Wer heutzutage noch frühstückt, hat den Schuss nicht gehört. „Breakfast is a dangerous meal“, sagt ein Buchautor. Neues aus dem Wunderland der Ernährungstrends.

Wie arm wäre die Welt ohne Exzentriker. Ohne Menschen wie Peter Bichsel. Ja, richtig: Das ist der Autor, dessen Erzählung „Ein Tisch ist ein Tisch“ in Ihrem Deutschlehrbuch Sekundarstufe I stand. Zu seinem 80. Geburtstag hat der in der Schweiz geborene und lebende Bichsel, der „kein Schweizer Schriftsteller sein möchte“, Interviews gegeben. Darunter eines, das ich gerne in „Fit for Fun“ oder in „Men’s Health“ gelesen hätte.

Schweizer Gründlichkeit mit Möhren

Auf seinen Tagesablauf angesprochen, sagte er: „Ich stehe zwischen fünf und neun Uhr auf und beginne zu kochen. Ich koche mir ein großes Essen, und das esse ich dann auch. Dann esse ich in der Regel den ganzen Tag nichts mehr oder nur noch wenig. Ich bin ein Morgenmuffel, es dauert sehr lange, bis ich reden kann, ja eigentlich habe ich eine morgendliche Depression. Abends nicht. Kochen ist eine lebensbejahende Tätigkeit.“

Unter dieser morgendlichen Mahlzeit hat man sich nicht etwa ein großes Bircher Müsli mit gedämpften Äpfeln vorzustellen. Sondern einen Schweinebraten mit Möhrengemüse. Damit hat er sich fürs Interview fotografieren lassen, am Küchentisch, die Gabel in der Hand und lächelnd. Gut schaut er aus, für einen 80-Jährigen. Er möchte aber nicht als „gut aussehend“ beschrieben werden, sagte er dem Reporter. Das sei immer ein irgendwie vergiftetes Kompliment, das einen miesen gerontophoben Subtext transportiere.

„Frühstück ist eine gefährliche Mahlzeit“

Während Bichsel seinen 80. feierte, brachte der englische Biochemiker Terence Kealey ein Buch mit dem Titel „Breakfast is a dangerous Meal“ heraus. Nicht nur die labbrigen englischen Frühstückswürstchen oder „baked beans“ stehen zur Debatte, sondern das Frühstück als solches. Es pusche den Insulinspiegel in die Höhe und fördere das metabolische Syndrom, also geschädigte Arterien, Fettleibigkeit, Bluthochdruck und Diabetes. Einen vergleichbar schädlichen Effekt auf die Gefäße habe eigentlich nur das Rauchen. „Frühstücken ist das neue Rauchen“, titelten einige Medien daraufhin.

Wenn Frühstücken schon das neue Rauchen ist, was ist dann das Rauchen? Im vergangenen Jahr brachte der „Stern“ eine Titelgeschichte über das lange bürobedingte Sitzen und verkündete „Sitzen ist das neue Rauchen“. Was denn nun? Und was machen wir mit Ignoranten, die sitzend frühstücken, um sich danach eine anzuzünden? Einen Lebensmüden lässt man doch auch nicht auf einem Fenstersims im achten Stock balancieren, nur weil er das selbst gerade für sich entschieden hat.

Fasten für Nicht-Muslime

Der Anti-Frühstücks-Autor Kealey rät zu „intermittierendem Fasten“. Das sind lange Essenspausen von mindestens zwölf, besser 16 Stunden, die man vorzugsweise in die Nacht legt. Das soll den Insulinspiegel niederringen. Wer tagsüber intermittierend fasten möchte, könnte sich überlegen, zum Islam zu konvertieren, denn das Fasten von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang gilt als eines der schwierigsten Gebote des Islam, und als Muslim hätte man das sozusagen schon auf der Haben-Liste.

Die meisten Menschen, die ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit verdienen, müssen in den Morgenstunden damit anfangen. Die Mehrheit braucht davor einen Imbiss, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Wer intermittierend fastet und eine Essenspause von, sagen wir: 14 Stunden anstrebt, wird demnach um fünf Uhr nachmittags die letzte Mahlzeit des Tages beenden müssen, um am nächsten Morgen um sieben Uhr Bahn frei für ein Frühstück zu haben. Um 17 Uhr sind die meisten von uns aber noch am Arbeitsplatz, wo wir dem gefährlichen Sitzen frönen.

Schlafen, kochen, mittagessen

Vermutlich ist die Lösung des Schweizer Geburtstags-Schrats gar nicht so schlecht: Bis neun Uhr schlafen, dann ein bisschen am Herd stehen und brutzeln. Gemütlich mittagessen. Danach nichts oder nur sehr wenig essen. Wer von seinem Chef keine Erlaubnis erhält, deshalb Homeoffice zu machen, der tröste sich bei Peter Bichsel, welcher schrieb: „Wir gehen immer davon aus, dass unsere Biographien durch unsere Fähigkeiten bestimmt sind. Sind sie aber nicht viel mehr bestimmt durch das, was wir NICHT können?“

Inkonsequenz kann ja auch etwas ganz Wunderbares sein. Wenn Sie beispielsweise gerade acht Buttercroissants oder Wiener Kipfel gekauft haben, dann aber beschließen, intermittierend zu fasten, können Sie die altbackenen Hörnchen am nächsten Morgen prima für einen Kipfel-Schmarren verwenden. Das Rezept stammt aus dem Wiener Kochbuchklassiker von Franz Ruhm:

Kipfel-Schmarren

Acht altbackene Kipfel blättrig aufschneiden, 1 Ei oder zwei Eidotter mit einem knappen Viertelliter Milch, einem Esslöffel Puderzucker und 30 Gramm Rosinen verquirlen, die Kifpel in einer Auflaufform übergießen. Einige Minuten durchweichen lassen. Mit Butterflöckchen bestreuen und bei 180 Grad im Ofen ca. 20 Minuten goldgelb backen. Mit einer Backschaufel zum Schmarren zerkleinern und mit Zucker, Vanillezucker und Zimt bestreuen.

 

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In ihrer Kolumne „Essen mit Ellen“ setzt sich Ellen Daniel mit kulinarischen Spezialitäten auseinander – und den kulturellen Hintergründen. Sämtliche bisher erschienene „Essen mit Ellen“-Beiträge finden sich hier.