Sexuelle Übergriffe und Massenschießereien und was das eine mit dem anderen zu tun hat. Das Ende des Patriarchats naht.

Zwei Themen beschäftigen uns Amerikaner im Moment sehr. Das erste Thema sind sexuelle Übergriffe gegen Frauen. Es begann mit Donald Trump, der sich auf einer Tonbandaufnahme damit brüstete, dass er Frauen gegen ihren Willen küssen und zwischen die Beine greifen dürfe – und der trotzdem (auch mit den Stimmen vieler Frauen!) zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. Dann deckte die „New York Times“ auf, dass Harvey Weinstein – Hollywood-Produzent, Linksliberaler, selbsterklärter Feminist – junge Frauen, die in seinen Filmen mitspielen wollten, gern in sein Hotelzimmer bestellte. Mittlerweile haben mehrere Frauen ausgesagt, dass sie von Weinstein nicht nur belästigt, sondern vergewaltigt wurden.

Nächste Stufe: Die „Washington Post“ deckt auf, dass Roy Moore – der immer noch exzellente Chancen hat, vom Bundesstaat Alabama als Senator nach Washington entsandt zu werden – als dreißigjähriger Mann das Hobby pflegte, minderjährige Mädchen zu sich nach Hause einzuladen und zu betatschen. Ein Mädchen versuchte er in einem Auto zu vergewaltigen. In „Shopping Malls“ war er in den Siebzigerjahren dafür bekannt, dass er auf die Pirsch ging. Muss noch betont werden, dass Roy Moore ein evangelikaler Christ ist, der Homosexuelle verabscheut und Gottes Gesetz – so wie er es versteht – mehr achtet als unsere Verfassung?

Und Bill Clinton?

Das sind nur die berühmtesten Fälle, es gibt noch andere: Kevin Spacey, Schauspieler. Leon Wieseltier, Literaturkritiker. (Dieses Fall schmerzt mich besonders. Ich habe Wieseltiers Buch „Kaddisch“ sehr gemocht.) Und jetzt fangen Demokraten endlich an, darüber nachzudenken, ob es eigentlich richtig war, die Anschuldigungen gegen Bill Clinton damals – in den Neunzigerjahren – einfach so von der Hand zu weisen, nur weil sie von rechts kamen. Wie war das noch mal mit Juanita Broaddrick? Hat sie vielleicht die Wahrheit gesagt? Hat Clinton sie in seiner Zeit als Attorney General in Arkansas vergewaltigt, und die amerikanischen Feministinnen haben nur deshalb nicht zugehört, weil es ihnen opportun erschien?

Ach, und wie war das noch mal mit Anita Hill und Clarence Thomas? Haben die Konservativen sie etwa deshalb als „a little nutty, a little slutty“ (ein bisschen meschugge, ein bisschen eine Schlampe) abgefertigt, weil sie auf Teufel komm raus ihren Kandidaten beim Supreme Court durchsetzen wollten?

Dies ist ein Augenblick der Glasnost in Amerika. Es stellt sich heraus, dass Männer in Machtpositionen sich wie Schweine benehmen können und dass es dabei völlig egal ist, zu welcher politischen Ideologie sie sich bekennen. Und wem verdanken wir diesen Augenblick der Klarheit? Donald Trump. Oh Hegel! Oh List der Vernunft! Oh hinterlistig grinsende Ironie der Geschichte!

Krise der Männlichkeit

Das zweite Thema, das uns im Moment beschäftigt, sind Massenschießereien, die tatsächlich immer schlimmer werden. Omar Mateen (der irre schwule Muslim in Orlando, Florida; 29 Tote). Stephen Craig Paddock (der Spieler mit dem Waffenarsenal in dem Hotel in Las Vegas; 58 Tote). Devin Patrick Kelley (der Mann in der Kirche in Texas; 26 Tote). Vorläufig der letzte Posten auf der Liste: Kevin Janson Neal. Und dass er in Rancho Tehama, Kalifornien, „lediglich“ fünf Leute erschießen konnte, liegt daran, dass die Kindergärtnerinnen schnell reagierten und die Kinder in Sicherheit brachten.

