Wenn die Österreicher eines können, dann ist es das Essen. Rund 3800 Kalorien verbraucht ein ausgewachsener Ösi im Schnitt – und damit mehr als ein durchschnittlicher Amerikaner. Eine unappetitliche Tradition, findet unsere Gastautorin.

Immeressen – Diesen Namen erfand Steve Martin in seinem grandiosen Film „Dead Men don’t wear Plaid“ 1982 für ein Kreuzfahrschiff, das wichtige Hinweise für einen Krimi-Plot liefert. Nur wenige Zuschauer der Originalfassung werden den deutschen Ausdruck verstanden haben, aber mir hat er sich tief eingegraben und taucht immer wieder auf, wenn ich U-Bahn fahre oder mich sonst in der Öffentlichkeit herumtreibe. Ich frage mich dann, wieso die Menschen früher nicht verhungert sind, als es noch als Unhöflichkeit galt, auf der Straße zu essen. Oder verdurstet, denn ohne Begleitgetränk geht man heute nicht mehr aus dem Haus, und selbst bei Konzertaufführungen und Theaterveranstaltungen sieht man immer wieder Durstige ihren offenbar drohenden Austrocknungstod durch Schlucke aus der Wasserflasche abwenden.

Nun ist das Wehklagen über olfaktorische und ästhetische Belästigung nicht neu, über die resultierende Verschmutzung und Verstinkung. Eine neue Facette kam für mich allerdings erst neulich dazu, als ich lesen musste, dass in Österreich pro Person und Tag mehr Kalorien verbraucht werden als in den USA, nämlich 3768 Kcal (USA 3682). Die Zahlen stammen zwar von 2013, aber da der Konsum bis dahin ständig angestiegen ist, wird er wohl in den letzten Jahren kaum abgenommen haben. Sicher nicht, wenn man sich auf U-Bahn Beobachtungen beruft.

Die „Neos“ sind schuld!

Doch wie kann das sein? Die Schwabbelfiguren wälzen sich erfahrungsgemäß viel häufiger durch amerikanische Straßen und Supermärkte oder rollen, weil die Beine sie nicht mehr tragen können, auf Wägelchen durch US-Fressabteilungen, um ihren Kalorienbedarf aufzufüllen. Unsere Politiker der „Neo“-Partei sind sicher nicht schuld an diesem Fettquotienten, nähen sie sich doch gerne in enganliegende, figurbetonte Anzüge ein, um ihre Jugendlichkeit und Trendaffinität in der Öffentlichkeit darzustellen. Aber die sind halt vom Ehrgeiz zerfressen, und das scheint zu zehren.

Nein, ich mache jetzt keinen eleganten Schwenk in Richtung Österreichische Wahlergebnisse, ich lebe noch in Schockstarre nach dieser unsäglichen Wahl und der ihr vorhergehenden Primitivpropaganda mit Haxelbeisserei auf Sandkistenniveau. Und der dräuenden Zukunft.

Ostösterreich – Region der Rekorde

Was tun also Österreicher mit all diesen Kalorien? Füttern wir in Kellern (mit unterirdischen Geheimnissen haben wir ja schon Erfahrung) den Liebling, bis er nicht mehr durch die Tür passt? Leiden wir alle an Bulimie? Oder kaufen wir, um wegzuwerfen?

Die Zahl von 760.000 Tonnen weggeworfener Lebensmittel in Österreich, von denen 491 Tonnen noch perfekt genießbaren wären, ist jedenfalls zum Kotzen. Wie auch die 179 Kilo (ein Viertel der konsumierten Lebensmittel!), die jeder EU-Bürger dem Mistkübel „serviert“.

Aber irgendwie schafft Österreich da einen Rekord beim Fressthema. Vor allem in Ostösterreich, wo Ältere und Ungebildete zu den Adipositas-affinen gehören (wie ja sonst auch). Dort wird vielleicht wirklich verzehrt, was in Westösterreich weggeworfen wird?

