Vor wenigen Tagen wurde Deana Mrkaja an ihrem Knie operiert. Als sie auf den OP-Tisch kletterte, fühlte sie sich, als würde sie ihren eigenen Tod vorbereiten.

Die eigentliche Tragik der anstehenden Knie-Operation ereignete sich bereits am Morgen der OP. Als Jugendliche hatte ich mir einige Körperteile mit Löchern durchbohren lassen, die Piercings mit der Zeit jedoch mit Zangen so festgedreht, dass ich sie nur mit Gewalt wieder öffnen kann. Nun stand ich also vor der Herausforderung sämtliches Metall aus meinem Körper zu entfernen, was mir minder gut und nur unter Schmerzen gelang. Ich trage neben anderen ein Piercing am Tragus – der Knorpelmasse vor dem Gehörgang. Nachdem ich mehr als eine halbe Stunde versuchte, die Kugel dieses Ohrrings aufzudrehen und gerade davor war zu kapitulieren, merkte ich, dass die kleine Kugel zum Öffnen verschwunden war. Einerseits bedeutet das meinen Triumph, doch andererseits ließ sich die Kugel in meinem doch kleinen Bad nirgendwo mehr finden, weshalb ich darauf schloss, dass sie sich im Inneren meines Ohrs befindet. Meine Schwester erklärte mich für verrückt, während ich mich immer mehr in die Situation reinsteigerte und bis heute davon überzeugt bin, dass es sich die Kugel in meinem Ohr gemütlich gemacht hat. Diese Situation erinnerte mich an einen Fall als 16-Jährige. Damals hatte ich ein Zungenpiercing und wachte eines Morgens mit fehlender Verschlusskugel im Mund auf. Ich musste sie nachts verschluckt haben. Der trockene Kommentar meines Bruders damals am Frühstückstisch: „Dann musst du wohl deinen Stuhlgang sieben.“

Warum vor der Knie-OP Opiate verteilt werden

Ich verstehe Menschen nicht, die mit Jogginghosen ihren Alltag bestreiten. Ja, man kann in ihnen zum Sport gehen und auch wieder zurück oder auch mal am Wochenende Brötchen beim Bäcker holen, doch was das alltägliche Leben betrifft, betrachte ich es wie Karl Lagerfeld eher als „Kontrollverlust über das eigene Leben“, wenn man damit ständig herumläuft. Umso schlechter fühlte ich mich an besagtem Tage in einer grauen Jogginghose morgens zwischen den ganzen arbeitstüchtigen Menschen durch Berlin fahren und laufen zu müssen, um zur Klinik zu gelangen, in der ich operiert wurde. Die graue Variante war leider die einzige, bei der sichergestellt werden konnte, dass die Knieschiene nach der OP darunter passen würde.

Kaum in meinem Krankenzimmer angekommen, hatte ich fünf Minuten später nicht nur einen Zugang gelegt und Antibiotikum präventiv und intravenös verabreicht bekommen, sondern auch ein Opiat geschluckt, damit ich nach der OP keine großen Schmerzen haben würde. Als ich fragte, ob das denn wirklich nötig sei, sagte die behandelnde Schwester zu mir: „Glaub mir, du wirst es brauchen.“ Nachdem sich die Wirkung der Droge langsam bemerkbar machte und ich mich wie in Wolken gehüllt fühlte, dachte ich nur noch: „Geil!“

Die OP-Schwester malte Deana eine Sonne auf das zu behandelnde Bein

Muss die OP wirklich sein?

Neben mir wurde eine alte Dame vom Narkosearzt zur OP abgeholt. Sie fragte ihn: „Sind Sie der Bettenschieber?“ Er antwortete: „Ja, genau. Ich schiebe den ganzen Tag nur Betten durch die Gegend und heute ist mein erster Arbeitstag. Aber Sie sind in sicheren Händen.“ Der Bettenschieber sollte auch mich kurze Zeit später abholen. Vor dem OP-Saal sagte er dann zu mir: „Los, aufstehen!“ Ich: „Soll ich jetzt allein auf den OP-Tisch steigen?“ Er: „Na, aber sicher doch.“ Während ich also etwas verstört auf den OP-Tisch kletterte, wo bereits drei Schwestern herumwuselten, fühlte ich mich, als würde ich gerade meinen eigenen Tod vorbereiten.

