Der neue US-Präsident will die Zulassung von Arzneimitteln dramatisch vereinfachen und die Aufsichtsbehörde FDA entmachten. Seine Pläne könnten Quacksalbern Tür und Tor öffnen – zum Nachteil von Ärzten, Patienten und der Pharmaindustrie

neilAnfang Januar 2017, noch vor seinem Amtsantritt, schickte Donald Trump Pharma- und Biotechnologieaktien in den Keller, als er während einer der wichtigsten Branchenkonferenzen öffentlich erklärte, Pharmafirmen würden mit Morden ungestraft davonkommen: „Sie gehen über Leichen“. Medikamente seien viel zu teuer und die Regierung müsse auf die Medikamentenpreise Einfluss nehmen: „Die Pharmabranche hat jede Menge Lobbyisten und jede Menge Macht … Wir werden beginnen, zu verhandeln, wir werden Milliarden von Dollar sparen.“ Am 31. Januar – inzwischen Präsident – traf er sich mit den Firmenchefs der Pharmaunternehmen Amgen, Celgene, Johnson & Johnson, Lilly, Merck Inc. und Novartis sowie dem Chef des Industrieverbands PhRMA.

In einem Statement vor dem Treffen bekräftigte er seine Forderung, die Arzneimittelpreise müssten sinken, es gebe keine andere Wahl. Seine Lösung: Der Zulassungsprozess soll vereinfacht werden, und andere Länder, in denen US-Medikamente dank Preiskontrollen billiger sind als in den USA, sollen dafür zahlen. Zudem will er die Produktion von Arzneimitteln in die USA zurückholen.

Statt 9.000 Seiten würde ein Zulassungsantrag in Zukunft 100 Seiten umfassen, sagte Trump. Er werde 75 bis 80 Prozent aller FDA-Regeln und Vorschriften eliminieren.

Damit macht er sich Forderungen seines Beraters Peter Thiel zu eigen, der schon seit längerem dafür eintritt, das Zulassungsverfahren für Arzneimittel komplett über den Haufen zu werfen.

Zulassung dauert 12 bis 15 Jahre

Bislang werden Arzneimittel in den USA ebenso wie in Europa und fast allen anderen Industrieländern nach einem genau festgelegten Prozess zugelassen. Er ist – stark vereinfacht – folgendermaßen aufgebaut: An jahrelange präklinische Studien, die an Zellkulturen und Tieren durchgeführt werden, schließen sich drei Phasen der so genannten klinischen Prüfung an. In Phase I wird das Medikament an ca. 20 bis 80 gesunden Freiwilligen auf Verträglichkeit und Sicherheit getestet. Ist diese Hürde genommen, schließen sich Tests der Phase II an Patienten mit der entsprechenden Erkrankung an. In diesen Studien geht es um die Überprüfung des Therapiekonzepts und die Ermittlung der geeigneten Therapiedosis. Auch wird bereits darauf geachtet, ob positive Effekte der Therapie zu beobachten sind. Diese Tests umfassen jeweils bis zu etwa 200 Patienten. Erst dann kommt es zu Studien der Phase III, in denen der neue Arzneimittelkandidat an (je nach Erkrankung) mehreren Hundert bis mehreren Tausend Patienten auf signifikanten Wirksamkeitsnachweis geprüft wird. Erst danach kann eine Marktzulassung erteilt werden. Insgesamt dauert der Prozess von der ersten Identifizierung eines neuen Medikamentenkandidaten bis zur Zulassung ca. 12 bis 15 Jahre. Auch danach sind weitere Studien verpflichtend, um Langzeiteffekte und seltene Nebenwirkungen analysieren zu können.

Zu viel für Thiel

15 Jahre erscheint radikalen Erneuerern wie dem Multimilliardär Thiel, der im Silicon Valley mit PayPal und Facebook reich geworden ist, ein absurd langer Zeitraum. Thiel, derzeit Partner des Risikokapital­unternehmens Founders Fund, Präsident des Hedgefonds Clarium Capital sowie Mitgründer von Mithril Capital Management und Vorstandsvorsitzender von Valar Ventures, klagt seit langem über mangelnden Pioniergeist und eine nachlassende Risikobereitschaft der Amerikaner. Er hat in Sachen Technologie großen Einfluss auf Trump und wird vermutlich entscheidenden Anteil daran haben, wer in Zukunft die US-Arzneimittelbehörde FDA leiten und wie die Reform der FDA aussehen wird.

