„Friedens-Anthologien“ können Bündel selbstgerechten Schwadronierens sein – müssen es jedoch nicht. Vor allem nicht, wenn sie vom „PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland“ (dem ehemaligen „Exil-PEN“) herausgegeben werden. Und schon gar nicht, wenn sich darin u.a. unserer Autor Marko Martin einen selbstreferentiellen und in der Endkonsequenz diktatur-affinen Friedensbegriff gehörig zur Brust nimmt.

„Wie falsch haben Autoren diese gewalttätige Welt doch oft kommentiert! Die gutmeinenden, friedensliebenden, humanistisch orientierten, despotenhassenden, leiderfüllten, täglich neu empörten Dichter! Wie tun sie sich schwer mit ihrem Verhältnis zu Macht und Gewalt! Sie lehnen beide ab, weil sie ihre saubere Weste nicht  bekleckern wollen. Wäre aber nicht manches Leid und Unheil verhindert worden, wenn wir die Mechanik der Macht und Gewalt besser verstanden hätten? An diesem Punkt muss ich bekennen, dass ich in den dreißiger Jahren aus einem Pazifisten zum ‚Kriegshetzer‘ wurde.“

Es war im Mai 1994, als Fritz Beer, damaliger Präsident unseres Zentrums, diese Sätze vortrug – als Londoner Gastredner auf einer Tagung des bundesdeutschen PEN. Viel Eindruck oder gar eine Debatte ausgelöst hatten sie freilich nicht, wie ein ebenfalls anwesender Zeit-Journalist verdutzt feststellen musste. Dabei hatte Fritz Beer, 1911 in Brünn geboren und als politisch links stehender Jude im Jahre 1938 den in die Tschechoslowakei einmarschierenden Nazis nur knapp entronnen, en détail erläutert, weshalb er beim oft derart weihevoll ausgesprochenen Wort „Frieden“ sogleich nach Kontext, Hintergrund und Resultat zu fragen begehre. Weil er ja bereits 1936 im Angesicht der westlichen Indifferenz Waffen für die tödliche bedrohte spanische Republik gefordert hatte und die damals von vielen belächelte Meinung vertrat, das gerade auch die Freiheit von Prag und Paris in Madrid und Barcelona verteidigt wurde. Weil er, der etwas schüchterne und keineswegs militär-affine Erzzivilist, nach seiner Flucht nach London mit Schrecken sah, wie ignorant die dortige Unbesorgtheit war und wie seine politischen Freunde und die englischen Pazifisten vor allem gegen den Armeedienst und verstärkte Rüstung polemisierten. Beer, schließlich in die Tschechische Auslandsarmee eingetreten, hatte dann als Soldat in Frankreich seinen Teil dazu getan, dass Hitler nicht obsiegte und dass nach 1945 zumindest im Westen Europas eine friedlich-demokratische Nachkriegsordnung entstehen konnte. Sein ganzes späteres Leben aber wird ihn das Trauma verfolgen, wie viele Millionen Menschen (darunter zahlreiche Mitglieder seiner Familie, die in den KZs ermordet wurden) den Preis dafür zahlen mussten, dass im Westen noch 1938 „Peace for our time“ gerufen wurde, anstatt bereits damals Hitler in den Arm zu fallen und damit einen Weltkrieg präventiv zu verhindern.

Dank an Churchill

Zum wortlos bleibenden Unbehagen seiner bundesdeutschen PEN-Kollegen präzisierte Beer und erinnerte dabei an eine Genese, die wohl bis heute so manchem Schriftsteller und Intellektuellen übel aufstoßen könnte. „Der nach London geflohene Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, erklärte in seinem Verhör, Hitler sei die Entscheidung zum Angriffskrieg durch die Erwartung erleichtert worden, dass die von englischen Pazifisten, Sozialisten und rechtskonservativen ‚Appeasern‘ unterminierte Verteidigungsbereitschaft ihm eine blutlose Eroberung Großbritanniens ermöglichen würde. Haben Sie einmal überlegt, dass wir die relative Freiheit, die wir heute genießen, unter anderem dem ‚Reaktionär‘, ‚Militaristen‘ und ‚Imperialisten‘ Winston Churchill mit verdanken? Müssen wir Liberalen, Linken, Antifaschisten und Antirassisten ihm für seine Haltung nicht danken?“

