Wie eine Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt das antitotalitäre Engagement jüdischer Schriftsteller und Intellektueller denunziert.

In totalitären Diktaturen existierten in Bibliotheken und Archiven sogenannte „Giftschränke“, in denen sich die jeweils „verbotene Literatur“ befand – regimetreue Wissenschaftler durften hier allein mit „Sondergenehmigungen“ heran. Nachbauten jener Schränke sind gegenwärtig in Vitrinenform im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu besichtigen, wo bis zum 8. Januar die Ausstellung „Parapolitik: Kulturelle Freiheit und Krieg“ zu sehen ist. Gezeigt werden soll die CIA-Finanzierung des antitotalitären „Kongresses für Kulturelle Freiheit“ (CCF), der seit Beginn der fünfziger Jahre ein weltweites Netz liberaldemokratischer Institutionen, Zeitschriften und Tagungen aufgebaut hatte.

Was die „New York Times“ bereits im Jahre 1967 enthüllte, wollen die Ausstellungsmacher (dazu auch noch tätig in einem Haus, das einst ebenfalls dank amerikanischer Hilfe erbaut wurde) laut eigener Darstellung keineswegs erneut skandalisieren. Stattdessen fragen sie – auch mit Blick auf abstrakte Kunst, die einst als Gegengewicht zu den östlich staatssubventionierten Gemälden des „sozialistischen Realismus“ gefördert wurde – „ob der Kanon der westlichen Moderne rückwirkend ‚globalisiert‘ werden kann, ohne dass die ideologischen Strukturen und instititutionellen Narrative problematisiert werden, die diesen untermauerten und exportierten.“

Uralte stalinistische Geschichtslügen

Die aufgeblähte Sprache entspricht jedoch unfreiwillig der Präsentationsform, denn die zahlreichen Exemplare von Melvin Laskys legendärer Zeitschrift „Der Monat“, die von 1958-1969 vom CCF unterstützt wurde, verbleiben hinter dem verschlossenen Vitrinenglas und sind damit ebenso wenig einsehbar wie die Nummern der Partnerzeitschrift „Preuves“, die in Paris von Francois Bondy herausgegeben wurde. Nichts erfährt man also von den jüdischen Biographien der damaligen Intellektuellen, deren Antitotalitarismus im Ausstellungstext lediglich in Anführungszeichen vorkommt, während Laskys öffentlicher Protest gegen Schriftstellerverfolgungen in der UdSSR als „infam“ denunziert wird und ansonsten die uralte stalinistische Geschichtslüge wiederauflebt, nach welcher antitotalitäres Denken auf einer „Gleichsetzung“ von Nazismus und Kommunismus beruhe.

Doch nicht allein, dass sich außer den CIA-Geldspritzen beim „Monat“ keine Belege für irgendwelche Zensur finden (die Zeitschrift kritisierte stattdessen die Umtriebe des Senators Joseph McCarthy ebenso deutlich wie sie Martin Luther Kings Bürgerrechtsbewegung mit Sympathie begleitete). Das tatsächlich infame Gerede von der (US-gewünschten) System-„Gleichsetzung“ funktioniert nur dann, wenn konsequent verschwiegen wird, wer damals derart strikt antitotalitär argumentierte, forschte und publizierte: Hannah Arendt, Raymon Aron, Sidney Hook, Manés Sperber, Peter de Mendelsohn, Hilde Spiel, Friedrich Torberg und unzählige weitere jüdische Intellektuelle, die wie Arthur Koestler in Spanien gegen Franco gekämpft hatten, wie Francois Fejtö Mitglied der französischen Résistance waren oder wie Melvin Lasky als Angehörige der US-Armee 1945 ihren Beitrag geleistet hatten, das Naziregime zu besiegen.

Das reflektierte Entsetzen dieser linksliberalen Zeitzeugen über Hitlers und Stalins Massenmorde wird in der gegenderten Banausensprache der Berliner Ausstellung zur erneut infamen Behauptung, „dass sich zahlreiche Künstler*innen und Schriftsteller*innen von ihrem früheren Engagement für eine revolutionäre Politik lossagten“. Das insinuierte Zerrbild der CIA-gekauften Verräter gewinnt zusätzlich Kontur, wenn Kurator Anselm Franke in forschem Neonationalismus behauptet: „Es ging darum, Kulturförderung in großem Maßstab zu betreiben, um einen bestimmten Freiheitsbegriff amerikanischer Herkunft durchzusetzen.“

Heimelig deutsch statt kosmopolitisch

Nun ja, die 1933 aus Nazi-Deutschland vertriebenen Hans Sahl und Walter Mehring schrieben ihre „Kulturbriefe“ tatsächlich aus New York, und auch Theodor Adornos Kritik an Oswald Spenglers Untergangs-Geraune war angelsächsisch-pragmatisch geprägt. Der Versuch, verhängsvolle deutsche Gestimmtheiten zu durchlüften und zu zivilisieren, wurde übrigens bereits damals mit Hass kommentiert, etwa wenn der Ostberliner Philosoph Wolfgang Harich forderte, „die kosmopolitische Zersetzung unserer nationalen Tradition als tödliche Gefahr für Deutschland zu erkennen und energisch zu bekämpfen“.