Trump hat sich bereits mit zwei von Thiel vorgeschlagenen Kandidaten getroffen. Trumps Sprecher Sean Spicer bestätigte anschließend, dass beide für einen Job in der FDA in Betracht gezogen werden. Beide sind keine Mediziner oder Wissenschaftler und beide sind wie Thiel der Auffassung, die Aufsichtsbehörde stehe der schnellen Zulassung von neuen Medikamenten im Weg.

Wirksamkeit nach der Zulassung testen

Der erste ist Jim O’Neill, Managing Partner von Mithril. O’Neill ist der Überzeugung, für die Zulassung eines Medikaments sei der Nachweis der Sicherheit ausreichend. Ob das Medikament wirksam und langfristig verträglich sei, könne man nach der Zulassung herausfinden. Patienten warteten auf neue Medikamente und sollten so früh wie möglich die Gelegenheit haben, die neuen Wirkstoffe auf eigenes Risiko zu testen. Die Möglichkeit, Pharmafirmen bei Unwirksamkeit oder Schädlichkeit auf Schadenersatz zu verklagen, sei ausreichend, um Firmen davon abzuhalten, schlechte Produkte auf den Markt zu bringen. Er nennt das „schrittweise Zulassung“.

O’Neill ist zugleich Favorit der Alt-Medicine Bewegung, weil er für die Legalisierung von Cannabis eintritt und sich in führender Position an der Coalition for Cannabis Policy Reform beteiligte, die an der Legalisierung von Cannabis in Kalifornien maßgeblichen Anteil hatte. In der pseudomedizinischen Szene gilt Cannabis als Medizin, die alles heilt – von Alzheimer über Krebs bis zu psychischen Erkrankungen und Zika-Infektionen; eine Erkenntnis, die die FDA angeblich der Öffentlichkeit verschweigt, weil sonst die Profite der Pharmaindustrie in Gefahr wären. Mit O’Neill an der Spitze der FDA, so die Hoffnung von einflussreichen Alt-Medicine Vertretern, könnte Cannabis und anderen Wunderkuren zum Durchbruch verholfen werden.

Der zweite Kandidat ist Balaji Srinivasan, CEO der Bitcoin-Firma 21 Inc. und Partner des Risikokapitalunternehmens Andreesen. Er hat als ehemaliger Chef des Biotechnologieunternehmens Counsyl ein wenig Erfahrung mit der Branche. Counsyl entwickelt Tests, die es Eltern ermöglichen sollen, genetische Risiken zu bestimmen und für ihre Fortpflanzungsplanung zu berücksichtigen. Dazu gehören auch nicht-invasive Gentests von Ungeborenen. Dabei werden Zellen des Embyros aus dem mütterlichen Blut isoliert und untersucht. Srinivasan kommuniziert wie Trump am liebsten über Twitter und hat sich hier in der Vergangenheit häufig negativ über die FDA geäußert. Nach dem Treffen mit Trump twitterte er:

…und löschte sein Twitterarchiv. Archiviert sind seine Tweets hier. Aus ihnen geht hervor, dass Srinivasan die FDA für mehr oder weniger überflüssig hält. Auch er glaubt, Patienten könnten neue Medikamente am besten beurteilen; ihr Feedback und das von Ärzten sei schneller, effizienter und zielführender als der bürokratische Prozess der FDA. Ärzte könnten Ratings wie bei Uber oder Airbnb vergeben, und Crowdsourcing anhand der Erfahrungen der ersten Nutzer und ihrer Ärzte würde eine bessere Bewertung erlauben als das gegenwärtige System. Eine „Yelp“-App für Medikamente sei der FDA wesentlich überlegen.

Thiel und die von ihm favorisierten Kandidaten sind der Meinung, man könne die Arzneimittelzulassung ähnlich revolutionieren wie Uber und AirBnB das Taxi- und Hotelgewerbe umkrempelt.

Ist die FDA das Problem?