Die Vehemenz, mit der hier Fritz Beer ein umfassenderes Friedens-Engagement als die im Milieu üblichen „Nein zum Krieg“-Petitionsunterschriften gefordert hatte, war dabei ungleich mehr als lediglich eine Provokation all jener, die sich gern selbst mit dem Etikett des „kritischen Intellektuellen“ versehen. Der Rekurs auf jene historischen Wahrheiten, die vor allem in Deutschland verdrängt blieben, geschah aus aktuellem Anlass, und nicht um Rechthaberei ging es, sondern um die Rettung von Menschenleben. „Sie schreiben und sprechen“, sagte Fritz Beer in jenem Sommer 1994, der nur zwei Flugstunden von Deutschland entfernt ein massenmörderischer war, „sehr überzeugend darüber, wie sehr Ihr Herz für die bosnischen Muslime blutet. Aber die schmutzige Aufgabe, sie zu retten, möchten Sie den anderen NATO-Ländern, dem amerikanischen ‚Imperialismus‘ überlassen. Ihre humanistischen Kastanien sollen die anderen aus dem Feuer holen, damit sie prinzipientreu bleiben können. Das alles ist sehr traurig.“

(Wer möchte, könnte hier Parallelen entdecken zum heutigen Angriffskrieg gegen die Ukraine und zur Haltung jener, die in „Offenen Briefen“ und Talkshows wortreich vor einer effizienten Bewaffnung der zuvor durchaus betrauerten Opfer warnen, „damit es zu keiner unnötigen Eskalation kommt“.)      

Fritz Beer war nicht der einzige, der schon frühzeitig dem allzu schmeichelhaften deutschen Selbstbild misstraute, man habe aus der Geschichte gelernt und sei deshalb jetzt „für den Frieden“. Auch der in Paris lebende Schriftsteller und Individualpsychologe Manès Sperber, 1905 in Galizien geboren, Alfred-Adler-Schüler in Wien, überzeugter Kommunist und späterhin reflektierter Dissident, 1933 Gestapo-Häftling, mittelloser Flüchtling und schließlich ebenso wie Beer 1940 Kriegsfreiwilliger in der französischen Armee, hatte beinahe wortgleich vor der Selbstzufriedenheit der Täter- und Mitläufersprösslinge gewarnt. 1983 war er zwar bereits körperlich zu geschwächt, um die Rede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels persönlich zu halten (sein Freund Alfred Grosser trug den Text schließlich in der Frankfurter Paulskirche vor), doch gebrach es ihm nicht an Überzeugungskraft und gedanklicher Stringenz. 

„Die weitverbreitete Neigung, die Mittel mit den Zielen zu verwechseln“

„Wer anstatt über die Quellen und die Gründe der Kriegsgefahr nachzudenken, seinen leidenschaftlichen Protest nur auf die Waffen reduziert, und seien es die mörderischsten, vermeidet – bewusst oder unbewusst – die Suche nach dem Feuerherd und erliegt der heute weitverbreiteten Neigung, die Mittel mit den Zielen zu verwechseln. Wer jedoch glaubt und glauben machen will, dass ein waffenloses, neutrales, kapitulierendes Europa für alle Zukunft des Friedens sicher sein kann, der irrt sich und führt andere in die Irre. Wer für die Kapitulation vor jenem bedrohlichen Imperium eintritt, das seit dem Zweiten Weltkrieg mehrere europäische Staaten in Satelliten verwandelt hat, irrt sich und führt andere in die Irre.“

