Filmemacher Marijn Poels (Niederlande) berichtet in einem offenen Brief über die Erfahrungen, die er bei der Arbeit an seinem Dokumentarfilm über die Globalisierung, die Energiewende und deren besondere Auswirkung auf die Landwirtschaft gemacht hat.

Vor über einem Jahr habe ich beschlossen, mein gespartes Geld in ein eigenes und komplett unabhängig produziertes Filmprojekt zu stecken – eine einmalige Lebenserfahrung. (Ein Interview mit Marijn Poels zu seinem Film ist auf dieser Seite erschienen, Anm d. Red.) Bis dahin hatte ich Dokumentarfilme für verschiedene Stiftungen, Organisationen und Fernsehsender gemacht – mit Schwerpunkt Menschenrechte, Umweltfragen und internationale Entwicklung. Mein Ziel als Dokumentarfilmer ist es, unabhängige Filme zu wichtigen Themen zu produzieren, die Debatten auslösen und die Wahrnehmung erweitern. Denn nur so kann man bessere Lösungen finden. Das hat in den letzten neun Jahren, in denen ich über 50 Dokumentarfilme drehte, gut funktioniert.

Mit dieser Erfahrung begann ich 2016 die Arbeit an einem Dokumentarfilm, der mir persönlich besonders am Herzen liegt. Das Thema: Die Globalisierung, die Energiewende und deren besondere Auswirkung auf die Landwirtschaft. Ich komme aus einem kleinen niederländischen Dorf und fühle mich zeitlebens stark mit Landwirten und der Landwirtschaft verbunden. In den letzten zehn Jahren habe ich gesehen, wie sich die Landwirtschaft radikal verändert hat.

Bauer, Klima und die Preise

Der Dokumentarfilm „The Uncertainty Has Settled“ (deutscher Titel: „Der Bauer und sein Klima“) erzählt die Geschichte von deutschen Landwirten, die ihre ineffiziente Nahrungsmittelproduktion aufgegeben haben und stattdessen nachwachsenden Rohstoffe anbauen, also Pflanzen zur Energiegewinnung. Diese hochsubventionierte Form der Landwirtschaft führte dazu, dass der Anbau von Nahrungsmittel zum Teil ins Ausland verlagert wurde.

Nicht nur Landwirte haben es schwer ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Über 600.000 deutsche Haushalte konnten im letzten Jahr ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen. Seit einigen Jahren schießen die Energiepreise rapide in die Höhe.

Im Weiteren beschäftigt sich der Film mit den verschiedenen und kontroversen wissenschaftlichen Ansichten zum Klimawandel. Im Zuge dessen redete ich selbstverständlich auch mit sogenannten „Klimaskeptikern“. Ich glaube daran, dass man sich unterschiedliche Meinungen anhören sollte, um kritisch zu bleiben, gerade wenn es um einen Systemwechsel wie die Energiewende geht. Dabei sollte die Folgen für die Menschen, die Natur und die wirtschaftliche Entwicklung sorgfältig und immer wieder aufs Neue abgewogen werden. Es ist falsch eine Debatte für beendet zu erklären, besonders bei bei einem so komplexen Prozess wie dem Klima.

Der Film sollte keine „Wir-haben-die-schockierende-Wahrheit-Geschichte“ werden. Mein Team und ich haben versucht, verschiedene Sichtweisen zu zeigen und die Zuschauer dabei zu ermutigen, kritisch und unabhängig zu denken. Am Ende schlägt sich unser Film nicht auf eine Seite, sondern zeigt einfach die existierenden Unsicherheiten innerhalb der Klimaforschung.

45 Filmfestivals und viel Stille

Nach der Fertigstellung haben wir uns weltweit bei mehr als 45 Filmfestivals beworben. Diejenigen, die den Film gesehen haben, waren begeistert und waren gespannt was der Film auslösen würde. Die Premiere fand Februar 2017 in Berlin statt. Wir verschickten über hundert Pressemitteilungen und warteten auf Reaktionen. Es blieb still, sehr still.

Anfragen an Journalisten, eine Kritik zu dem Film zu schreiben, wurden abgelehnt. Ihrer Meinung nach, war die Geschichte – in Zeiten der Notwendigkeit des unverzüglichen Handelns und des aufkeimenden Populismus – zu verwirrend. Sie nannten es ihre „journalistische Verantwortung“, einer Infragestellung der Klimapolitik das Podium zu verweigern. Nicht nur die Journalisten, sondern fast alle größeren Festivals lehnten den Film wohl aus dem gleichen Grund ab.