Vollnarkosen sind angsteinflößend. Nicht, weil man nie weiß, ob man jemals wieder oder sogar während der OP aufwacht, sondern weil man die Kontrolle komplett abgibt und einfach nicht mitbekommt, was um einen herum und mit einem passiert. Man muss einfach vertrauen – eine Eigenschaft, die ich nicht besitze. Ich mache immer alles selbst, weil ich stets davon überzeugt, dass es dann besser wird, als wenn ich es jemandem überlasse. Ich gebe die Kontrolle nur dann ab, wenn ich gezwungen werde – wie in diesem Fall. Während ich also auf dem kalten OP-Tisch liege, die Schwestern das Besteck und den Bohrer (!!!) vorbereiten, denke ich kurz noch einmal über alles nach. „Deana, ist Sport wirklich wichtig? Du könntest doch auch einfach für den Rest deines Lebens vorsichtig schwimmen gehen und anfangen zu spazieren. Volleyball und Boxen sind ja auch gar nicht so geil und auf einem Trampolin herumspringen, tust du ja auch nicht täglich.“ All diese Gedanken schießen mir durch den Kopf und ich versuche mir selbst einzureden, dass man doch auch mit einem kaputten Knie weiterleben kann. Plötzlich öffnet sich die Schleuse zum OP-Saal und mein behandelnder Arzt kommt herein. Er schaut mich an, lacht und sagt: „Na, Schiss?!“

Wenn man nicht weiß, ob man eventuell jahrelang geschlafen hat

Ja, ich habe Schiss. Alles andere wäre gelogen. Während der Arzt Scherze macht und mich fragt, welches Knie es noch einmal war, baut er – wie versprochen – auch die Kamera auf. Denn er hatte unterschrieben, die OP für mich aufzuzeichnen, damit ich sehen kann, was genau gemacht wird. Ich wollte mein Leben lang immer Medizin studieren, doch mein Abi war einfach zu schlecht. Doch bis heute fasziniert mich dieser Beruf und ich verspüre stets Neid und großen Respekt, wenn ich Ärzten gegenüberstehe. Oder wie in diesem Fall liege. „Wozu brauchen Sie das Video eigentlich?“ „Damit ich es gegen Sie verwenden kann, falls Sie Mist bauen!“ Na, wer hat jetzt Schiss, dachte ich mir, sagte es aber nicht.

Während die eine Schwester mich etwas zu einer meiner Tätowierungen fragte, der Narkosearzt an mir rumfummelte und der Arzt sagte, er würde sich das mit dem Video noch einmal überlegen, wurde es mir sehr schwindelig. Ich hatte nicht bemerkt, dass die Narkose bereits eingeleitet wurde und sagte laut: „Mir ist ganz komisch.“ Daraufhin hörte ich den Narkosearzt noch lachen und sagen: „Mhm ja, mir auch. Und tschüss!“

Noch während ich aus dem OP-Saal gefahren wurde, kam ich bereits zu mir. Ich schaute die Menschen um mich herum an und fragte: „Haben wir schon eine Regierung?“ Die Frage führte zu sehr viel Gelächter, was ich nicht verstand, da ich sie durchaus ernst meinte und nicht einschätzen konnte, ob ich eventuell jahrelang geschlafen hatte. Im Aufwachraum merkte ich sehr schnell, warum die Opiate bereits vor der OP verteilt werden. Ich will nicht angeben, aber ich bin definitiv kein wehleidiger Mensch. Ich halte große Schmerzen aus, ohne sie zu kommentieren, aber das, was ich hier erlebte, war eine andere Liga. Als ich durch meine halbgeöffneten Augen eine Schwester vorbeilaufen sah, bat ich sie, mir doch bitte etwas intravenös zu verpassen. Wenige Minuten später – ich muss wieder kurz eingeschlafen sein – fragte ich eine andere Schwester genau dasselbe. Sie setzte gerade dazu an, mir etwas zu geben und sah dann, dass ich bereits die Höchstdosis erhalten hatte. Aus war also mein Traum von noch mehr flüssigen Drogen. Sie gab mir jedoch eine Ibuprofen 800 und 500mg Novalgin, was mich die Schmerzen ertragen ließ. Da ich mich ambulant operieren ließ, durfte ich nachdem meine Werte zuverlässig gut waren, die Klinik verlassen. Wie es an dieser Stelle weiterging und warum sich meine kleine Schwester für mich schämte, schreibe ich im nächsten Text auf.

Im nächsten Beitrag: Alles auf Anfang.

 

[hr gap=“3″]

Sämtliche Beiträge aus Deana Mrkajas Tagebuch des Kreuzbandrisses finden Sie hier.