Das Echo war enorm, das heißt: Zurückweisung und wütender Protest. Kurz zuvor hatte der SPD-Politiker Egon Bahr im Parteiorgan „Vorwärts“ die polnische Gewerkschaft Solidarność als „Gefahr für den Weltfrieden“ bezeichnet, und ähnliche Vorwürfe musste sich nun auch ein jüdischer Intellektueller wie Manès Sperber anhören. Der damals als Vorsitzender des Schriftstellerverbandes VS äußerst einflussreiche Bernt Engelmann (der, wie man heute weiß, von der Stasi als IM „Albers“ geführt wurde), warf Sperber „Kriegstreiberei“ vor und forderte ihn mit harschen Worten auf, den Preis schleunigst zurückzugeben. Und auch hier Parallelen: Nach der bemerkenswert ausdifferenzierten Paulskirchen-Rede des ukrainischen Schriftstellers und Friedenspreisträgers Serhij Zhadan bezeichnete ihn im Herbst 2022 der einstige Fernsehjournalist Franz Alt öffentlich als „Völkerhasser“ und forderte alle bisherigen Preisträger auf, aus Protest ihre Auszeichnung zurückzugeben. Hybris aus der Pensionärs-Ecke? Womöglich mehr als das. Die immense emotionale Kälte, mit welcher etwa der deutsche Soziologe Harald Welzer an den über Leben und Tod in der Ukraine berichtenden Zhadan ungerührt pazifistische Benimm-Noten verteilt hatte und dazu das Paulskirchen-Publikum tadelte ob dessen langanhaltendem Beifall, den er vermutlich auf die Sekunde hin gemessen hatte, speist sich offenbar aus vielerlei Quellen – aus einem „humanen Erschrecken“ (Ralph Giordano) und aus dem Geist des Antinazismus jedoch gewiss nicht.   

Es dürfte empathielose TV-Intellektuelle, die sich ausgerechnet mit dem Verweis auf die deutsche Tätergeschichte („Wir wissen, was Krieg ist“) ebenso herrisch wie abstrakt „gegen Waffen jeder Art“ aussprechen, wohl kaum beeindrucken, gerade deshalb aber sei es festgehalten: Es waren über die Jahre und Jahrzehnte hinweg vor allem jüdische Intellektuelle, ehemalige Flüchtlinge und Holocaust-Überlebende, die in Sachen „Krieg und Frieden“ zu radikal anderen Schlüssen gelangt waren als das Gros ihrer deutschsprachigen Kollegenschaft. Die Schriftsteller Hans Habe und Friedrich Torberg etwa, die in den Siebziger Jahren einem selbstgerechten juste milieu längst als „anachronistische Kalte Krieger“ galten, hatten bereits im annus horribilis 1938 davor gewarnt, einem gewalttätigen Diktator auch nur die kleinsten Konzessionen zu machen, da ihn diese lediglich ermuntern würden zu noch umfassenderen Aggressionen. Und Ludwig Marcuse, 1933 vor den Nazis zuerst nach Frankreich, dann in die Vereinigten Staaten geflohen, schrieb den Studenten des westlichen Nachkriegsdeutschlands, die nun in ostentativem Pazifismus ihr Heil suchten, lapidar ins Stammbuch: „Das Heil im Nicht-Widerstehen ist im Großen und Kleinen eine Illusion: jeder Verzicht auf Anwendung von Gewalt stärkt sie.“ 

„Pazifismus, der den Krieg herbeiführt, statt ihn zu bannen“

Für diese Zeitzeugen, die das fortgesetzte Zögern der Demokratien angesichts von Hitlers sukzessive gesteigerten Gewalt-Provokationen im wahrsten Wortsinn hautnah miterlebt hatten, konnte „Frieden“ nichts Unhinterfragbares, Kontextloses sein – schon gar nicht, da er als Vokabel so mühelos von Diktatoren zur Vorbereitung neuer Kriege missbraucht wurde. (Und hatte nicht auch Thomas Mann bereits im Februar ’38 als Vortragsreisender in den USA klare Worte für das Offensichtliche gefunden? Die Welt müsse endlich begreifen, so der Literaturnobelpreisträger, „dass sie mit einem Pazifismus, der eingesteht, den Krieg um keinen Preis zu wollen, den Krieg herbeiführt, statt ihn zu bannen.“) 