Dann begannen wir den Film über die sozialen Medien zu bewerben und zu vermarkten. Meine linksliberalen „Freunde“ und „Follower“ verabschiedeten sich in ungeheurem Tempo. Filmverleiher und TV-Sender, die wir angeschrieben hatten, fragten nach einer Vorab-Sichtung per Online-Link. Keiner von ihnen schrieb eine einzige Zeile zurück. Stattdessen erhielt ich Hass-Mails. Was habe ich getan?

So entschlossen wir uns, den Film im Selbstverleih ins Kino zu bringen und organisierten eine Kino-Tour durch Deutschland, Belgien, den Niederlanden und England. Bei den meisten Vorstellungen war ich anwesend, um mit dem Publikum über den Film zu diskutieren. Die Diskussionen dauerten oft länger als der Film selbst. Es gab viel Widerspruch, Allerdings war die Mehrheit des Publikums sehr offen. Sie erlebten den Film als frischen Wind in einer stickigen Klimadebatte.

Angst prägt die Debatte

Viele Menschen haben Angst, zur Energiewende und zum Klimawandel eine abweichende Meinung zu vertreten. Sozialer Druck hat das freie Denken erstickt. Jeder Versuch offen zu diskutieren wird abgewimmelt. Wer es wagt, zu widersprechen, wird als „Trump-Wähler“ oder „rechts“ beschimpft. Journalisten und Politiker, die wir eingeladen hatten, an Vorstellungen oder Diskussionen teilzunehmen, meldeten sich kurzfristig krank oder sagten aus anderen Gründen ab.

Uns ist inzwischen klar geworden: Die Debatte über Klima und Energie ist noch verhärteter als die über Flüchtlinge, Terrorismus oder Religion. Wo sind die unabhängigen kritischen Journalisten geblieben, die unterschiedliche Perspektiven aufzeigen?

Als Sohn eines leidenschaftlichen Journalisten wurde ich politisch links sozialisiert. Ich habe gelernt, mich auf Debatten einzulassen, egal wie gefährlich oder ketzerisch der Andersdenkende auf den ersten Blick erscheint. Debatten sind das Lebenselixier einer freien Gesellschaft. Nur wenn wir bereit sind, offen zu debattieren, können wir praktikable Lösungen finden. Von meinem Vater habe ich gelernt, dass Journalismus nichts weiter ist, als die Bereitstellung von Informationen. Der Ausschluss bestimmter Sichtweisen und Gruppen erzeugt lediglich Frustration und Wut – und am Ende den Populismus, den wir heute allerorten sehen. Wenn die Demokratie unerwünschte Meinungen ausschließt, ist Zensur nicht weit.

Was bleibt?

Die Investition von knapp 60.000 Euro für den Film meines Lebens hinterlässt einen fahlen Geschmack und ein sehr geschrumpftes Bankkonto. Vier Monate nach der Premiere bin ich ziemlich verunsichert. Das liegt nicht so sehr an dem Verlust einiger Freunde oder der Angst, sich in der Klimafrage falsch positioniert zu haben. Es ist diese sogenannte oft angeführte „Verantwortung“, die Meinungen und Gruppen von der Debatte ausschließt, die mir Sorgen bereitet.

Um ehrlich zu sein: Mir war klar, dass dieser Film es nicht einfach haben wird. Aber nicht in diesem Ausmaß und mit dieser Aggressivität. Dabei leben wir in Zeiten, in denen kritisches Denken eigentlich dringend gebraucht wird. Unabhängiger Journalismus ist notwendig, um differenzieren zu können. Allerdings gehören unabhängige und nach allen Seiten kritische Journalisten mittlerweile zu den aussterbenden Arten.

Immerhin wurde „The Uncertainty Has Settled“ in über 100 Kinos in fünf Ländern gezeigt und erhielt drei Auszeichnungen in Berlin, Los Angeles und der Schweiz. Er hat bei Vorführungen und Festivals heftige Diskussionen ausgelöst. Universitäten haben den Film in ihr Bildungsprogramm angenommen. Der Film tourt noch bis Ende Juli 2017. Ab September wird er dann weltweit online bei iTunes, Amazon und Vimeo zu sehen sein. Es geht also weiter – gegen den Wind. Denn, wie ich von dem großen Physiker Freeman Dyson gelernt habe: Die konkreten Beobachtungen zählen. Und nicht die Frage, WER etwas gesagt hat.

Marijn Poels (41) ist ein niederländischer Dokumentarfilmer und Produzent. Seine Themen sind internationale Zusammenarbeit, Menschenrechte, Soziale Gerechtigkeit, Politik und Wirtschaft. Er lebt und arbeitet derzeit in Berlin. 2011 gewann er den Friedenspreis Pakistans. Dieser Preis wird jährlich an Personen ausgezeichnet, die in Pakistan gegen den Terrorismus und Gewalt engagieren und für Menschenrechte einstehen.