Biologie lässt sich jedoch nicht so einfach handhaben wie Computercodes. Schon eine einzelne Zelle ist so komplex, dass ihr Stoffwechsel kaum zu simulieren ist. Seit mehr als einem Jahrzehnt arbeiten Bio-IT-Firmen daran, die Reaktion von Zellen und Organismen auf Wirkstoffe zu simulieren, um Studien an lebenden Organismen zu ersetzen, aber bislang ist kein Durchbruch gelungen. Es kommt hinzu, dass Menschen je nach genetischer Ausstattung, Lebensweise und Vorerkrankungen unterschiedlich reagieren. An dieser Komplexität ist auch künstliche Intelligenz bislang gescheitert.

Auch die Statistik belegt das Problem: Obwohl Pharmafirmen Unsummen in die Forschung investieren und dabei in den letzten Jahrzehnten hunderte Millionen in Technologien investiert haben, die die so genannte „attrition rate“, d.h. die Versagensrate senken sollen, sind sie damit nicht weit gekommen. Die Chance, dass ein neuer Wirkstoff präklinische und klinische Studien erfolgreich übersteht und zugelassen wird, beträgt noch immer nur 0,1 Prozent; hat er die präklinischen Studien erfolgreich überstanden, beträgt die Wahrscheinlichkeit für eine Zulassung 8 Prozent. Die meisten Wirkstoffe scheitern nicht an überbordender Regulierungswut oder Willkür der FDA, sondern daran, dass sie nicht das tun, was die Forscher von ihnen erwartet haben: Sie sind unwirksam oder werden im Körper ungünstig aufgenommen, verteilt oder abgebaut. Sicherheit ist das geringste Problem. Nur 10 Prozent scheitern wegen unerwarteter Nebenwirkungen im Menschen, da die aus präklinischen Studien gewonnenen Daten inzwischen eine relativ sichere Risiko-Abschätzung erlauben.

Medikamente sind etwas anderes als ein neues Smartphone oder eine Software, bei denen die Benutzererfahrung leicht und schnell zu ermitteln ist – ob ein Medikament langfristig wirksam, nebenwirkungsfrei und sicher ist, lässt sich von Konsumenten kaum ermitteln.

FDA schnellste Zulassungsbehörde

Die FDA ist schon lange nicht mehr langsam; sie ist die schnellste Zulassungsbehörde der Welt. Für die Zulassung von Medikamenten zur Behandlung seltener, sehr schwerer oder lebensbedrohlicher Erkrankungen gibt es beschleunigte Programme und reduzierte Gebühren. Die durchschnittliche Beurteilungszeit eines neuen Medikaments ist seit den 1980er Jahren von 30 auf 8,5 Monate gefallen. Das hat einigen bahnbrechenden Medikamenten, etwa Mitteln gegen Krebs, deutlich schneller zum Durchbruch verholfen. Studien zeigen aber auch, dass seit Mitte der 1990er Jahre 85 bis 90 Prozent aller neu zugelassenen Medikamente kaum Vorteile gegenüber existierenden Behandlungsmöglichkeiten brachten – ein Faktor, den die FDA nicht untersucht.

Das heisst nicht, dass die FDA nicht verbessert werden könnte. Bislang fehlt eine klare Strategie für die Zulassung von Kombinationsbehandlungen, die zur wirksamen Bekämpfung von Krebs heute von praktisch allen Experten als einzig erfolgversprechende Strategie angesehen werden. Auch in Sachen personalisierte Medizin besteht Reformbedarf. Hier kommt Silicon Valley ins Spiel, mit neuen Konzepten und Tools für die Analyse von Patientendaten, mit neuen Geräten zur Überwachung von Vitalfunktionen usw.

Blickt man in die Geschichte, ist der moderne Zulassungsprozess ein Erfolg. Er hat Tragödien wie Contergan oder den Cutter-Zwischenfall beim ersten Polio-Impfstoff zuverlässig verhindert und dennoch dafür gesorgt, dass heute Krankheiten zuverlässig behandelt werden können, die noch vor einer Generation das Todesurteil bedeuteten.

Die Forderung nach einem drastischen Regulierungsabbau bei der Zulassung von neuen Arzneimitteln wird denn auch weder von Ärzten noch von der Pharma- oder Biotechnologie-Industrie erhoben.