Mit welch kalter Herablassung damals westliche Diplomaten, Wirtschaftsleute, Politiker und Journalisten auf solch angeblich „unverantwortliche Panikmache“ reagiert hatten: Hans Habe hatte es schon 1939 in seinem Völkerbund-Roman „Tödlicher Friede“ beschrieben, der dann wiederum vom Goebbels-Ministerium als beträchtliche publizistische Gefahr eingeschätzt wurde. Ähnlich die Erinnerungen Manès Sperbers, die 1983 ins Aktuelle überleiteten: „In den 30er Jahren wurde meinesgleichen von Goebbels und seinen Tintenkulis als ‚Kriegshetzer‘ beschimpft, sooft wir davor warnten, den stetig wachsenden Forderungen Hitlers nachzugeben und durch Kapitulation am Ende den Krieg unvermeidlich zu machen. Und nun leben wir seit Jahrzehnten in der Ära neuer Erpresser. Jeder aber sollte wissen, dass Erpresser um so mehr verlangen und um so bedrohlicher werden, je öfter man ihnen nachgegeben hat.“ 

Überleben dank militärischer Überlegenheit der Alliierten

Bis an sein Lebensende 2013 wurde auch Ralph Giordano nicht müde, vor der fatalen Verwechslung von Pragmatismus mit Trägheit zu warnen, welche noch immer expansionssüchtigen Menschenschindern und deren Ideologien in die Hände spielt. Hatte er, der junge Hamburger Jude, doch bis 1939 erlebt, was „Frieden“ im Zwangsrahmen eines Unrechtsstaates bedeutet – ehe sich dieser stark genug fühlte, den Krieg zu beginnen. Noch als alter Mann, und nicht selten zur habituell spürbaren Verwunderung seines Publikums, hatte Giordano auf das eigentlich doch so Eindeutige  hinweisen müssen: Nicht vager „Friedensfähigkeit“, sondern der schieren militärischen Überlegenheit der Alliierten hatten er und zahllose andere ihr Überleben zu verdanken.        

Wohl kein Zufall, von wem sich Ralph Giordano über die Jahre hinweg wirklich verstanden fühlte – von unseren Zentrumsmitgliedern Wolf Biermann und Günter Kunert etwa, die ihr Leben ebenfalls den alliierten Bomben verdankten (und die über diese irrwitzige Ambivalenz-Erfahrung immer wieder luzide Texte geschrieben hatten) oder von Herta Müller mit ihrer profunden Erfahrung der von Friedens-Transparenten nur notdürftig kaschierten Gewaltsamkeit des Ceausescu-Regimes. Oder von seinem knapp drei Jahrzehnte jüngerem Kollegenfreund Jürgen Fuchs, der 1977 nach Stasihaft in den Westen ausgebürgert worden war. Fuchs, der dann wiederum auch in Manès Sperber jemand gefunden hatte, der die eigene ostdeutsche Erfahrung der Schul-Appellplätze, der „Mein Arbeitsplatz ist mein Kampfplatz für den Frieden“-Parolen und schließlich des partiell faschistoiden NVA-Alltags unerwartet weiten konnte, sie verknüpfte mit dem Geschehen in den Jahrzehnten davor. Giordano und Sperber, Biermann und Kunert, Herta Müller und Jürgen Fuchs: Tatsächlich Friedensfreunde über Generationsgrenzen hinweg, verbunden in der Skepsis gegenüber einem bezugslosen, entleerten oder gar diktatur-rechtfertigenden Friedens-Begriff. Dazu ein Lied des legendären ostdeutschen Duos Christian Kunert und Gerulf Pannach, geschrieben kurz vor ihrer Verhaftung durch die Staatssicherheit. „Frieden, das ist manchmal die Angst davor,/ Dass die Ruhe nächtlich trügt,/ Dass es klingelt vor der Früh.// Frieden, das ist manchmal Hundegebell/ Wenn Armeekarawanen  nachts durch tote Straßen fahren// Frieden, das ist manchmal nur der Vorwand für ein großes Land/ Um in kleine Länder zu marschieren,/ Das ist Frieden manchmal.“  

Angstmachen und Einmarschieren

Ein Song, der sich wie ein lyrischer Kommentar aus unseren Tagen liest und der damals in den Siebziger Jahren nie und nimmer auf einem der zahlreichen staatsoffiziellen „Friedensfestivals“ im Ostblock hätte gespielt werden dürfen, danach jedoch auch im Westen so manchen Pazifisten irritierte. Dabei ist es bis heute geblieben – beim Angstmachen und Einmarschieren ebenso wie beim Stirnrunzeln derer, die es bis heute nicht gern hören, dass den Angstmachern und Einmarschierern etwas entgegengesetzt werden muss, das nicht in allen Fällen „friedlich“ sein kann.

