Gastarbeiter*innen haben Deutschland mit aufgebaut. Wir sind ihnen Anerkennung schuldig. Weil der Staat noch immer damit zögert, wird es Zeit, dass ihre Kinder für sie sprechen – und ihnen ein Stück Würde zurückgeben.

Ihr wolltet hier nicht bleiben. Alles war euch fremd. Die Menschen, die Sprache, die Kultur. Auch ihr wart Fremde in diesem Land, das euch als Gäste einlud, um euch im Akkord arbeiten zu lassen. Doch so habt ihr es nie gesehen, ihr habt euch auch nie beschwert, ihr habt einfach gemacht. Ihr habt geschuftet, habt nicht hinterfragt, was euch dieses Land geben würde, das ihr mit aufbaut. Ihr hattet Familien in der Türkei, in Italien, in Jugoslawien, die ihr unterstützt habt. Ihr hattet Kinder, für deren Chancen ihr bereit wart auf eure Leben zu verzichten. Wovon habt ihr geträumt, als ihr 20 wart? Welche Wünsche hattet ihr für euer Leben, das ihr nie leben konntet? Wieso haben wir euch das nie gefragt?

Als die erste Gastarbeiter*innen-Generation nach Deutschland kam, gab es keine Integrationsprogramme, wie wir sie heute kennen. Es gab keine sofortigen Sprachkurse, keine Willkommensklassen, keine Hilfe bei Behördengängen. Niemand hat an Bahnhöfen auf sie gewartet, sie beklatscht und sie willkommen geheißen. Stattdessen wurden viele Menschen noch in ihren Heimatländern von deutschen Ärzt*innen wie auf einem Viehmarkt untersucht: War jemand körperlich ungeeignet, wurde er oder sie sofort ausgemustert. Zum Arbeiten nicht ausreichend ausgestattet. Wenn alles passte, warteten in Deutschland Schichtarbeit und Wohncontainer. Und natürlich auch Geld. Schließlich war das der einzige Grund, warum so viele ihre Heimat verließen. Sie wollten, dass es ihren Familien besser geht. Dafür waren sie bereit, auf die eigene Würde zu verzichten. Sogar ihre Pässe wurden ihnen von Fabrikbesitzer*innen weggenommen, um zu verhindern, dass sie einfach abhauen. Die meisten Gastarbeiter*innen – und entgegen vieler Annahmen waren darunter sehr viele Frauen –  kamen allein ohne jegliche Kenntnis über dieses fremde Land. Und nein, es ist nicht vergleichbar mit 20-jährigen deutschen Abiturient*innen, die sich für ein Jahr in Australien absetzen. Denn sie waren, was man wahrlich mutig nennt. Mut, der ihnen niemals zuerkannt wurde. Es stimmt, dass viele von ihnen nicht bleiben wollten. Doch die meisten haben es für ihre Kinder getan.

Das hier ist für euch

Damals wie heute erlebt ihr Abneigung innerhalb dieser Gesellschaft. Sie werfen euch vor, ihr beherrschet die deutsche Sprache selbst nach so vielen Jahren nicht. Sie sagen euch, ihr wärt immer noch nicht integriert. Sie nennen euch Knoblauchfresser, Jugo-Betrugo und Ausländer. Sie machen euch Vorwürfe, wenn ihr Teile eurer Kultur weiterhin auslebt, untereinander bleibt. Selbst eure Kinder, die bereits in diesem fremden Land geboren wurden, dürfen sich immer noch die Frage gefallen lassen, woher sie eigentlich kommen. Es ist nicht der Mut, der gesehen wird. Der Mut, den man haben muss, um allein und mittellos in ein fremdes Land zu ziehen, dessen Sprache man nicht kennt, dessen Bürokratie überwältigend ist, und deren Gesellschaft euch nicht willkommen heißt.

Doch was sie nicht verstehen, ist, dass ihr weder die Möglichkeit noch die Zeit hattet, diese Sprache zu lernen. Eure Stimme zu hören war in den Fabriken nicht gewollt, der Kontakt zu Einheimischen selten und Angebote für Sprachkurse gab es keine. Sie verstehen nicht, dass es einfacher war, sich im Kreise der eigenen Diaspora zu bewegen, weil dort Menschen waren, die euch verstanden, die euch helfen konnten, weil sie schon einmal beim Amt waren und wussten, was der Unterschied zwischen Duldung und Aufenthaltsgenehmigung ist. Sie verstehen nicht, wie arm die deutsche Küche ohne Knoblauch und Oregano wäre. Sie verstehen nicht, dass ihr euch nicht integrieren konntet, weil sie nicht wollten, dass ihr Teil dieser Gesellschaft werdet. Alle kannten einen Ali aus der Fabrik, der „ganz nett“ ist, aber sie wollten nicht, dass Ali mit am Tisch sitzt und zu ihresgleichen wird. Und sie verstehen nicht, dass eure Kinder sich so lange nicht mit dieser Gesellschaft identifizieren werden, solange ihr Anderssein ständig hervorgehoben wird. Und während sie diese Zeilen lesen, werden sie sich ärgern über diese Worte, die Verallgemeinerungen, anstatt zu verstehen, dass auch ihr es seid, die dieses Land mit aufgebaut haben, und dennoch statt Anerkennung eurer Leistung hören dürft, warum es eure Schuld ist, dass so vieles bis heute schiefläuft mit der Integration. So als sei das alles kein strukturelles Problem dieser Gesellschaft und Politik, das von verschiedenen Seiten gelöst werden muss.

Biografien von Migrant*innen werden stets in der Retrospektive erst als Erfolgsgeschichten bewertet. Doch wir, eure Kinder, wollen euch heute schon ein Denkmal setzen. Wir wollen euch eure Würde als Menschen zurückgeben. Dank euch leben wir heute ein besseres Leben. Euer Verzicht, euer Schweiß und euer Mut haben uns ermöglicht zu träumen. Wir bewegen uns heute selbstsicher zwischen den Welten, jonglieren mit Sprachen wie Akrobaten, und wir erheben unsere Stimme, um sie euch zu geben. Wir wollen euch sagen: Schaut, woher ihr gekommen seid, und seht, wo wir heute sind. Wir sind euer Sprachrohr, wir sind eure Würde, wir sind euer Mut. Unsere Leben sind euer Verdienst. Und wenn sie es euch nicht sagen können, dann sagen wir es euch: Danke!