In der jetzigen Ausstellung ist nun missbilligend von der „ideologischen Verbindung zwischen deutschen und amerikanischen Intellektuellen“ zu lesen, vom „Ziel einer Normalisierung kapitalistischer Vorherrschaft“ – ohne die profunden Debatten im „Monat“, in „Preuves“ oder im Londoner „Encounter“ über die soziale Marktwirtschaft und die wichtige Rolle der Gewerkschaften auch nur ansatzweise zu erwähnen. Immerhin geben die kursorischen Resümees zu den ebenfalls hinter Vitrinenglas versperrten außereuropäischen „Kongress“-Zeitschriften – ironischerweise gegen die Intention der Ausstellungsmacher – einen Eindruck von der damaligen intellektuellen Blüte: „Black Orpheus“ in Nigeria und „Transition“ in Uganda veröffentlichten Texte junger afrikanischer Autoren wie des späteren Literaturnobelpreisträgers Wole Soyinka und wurden damit ebenso zu Podien postkolonialer Debatten wie die Zeitschriften „Hiwar“ in Beirut, „Quest“ in Indien“ oder „Sassangye“ in Südkorea.

Angesichts des dortigen diktaturkritischen Meinungspluralismus, der seitdem nie wieder auf diesem Niveau erreicht wurde, zweifeln sogar die „Kurator_innen“ daran, wie „wirkungsvoll die CIA-Intervention tatsächlich war“. Bezogen auf die Bundesrepublik und den „Monat“ hätten ihnen das auch Laskys Nachfolger Peter Härtling und Klaus Harpprecht sagen können, die persönlich nichts von der klandestinen Finanzierung wussten, sich aber noch im Nachhinein immens darüber freuten, das CIA-Geld derart gekonnt zweckentfremdet zu haben. Folgt man freilich dem Tenor der Ausstellung, für den Manés Sperber einst die Bezeichung von der „polizistischen Geschichtsauffassung“ fand, war es gerade die Absicht des Geheimdienstes, durch die Unterstützung links- und sozialliberaler Positionen die Überlegenheit des westlichen Modells zu zeigen (von dessen Funktionieren, nebenbei gesagt, selbstverständlich auch die „Kurator_innen“ profitieren).

Danke, CIA!

Falls es so gewesen sein sollte: Danke, CIA! Danke für die verdeckte Finanzierung von Texten, die auch ohne die Agentur geschrieben worden wären, nun jedoch ein breites Publikum erreichten. Essays, die mit der verschmockt-verschwurbelten Sprache von Jünger und Heidegger abrechneten (deren geistige „Enkel_innen“ sich nun erneut eines ähnlich verquirlten Duktus befleißigen), Zeugenberichte über Hitlers und Stalins Massenverbrechen, Hinterfragungen des apolitischen und autoritären deutschen Kulturbegriffs – und dazu Präsentationen der damals neuesten Romane von James Baldwin, Hubert Fichte oder Witold Gombrowicz, als in der Mehrheitsbevölkerung Homosexualiät noch längst nicht anerkannt war.

Und auch Danke, Mary McCarthy, für die köstliche Kommentierung der bourgeoisen Ressentiments einer Simone de Beauvoir (Liebe „Kurator_innen“: Mary war ebenso wenig eine Verwandte des hysterischen Senators wie Hannah die Tante von Eddie Arent); Danke, Francois Bondy, für die überaus faire, von kritischer Sympathie getragene Ausseinandersetzung mit Frantz Fanon – der Beispiele wären kein Ende. Vielleicht rächt es sich ja, dass unter den „Kurator_innen“ kein einziger Literatur- oder Politikwissenschaftler oder Ideenhistoriker ist, sondern eben lediglich projekt-alimentierte „Ausstellungsmacher_innen“.

Die Biennale-erprobte Paz Guevara kann selbstverständlich nichts dafür, dass sie außer dem prätentiösen Vornamen auch noch mit dem an einen nihilistischen Gewaltneurotiker erinnernden Nachnamen geschlagen ist – aber muss sie wirklich, zusammen mit ihren Kolleg_innen, von einer „Ideologie der individuellen Freiheit“ schwafeln, als wären Menschenrechte tatsächlich „Ideologie“? Eine auf den reaktionären Hund gekommene, postmodernistisch plappernde Linke: Hier ist sie zu besichtigen – quasi in Querfront. Denn in Björn Höckes Stakkato-Reden über eine nun final anstehende „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ findet der alte antiuniversalistisch-illiberale Wunsch nach konsequenter Entwestlichung – will heißen: Ent-Individualisierung – lediglich seine aktuellste rechte Entsprechung.

Vielleicht sollten die AfD-Funktionäre ja mal einen Betriebsausflug ins Berliner Haus der Kulturen der Welt unternehmen: Die gegenwärtige (Nicht-)Ausstellung würde sie hellauf begeistern.