Und so musste sich noch im Herbst 2022 der Friedenspreisträger Serhij Zhadan in Deutschland dafür rechtfertigen, dass er zusammen mit seiner Band nicht nur unter Lebensgefahr humanitäre Güter ins umkämpfte Charkiw bringt, sondern selbstverständlich auch vor den Soldaten der ukrainischen Armee auftritt mit seinen Gedichten und Songs. „Dabei ist alles ganz einfach: Wir unterstützen unsere Armee nicht deshalb, weil wir Krieg, sondern weil wir unbedingt Frieden wollen. Nur ist die uns unter dem Vorwand des Friedens angetragene Form der Kapitulation nicht der geeignete Weg zu einem friedlichen Leben und zum Wiederaufbau unserer Städte. Warum also werden die Ukrainer so oft hellhörig, wenn europäische Intellektuelle und Politiker den Frieden zu einer Notwendigkeit erklären? Nicht etwa, weil sie die Notwendigkeit des Friedens verneinen, sondern aus dem Wissen heraus, dass Frieden nicht eintritt, wenn das Opfer der Aggression die Waffen niederlegt. Die Zivilbevölkerung in Butscha, Hostomel und Irpen hatte überhaupt keine Waffen. Was die Menschen nicht vor einem furchtbaren Tod bewahrt hat.“

Selbstverständliches, unverstanden

Wer Serhij Zhadans bisherige Essays kennt – von seinen Gedichten, Romanen und Erzählungen ganz zu schweigen – hatte sich womöglich ein wenig verwundert, dass hier in der Frankfurter Paulskirche etwas vorgetragen wurde, das sich doch eigentlich von selbst verstand. Oder besser, im deutschen Konjunktiv: Hätte verstehen müssen. Was es indessen nicht unbedingt tat in Teilen der öffentlichen Meinung eines Landes, wo man trotz der schieren Offensichtlichkeit des russischen Angriffskrieges weiterhin bereit zu sein scheint, „um fragwürdiger materieller Vorteile und eines falschen Pazifismus willen ein weiteres Mal das totale, enthemmte Böse zu schlucken“. 

Überlegenswert deshalb, ob es um die sogenannte „Aufarbeitungskultur“, um das berühmte „Lehren-aus-der-Geschichte-Ziehen“ beim selbsternannten „Erinnerungsweltmeister“ Deutschland wirklich zum Besten steht oder nicht stattdessen lediglich längst entleerte Formeln repetiert werden, nicht zuletzt zum Distinktionsgewinn jener, die sich solcherart als ostentativ „friedfertig“ gerieren können. Jedoch wohl ziemlich unglücklich ein Land, das Auswärtige wie jenen ukrainischen Dichter nötig hat, um eindringlich an das Allerelementarste erinnert zu werden: „Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden.“   


Dieser Text stammt aus Damals wie heute. Eine Friedensanthologie des PEN-Zentrums Deutschsprachiger Autoren im Ausland„, Edition Exil-PEN im Verlag Expeditionen, Hamburg 2023, 180 S., geb. €15,-


Marko Martin, geb. 1970, verließ im Mai 1989 als Kriegsdiensttotalverweigerer die DDR und lebt heute, sofern nicht auf Reisen, als freier Schriftsteller in Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter literarische Tagebücher zu Tel Aviv, Havanna und Hongkong sowie in der Anderen Bibliothek die Erzählbände „Schlafende Hunde“, „Die Nacht von San Salvador“ und der Essayband „Dissidentisches Denken“. Als dessen Fortsetzung erschien 2022 im Wiener Arco Verlag „Brauchen wir Ketzer? Stimmen gegen die Macht“.