Ein unregulierter Markt

Was der Verzicht auf Regulierung bedeutet, lässt sich auch heute noch beobachten. 1994 beschloss der US-Kongress dank extrem erfolgreichen Lobbyismus der beteiligten Industrie den Dietary Supplements Health and Education Act (DSHEA), den Präsident Bill Clinton unterschrieb. Seitdem ist der Markt für Alter-Medicine-Präparate in den USA komplett unreguliert. Etwa 100 Millionen Amerikaner konsumieren pro Jahr Schlankheitsmittel, Vitamine und Mikronährstoffe, Powerdrinks, Heiltees, Stärkungsmittel für Immunsystem, Kreislauf, zur Vorbeugung und Behandlung von degenerativen Erkrankungen und chronischen Leiden usw. Auf dem 14,8 Milliarden Dollar-Markt waren 2012 mehr als 55.000 Präparate erhältlich.

Wer Nahrungsergänzungmittel auf den Markt bringt, kann damit werben, dass sie bei der Vorbeugung bzw. Heilung von Krebs, Alzheimer, Bluthochdruck und Infektionskrankheiten „unterstützen“, ohne dass er das beweisen muss. Die freie Verfügbarkeit von gänzlich ungeprüften Kräutermischungen, Extrakten und Pülverchen hat Folgen, denn die Mittel sind häufig verunreinigt oder mit illegalen Substanzen, darunter verschreibungspflichtigen Medikamenten, angereichert. Von 2003 bis 2014 stieg der Anteil von Leberschäden durch solche Mittel (ohne Bodybuilding-Präparate) von 7 auf 20 Prozent aller Patienten mit Leberschaden. Der wichtigste Befund: 13 Prozent der schweren Fälle (Tod oder Transplantation) waren auf Nahrungsergänzungsmittel zurückzuführen, aber nur 3 Prozent auf Schäden durch Medikamente. Häufigste Opfer waren Frauen im mittleren Alter.

Desaster für Patienten

Weitere Komplikationen sind Gerinnungsstörungen, Nierenversagen, Herz- und Kreislaufprobleme, Allergien, die Verschlimmerung von Autoimmunerkrankungen und Wechselwirkungen mit lebensrettenden Medikamenten (Aids-Medikamente, Immunsuppressiva), Narkosemitteln etc. Eine weitere Studie, die die Daten von 63 Notaufnahmen in Krankenhäusern zwischen 2004 und 2013 auswertete, kam zu dem Ergebnis, das zehn Prozent aller Fälle, die mit einer stationären Aufnahme endeten, auf Nahrungsergänzungsmittel zurückzuführen waren. Versuche, diesen Wildwuchs zu beenden und die Zulassung ähnlichen Kriterien zu unterwerfen wie Medikamenten, gab es viele. Fast alle sind gescheitert. Nun sieht es so aus, als ob die Harmonisierung doch noch kommt. Allerdings mit völlig umgekehrten Vorzeichen.

Für Patienten dürfte eine derartige Regulierung ein Desaster bedeuten, denn Phase I-Studien sind wegen ihrer Kürze und der begrenzten Anzahl von Patienten überhaupt nicht geeignet, Langzeitprobleme zu identifizieren. Sie geben allenfalls eine erste Orientierung und schließen akut toxische Wirkung aus. Die Medikamentenzulassung derart zu vereinfachen, ist eine Einladung an Quacksalber aller Art, mit angeblichen Wundermitteln wie MMS, schwarzer Salbe und Dichloressigsäure auf den Markt zu drängen und ihren fragwürdigen Nahrungsergänzungsmitteln den FDA-„Segen“ verleihen zu lassen. Amerikanische Patienten könnten auf diese Weise zu gefragten Versuchskaninchen werden, um Aufschluss über die Langzeitfolgen von Mittelchen aller Art zu gewinnen.

Die Pharmaindustrie jedoch würde am wenigsten davon profitieren: Sie könnte sich kaum noch gegen Quacksalber abgrenzen und hätte auch international das Nachsehen. In allen wichtigen internationalen Märkten dürften weiterhin die international vereinbarten Standards gelten, und die sehen das komplette Programm an klinischen Studien und ausführliche Dossiers als Voraussetzung für eine Zulassung vor. Patienten in den USA stehen schwere Zeiten bevor.

Lesen Sie hier den ersten Teil: Trump und die Impfgegner