das machte B. wütend, das Kreuz sei ihm ein „Rammbock in die Magengrube“ gewesen, eine „Art Vergewaltigung“, eine „Penetration“ seines „freien Willens.“

Als er dann seine Tasche öffnete, habe dort eine „Erbsenpistole“ gelegen, die er einst für 99 Cent bei Woolworth gekauft hatte, die er da vergessen habe in der Tasche. Dann sei ihm ein „Spaß“ in den Sinn gekommen, eine „Schnapsidee“.

Er zog die Spielzeugwaffe, richtete sie auf die Verkäuferin und sagte, so erzählt er, „heute zahle ich nicht“. In seinen Erinnerungen schreibt er darüber: „Es kam mir ganz spontan der Einfall, unser eintöniges, freudloses und größten teils stumpfes Dasein etwas zu beleben und zu erfrischen.“ Nachdem er die Waffe wieder eingesteckt hatte, bezahlte er seine Waren.

In der Zeugenaussage der Kassiererin klingt das anders: „Ich habe vor lauter Angst völlig ignoriert, was er gerade gesagt hatte, habe also so getan, als ob ich nichts mitbekommen hätte. Ich hatte gehofft, dass er mich dann einfach in Ruhe lässt. Plötzlich schoss er mir eine kleine gelbe Plastikkugel gegen meine rechte Wange, ein paar Zentimeter unterm Auge.“

Dann steht da noch: „Der Typ ist irgendwie ‚irre‘, deshalb hatte ich ja auch Angst.“ Handschriftlich hat B. dazu in die Akte geschrieben: „Verleumdung!“

Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit bei dem B. wegen „gefährlicher Körperverletzung“ angeklagt wurde. Die Kassiererin gab an, aufgrund der Sache nach einer „nervlichen Vorerkrankung“ einen „Schub“ erlitten zu haben. Das war offenbar die „gefährliche Körperverletzung“. Denn: „Darüber hinaus erlitt die Geschädigte keinerlei Verletzungen“, heißt es in der Polizei-Akte.

Eine ballistische Untersuchung (214,40 Euro Kosten) der Spielzeug-Pistole ergab: „Bei der in Rede stehenden Kombination von Waffe und Geschoss sind Verletzungen eher auszuschließen.“

Eine Professorin der Charité schrieb in ihrem Gerichts-Gutachten, dass B. „schizophren“ sei. B. würde die Frau dafür am liebsten vor Gericht zerren, wenn er denn Geld für einen Anwalt hätte. „Diese Behauptung ist eine Frechheit“, sagt er voller Inbrunst.

B. nahm sich auch für die Pistolen-Geschichte keinen Anwalt, erschien nicht zu Gerichtsterminen und wurde so im März 2014 zu einer Geldstrafe von insgesamt 3.253,18 Euro verurteilt. Alle Gerichtspost hat er fein säuberlich in einem Aktenordner abgeheftet. B. hat das Geld nicht und sieht auch nicht ein, stattdessen Sozialstunden abzuleisten. Schließlich ist er sich keiner Schuld bewusst. Diese Möglichkeit wurde ihm in einem Brief der Staatsanwaltschaft eröffnet.

B.s Fazit: „Hätte ich dieses Mistding doch bloß nicht in meiner Fahrradtasche vergessen – oder wäre wenigstens nicht auf diese beknackte Idee gekommen hier in ‚…schland‘ jemandem zum Lachen bringen zu können – außer boshaften Marionetten des Teufels natürlich.“

Wahrscheinlich muss B. in den Knast

Über 3000 Euro Strafe also. „Sollten Sie dieser Aufforderung wiederum nicht nachkommen, wird die Zwangsvollstreckung betrieben und unter Umständen die Vollstreckung zur Haft veranlasst“, steht in einem Brief der Staatsanwaltschaft vom 24. Mai 2017.

B. hat nichts, nur einen kaputten Computer und seine Müll-Sammlungen. Der psychisch offenbar schwer kranke Mann muss also bald ins Gefängnis. Empört kramt er eine Titelseite des „Berliner Kuriers“ hervor. Eine Story über einen U-Bahn-Treter, der trotz unfassbarer Brutalität nicht in den Knast musste.

Sieht er nicht ein, dass er vielleicht doch – ein bisschen – wahnsinnig ist. „Genie und Wahnsinn liegen nah beieinander“, sagt er. „Aber ich bin nicht irre ich suche die Wahrheit.“
Eine Haftstrafe, so glaubt er, wäre sein „Ende“. Er hofft, dass die Veröffentlichung seiner Geschichte ihm noch helfen könnte.

Foto: Til Biermann