Wegen dieser Massenschießereien gibt es jetzt große Diskussionen über das amerikanische Waffenrecht. Bret Stephens, Kolumnist der „New York Times“ und linksliberaler Neigungen eher unverdächtig, stellt mittlerweile das Second Amendment zur Disposition.

Allerdings kümmert das die Leute im Mittleren Westen einen feuchten Kehricht.

Ich möchte hier gar nicht in diese komplizierte Diskussion einsteigen, sondern auf etwas Anderes hinweisen: Die beiden Themen haben etwas gemeinsam. Nein, es geht  mir hier nicht um den langweiligen Nachweis, dass alle Täter bei Massenschießereien – ausnahmslos – Männer sind. Sondern um Folgendes: Wenn wir einmal Stephen Paddock, den Massenmörder von Las Vegas (über dessen Motiv man weiterhin nur spekulieren kann) außen vor lassen, dann haben beinahe alle Täter ein wichtiges Merkmal gemein. Sie waren vorher gewalttätig gegen ihre Frauen, ihre Freundinnen, häufig auch gegen ihre Kinder geworden.

Der Fall von Kevin Patrick Kelley ist hier beispielhaft. Anno 2012 verprügelte er seine Frau und seinen Stiefsohn, der damals noch ein Baby war. Er prügelte es so schwer, dass sein Schädel nachher einen Sprung aufwies. Kelley diente damals in unserer Luftwaffe; und die Luftwaffe brummte diesem miesen Stück Dreck – halten Sie sich fest – ein Jahr Gefängnis auf. Er wurde dann wegen „schlechten Benehmens“ entlassen. Und das war alles. Das allein ist schon ein Skandal. Dass er sich nach alldem noch Waffen besorgen konnte, dass alle „background checks“ versagt haben, ist beinahe nur das Tüpfelchen auf dem i.

Es gibt, wie Rachel Louise Snyder in einem lesenswerten Artikel in der „Washington Post“ festhält, einen ziemlich guten Indikator dafür, dass Männer zu Massenmördern mit halbautomatischen Waffen werden: Wenn sie ihre Frauen nicht nur schlagen, treten, beißen, was schlimm genug ist – sondern sie würgen.

Sie dürfen nicht mehr, wie sie wollen

Offenbar ist Würgen ein Akt der Gewalt, der darauf hindeutet, dass der Täter überhaupt keine Scham und keine Reue mehr kennt. Wenn man so jemanden dann mit Waffen ausrüstet, ist das Desaster beinahe programmiert.

Ich glaube, dass wir im Moment in Amerika – und vielleicht in der ganzen Welt – eine Krise der Männlichkeit erleben. Die meisten Jobs, die in der Wirtschaftskrise von 2008 in Amerika draufgingen, waren Männerjobs; Frauen waren deutlich weniger betroffen. Dieser Essay von Hannah Rosin aus „The Atlantic“ ist sieben Jahre später immer noch eine interessante Lektüre.

Vielleicht – ich weiß es nicht – erleben wir gerade den Anfang vom Ende des Patriarchats. (Es kann noch mal zweihundert Jahre dauern, mein Gefühl ist aber, dass es jetzt ziemlich schnell gehen wird.) Und für Männer, die es für ihr Selbstwertgefühl brauchen, dass sie die Herren aller Dinge sind (für mich schwer nachzuvollziehen, weil mich Macht nie interessiert hat), bricht gerade eine Welt zusammen.

Plötzlich dürfen sie nicht mehr, wie sie wollen. Plötzlich ist ein Harvey Weinstein, der gerade noch der King war, ein ganz gemeiner Wicht, ein Objekt der universalen Verachtung; und ein Roy Moore wird sich, sollte er tatsächlich gewählt werden, als Bleigewicht an den Füßen der Republikanischen Partei erweisen. Schwer zu ertragen, wenn der Boden unter den Füßen auf einmal nicht mehr da ist. Und die Psychopathen unter uns fangen dann eben an, wild um sich zu schießen.