Freiheit ohne Ratio
Auf Freiheitspathos können sich alle einigen. Doch der Freiheitsbegriff verkommt zur überdimensionalen Leerstelle, wenn man ihn unabhängig macht von Vernunft und Problembewusstsein.
Von Nico Hoppe
Für manche Vokabeln bekommt man immer Applaus. Dialog ist so ein Wort, Toleranz, Menschenwürde, Freiheit. Sie alle haben gemeinsam, dass sie gerade, weil sie so unumstritten sind, fast nur noch als Phrasenbausteine oder Kampfbegriffe fungieren. Besonders trifft das auf den Freiheitsbegriffs zu.
Die Rede von der Freiheit ist durch unzählige (Verbots-)Debatten inflationiert. Von Tempolimits über Sterbehilfe bis zu Drogen-, Umwelt- oder Religionspolitik. Im Zuge der Bekämpfung der Corona-Pandemie scheint er neuen Auftrieb zu erlangen. Als Ideal, das vor allerlei Einschränkungen geschützt werden müsse. Freiheit scheint permanent existenziell bedroht zu sein – in manchen Fällen noch nicht einmal komplett errungen. Und wer hat schon etwas gegen Freiheit?
Alles und nichts
Doch Freiheit gehört längst zu jenen reizvollen Selbstbedienungstermini, die immer dann zum Einsatz kommen, wenn mit großen Gesten und Worten unterstrichen werden soll, dass es mal wieder um das Ganze geht. Wer sich in die Pose des Freiheitsverteidigers begibt, hat den Nimbus tapferer Selbstlosigkeit bereits auf seiner Seite. Es kann um Böllerverbote oder um Grundrechtseinschränkungen gehen – die Hauptsache ist, man wirft sich heldenhaft für das in die Bresche, was man Freiheit nennt. Von kaum einem anderen Wort geht ein so pathosgetränktes Wabern aus. Dabei ist der Freiheitskitsch, der den formal-rechtlichen Begriff der Freiheit im schlechten Sinne übersteigt, schon längst kein Wagnis mehr. Freiheit verkommt heute zu einem Slogan, der nichts weiter umfasst als die selbstherrliche Möglichkeit, willkürlich und frei von als Anmaßungen wahrgenommenen Reflexionen alles tun zu können, was einem beliebt. Seiner gesellschaftlichen und historischen Vermittlung enthoben, kann jeder Nonsens Teil der Freiheit werden, sei es als romantisierter Tod im Falle der Sterbehilfe oder als die jedes Unrecht legitimierende Religionsfreiheit in Debatten über das Kopftuch.
Die pastorale Inbrunst, die in all den Hymnen über Freiheit mitschwingt, kann dabei kaum darüber hinwegtäuschen, dass Freiheit in der Realität vor allem als Aufruf zur renitenten Selbstsetzung aufgefasst wird: Antiautoritäres Gebaren, das seine auftrumpfende Ähnlichkeit zum Autoritarismus kaum verhehlen kann. Freiheit ohne Konfrontation mit Vernunft sabotiert sich selbst. Ihr paradoxer Charakter liegt gerade darin, dass ihre partielle Einschränkung sie stärker machen kann als die Verabsolutierung der Willkür. Gegenüber dem libertären Glauben, dass Freiheit einfach schrankenloses Tun sei, hat selbst die allerlei Unsinn legitimierende Aussage, dass Verbote die Bedingung von Freiheit seien (wie es beispielsweise der Chefpastor der Grünen – Robert Habeck – desöfteren kundtut), noch ihr bescheidenes Wahrheitsmoment. Die Verabsolutierung der Freiheit wäre ihre Negation. Ausgehend von dieser Widersprüchlichkeit des Freiheitsbegriffs ließe sich beispielsweise erst ergründen, welche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie noch zweckrational sind und welche nur hilflos-kraftmeiernde Versuche, der Lage mit harter Hand beizukommen.
Die falsche Alternative
Von konservativ-liberaler Seite wird zuweilen beklagt, dass eine von Verboten durchorganisierte Gesellschaft sich einer Tendenz der Infantilisierung ergeben habe. Die Diagnose ist sicher nicht ganz falsch, allerdings fußt sie darauf, dass sich die Anklagenden dieser Entwicklung enthoben wähnen. Der kategorische Widerwillen gegen autoritäre Disziplinierungsbefehle, die in den vergangenen Jahren meist unter der Berufung auf Ökologie und Nachhaltigkeit geäußert wurden, enthielt ein rationales Moment, weil jene Anweisungen stets auf der Vorstellung vom grundsätzlich des Kommandos bedürftigen Menschenviehs beruhten. Dies verkehrt sich jedoch ins Gegenteil, wenn man auf jedes Ansinnen eines Verbots oder einer Regel mit dem immergleichen kindlichen Trotz reagiert. Ist die Freiheitsemphase einmal zur Leitlinie erstarrt, stellt sie letztlich nicht das Gegenstück zum puritanischen Freiheitsekel dar, sondern befindet sich schon längst im Bann der falschen Alternative zwischen lustvoller Untertänigkeit und maßlosem Voluntarismus.
Theodor W. Adorno war sich der Komplexität des Freiheitsbegriffs bewusst, der in der bestehenden Gesellschaft ohnehin ein Maß an Mündigkeit sowie Zwanglosigkeit voraussetze, das erst noch verwirklicht werden müsse. Der Entwicklung, dass die Rede von Freiheit zur »Festtagsdeklamation« herabgesunken sei, setzte er die Erkenntnis entgegen, dass, »wer Freiheit will, […] nicht an sie appellieren oder sie voraussetzen [darf], sondern […] von dem Problem der Freiheit Rechenschaft geben [muss].« Von irgendeiner Art Problembewusstsein ist jedoch in all den Debatten, in denen mit dem Begriff der Freiheit um sich geschmissen wird, nichts zu spüren. Sich vom zwischen Klage und Bekenntnis changierenden Freiheitskitsch zu lösen, wäre bereits ein Stück Freiheit des Denkens.
Über den Autor
Nico Hoppe ist freier Autor und schrieb bisher u.a. für die NZZ. Auf Twitter ist er unter @nihops zu finden.