Ein leider schon verstorbener Wiener Schauspieler namens Kurt Sowinetz hat jedenfalls bereits 1972 (die richtigen Worte fand Trude Marzik) die gierige Wiener Seele in einem G’stanzel besungen: „I bin blad, sogt er …“, das mit der poetischen Zeile schließt: „…brat mir a Stelz’n bis i kumm / weil da Hunger bringt mi um.“ 

Und ein sehr wienerischer Dichter, Josef Weinheber, hat dereinst schon sehr genau beschrieben, was den Wiener, den Vorzeigephäaken, wirklich bewegt. Es ist leider in der Sprach geschrieben, die Deutsche und Österreicher trennt, im herzhafte Wiener Dialekt, aber der ungefähre Sinn wird sich auch Nicht-Wienern erschließen:

Ich hab sonst nix, drum hab ich gern
ein gutes Papperl, liebe Herrn: 
Zum Gabelfrühstück gönn ich mir
ein Tellerfleisch, ein Krügerl Bier,
schieb an und ab ein Gollasch ein,
(kann freilich auch ein Bruckfleisch sein)
ein saftiges Beinfleisch, nicht zu fett,
sonst hat man zu Mittag sein G’frett.
Dann mach ich – es ist eh nicht lang
mehr auf Mittag – mein’ Gesundheitsgang,
geh übern Grabn, den Kohlmarkt aus
ins Michaeler Bierwirtshaus.
Ein Hühnersupperl, tadellos,
ein Beefsteak in Madeirasoss,
ein Schweinspörkelt, ein Rehragout,
Omletts mit Champion dazu,
hernach ein bisserl Kipfelkoch
und allenfalls ein Torterl noch,
zwei Seidel Göss – zum Trinken mag
ich nicht viel nehmen zu Mittag –
ein Flascherl Gumpolds, nicht zu kalt,
und drei, vier Glaserl Wermuth kalt.
Damit ichs recht verdauen kann,
zünd ich mir mein Trabukerl an
und lehn mich z’rück und schau in d’Höh,
bevor ich zu mein’ Schwarzen geh.
Wann ich dann heimkomm, will ich Ruh,
weil ich ein Randerl schlafen tu,
damit ich mich, von zwei bis vier,
die Decken über, rekreier’.
Zur Jausen geh ich in die Stadt
und schau, wer schöne Stelzen hat,
ein kaltes Ganserl, jung und frisch,
ein Alzerl Käs, ein Stückl Fisch,
weil ich so früh am Nachmittag
nicht schon was Warmes essen mag.
Am Abend, muß ich sagn,
eß ich gern leicht, wegn meinen Magn,
Hirn in Aspik, Kalbsfrikasse,
ein kleines Züngerl mit Püree,
Faschierts und hin und wieder wohl
zum Selchfleisch Kraut, zum Rumpsteak Kohl,
erst später dann, beim Wein zur Not,
ein nett garniertes Butterbrot.
Glaubn’S nicht, ich könnt ein Fresser wern,
ich hab sonst nix, drum leb ich gern
kein Haus, kein Auto, nicht einmal
ein G’wehr im Überrumplungsfall.
Wenn nicht das bisserl Essen wär – 
(Stimme des Volkes:)
Segn S’, deswegen ham S’ nix, liaber Herr!

 

Unsere Gastautorin Elisabeth Hewson wechselte nach längerer Werbekarriere als Texterin und Creativ-Direktorin zur Gegenseite über und brachte ein Konsumentenmagazin heraus, nebenbei schrieb sie als Intendantin der Wiener Kinderoper im Konzerthaus Musical-Libretti. Sie lebte in London und im (für Wiener höchst ungemütlichen) Tirol, arbeitete dort für den ORF, nach Wien zurückgekehrt als freie Reisejournalistin für einige Österreichische Tageszeitungen. Auch etliche Bücher sind erschienen, querbeet von Gesundheits- und Kulinarik- bis Kulturthemen. Das aktuellste ist das „Bio Ketzer Buch“. Sie ist Mitglied bei den „Skeptikern“ und unterstützt sie beim Kampf gegen Humbug, von Homöopathie bis Rudolf Steiner.