Neuerdings sagen ihr ihre Mitmenschen ständig, dass sie so schön entspannt sei. Dabei fühlt sich Deana Mrkaja eher stets am Rande des Wahnsinns.

Ich bin kein neidischer Mensch. Im Gegenteil. Ich gönne meinen Mitmenschen sehr viel. Egal, ob sie mehr Sprachen können als ich, das schönere Fahrrad oder den interessanteren Job haben, egal, ob sie besser kochen können als ich, was nun keine große Kunst wäre, oder die besseren Sportler sind. Doch neuerdings empfinde ich Neid – auf alle gesunden Knie, die mir im Alltag begegnen. Wenn jemand an mir vorbeijoggt, bin ich neidisch und schaue missbilligend hinterher. Manchmal überlege ich kurz, meine Krücke auszufahren und Jogger stolpern zu lassen, aber das sind nur seltene Fälle, in denen meine schwarze Seele zum Vorschein kommt. Wenn ich ehrlich bin, bin ich eigentlich selbst neidisch auf die Menschen, die einfach nur normal geradeaus laufen können. Also, quasi auf jeden.

Gemeinsam leidet man weniger

Am wohlsten fühle ich mich deshalb derzeit bei der Physiotherapie oder bei meinen Arztterminen. Denn dort sehe ich nur humpelnde Menschen mit Krücken, dicke Knie, schmerzverzerrte Gesichter und Verbände. Bei der Physiotherapie liegen die Patienten in einem offenen Raum nebeneinander auf Liegen und können sich gegenseitig beobachten. Und noch besser ist das Beobachten derer, die bei der Sporttherapie sind und gequält werden. In diesen gemeinsamen Momenten fühle ich mich mit allen im Raum verbunden. Man versteht einander, nickt sich zu, fragt, wie es so läuft, wann die OP ansteht und spricht Komplimente aus: „Wow, dein Knie ist ja gar nicht mehr so dick!“ Das sind die neuen Höhepunkte in meinem Leben.

In der vergangenen Woche sagte mir mein Arzt nicht nur, dass ich „ziemlich stabil“ sei, was ich jetzt einfach mal als Kompliment aufgefasst habe, sondern auch Folgendes: „Ich habe mir überlegt, mit der OP noch zu warten, weil du so schön entspannt bist und wir gerne erst einmal noch konservativ weiterarbeiten können.“ Daraufhin antwortete ich nachdem sich mein Kopf bereits mit sehr viel Blut gefüllt hatte: „Wenn mir noch einmal jemand sagt, ich sei entspannt, dann raste ich wirklich vollkommen aus und muss eventuell jemanden schlagen.“ Der Arzt starrte mich daraufhin schweigend an, holte die OP-Unterlagen hervor, legte den nächstmöglichen Termin fest und unterschrieb sogar meine Bedingung, dass er während der OP mit meinem Handy filmt, was er da so macht. Zudem sagte er mir, dass ich mich für die nächsten Monate vielleicht im Fitnessstudio anmelden sollte, um den Muskelschwund aufzuhalten und um meine Aggressionen loszuwerden.

Fitnessstudios sind für Prolls

Räume, in denen sich fremde Menschen versammeln, sich an Geräten abmühen, kein Wort miteinander wechseln, jedoch gemeinsam schwitzen und ihre Körperausdünstungen gegenseitig einatmen, finde ich seltsam. Fitnessstudios sind irgendwie immer etwas prollig – besonders, wenn Menschen vor dem Spiegel stehen, Gewichte heben und dabei verliebt auf ihren Bizeps starren. Da ich jedoch um jeden Preis verhindern möchte, dass mein rechtes Bein aussieht wie ein Zahnstocher, gehe ich jetzt pumpen. Und es fühlt sich gut an. Ich darf sogar Fahrradfahren, auf den Stepper steigen und den Crosstrainer benutzen – alles Dinge, die ich eigentlich nicht ausstehen kann.

Trotzdem macht es mich glücklich, mich wieder mehr bewegen zu können und auch zu sehen, wie schnell ein Knie heilt. Vielmehr finde ich es beeindruckend, dass die Muskulatur Aufgaben übernimmt, die eigentlich nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehört. Die Muskeln im Ober- und Unterschenkel stabilisieren plötzlich das Knie und lassen es wieder beweglich werden. Langsam lerne ich auch wieder, meinem Knie zu vertrauen. So nehme ich die Stufen nicht mehr einzeln wie ein zweijähriges Kind, sondern gehe ganz normal. Die meiste Zeit laufe ich zudem ohne Krücken und traue mich immer mehr, das Knie auch stärker zu belasten. Einerseits freue ich mich über jeden Fortschritt, andererseits weiß ich auch, dass ich nach der OP wieder bei Stufe 0 beginne. Doch bis es so weit ist, sitze ich im Fitnessstudio auf dem Fahrrad und starre die Männer an, die im Gegensatz zu mir, gerne mal den „Leg-Day“ vergessen.

Im nächsten Beitrag: Gesprächs- statt Gehhilfe.

 

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