Kaum ist das Jahr rum, treffen Jubel-Meldungen aus der regenerativen Energiewirtschaft ein, und wie bei solchen Meldungen üblich, werden ihre inneren Widersprüche und Auslassungen nicht so gerne thematisiert.

Der Anteil an „Erneuerbaren“‘ an unserer Stromerzeugung betrug 2018 erstmals über 40 Prozent. Diesen Erfolg verdanken die Öko-Stromversorger einem sonnigen Sommer mit überdurchschnittlicher Einspeisung aus Photovoltaik-Strom.

Gleichzeitig diente der Rekordsommer 2018 den Adepten regenerativer Energien als Menetekel der herannahenden Klimakatastrophe. Wenn‘s der Wahrheitsfindung dient, wird aus dem freundlich lachenden Photovoltaik-Sommer im Nu der Sensenmann: der Dürre- und Hitzetod-Sommer. Was wiederum die Lobbyisten der Erneuerbaren-Industrien und ihr NGO-Vorfeld als Hauptargument anführten, um einen noch stärkeren Ausbau der Erneuerbaren zu fordern. Freilich brachte der Sommer 2018 auch Hitzeflauten und somit tagelange Stillstände der Erzeugung aus Windkraft. Ja was nun, liebe Ökostromer? Wollt ihr nun mehr solcher Sommer – oder nicht?

Stromjunkies im Staatsreservat

Der beeindruckende 40 Prozent-Anteil, mit dem sich Deutschland immer wieder als Erneuerbaren-Vorreiter feiern lässt, ist ein übers Jahr gerechneter Durchschnittswert. In der Tagesbilanz der Stromerzeugung schwankt der regenerative Anteil je nach Witterung und Tageszeit zwischen 10 und 70 Prozent unseres Bedarfs. Wer das übers Jahr beobachten möchte, dem sei die App „ElectricityMap“ empfohlen. Der Mittag des 3. Januar zeigt einen „Durchschnittstag“ mit 36 Prozent erneuerbarer Erzeugung.

Die intermittierende Einspeisung der Erneuerbaren muss jedoch immer konventionell abgefangen werden, damit die Netzfrequenz auf 50 Hertz gehalten werden kann – das wäre auch bei weiterem Zubau an Wind- und Sonnenkraftwerken nicht anders. Während private Haushalte auch mal kurz mit einem „Brownout“ fertigwerden können, ist eine penible Spannungs- und Frequenzabsicherung  überlebensnotwendig für unsere industriell-informationstechnische Infrastruktur. Damit wir ein Industrieland bleiben können, rennt der deutsche Öko-Weltmeister also jedes Jahr fossil-nuklear gedopt ins Ziel.

Bis jetzt. Noch sind es die breiten Schultern der Kohle- und Kernkraftwerke, auf denen unsere Netzstabilität ruht. Außer Wasserkraft und ökologisch bedenklicher Biomasseverstromung gibt es in den deutschen Netzen keine erneuerbare Leistung, die das Prädikat der „gesicherten“ Leistung (nicht zu verwechseln mit „Grundlast“) besitzt. Einzig deren Verfügbarkeit entscheidet aber über die Funktionsfähigkeit einer Stromversorgung.

Doch wo es Staatsdoping gibt, da ist seine Verschleierung nicht weit. Verbal verurteilt man das Doping: Das geht gar nicht! Kohle- und Kernstrom „verstopften“ die Netze und seien eigentlich überflüssig, weswegen man sie mit vollem Recht bekämpfe und abschaffe, so tönen landauf, landab die selbsternannten Energieexperten. Ohne eine Vorstellung davon zu haben, dass es in einem Markt mit vielen intermittierend einspeisenden Erzeugern ökonomisch wie energietechnisch notwendig ist, Kraftwerke mit gesicherter Leistung auch dann am Netz zu halten, wenn der Wind mal kräftig weht.

Der vermeintliche Erneuerbaren-Boom ist also keiner, weil er auf zu vielen außerökonomischen und außertechnischen Voraussetzungen beruht, ohne die er zusammenbrechen würde. Er hat in Deutschland zwei wesentliche Treiber: einen kulturellen – und einem politischen, der als ökonomischer verkleidet wird.

Der kulturelle Treiber ist eine von oben auferlegte und von unten willig perpetuierte Katastrophen-Apokalyptik, welche die Bereitschaft erhöht, energiepolitische Maßnahmen zu ertragen, die man bei klarem Verstand als kontraproduktiv ansehen würde. Medien, Politiker und Schule sind ihre Multiplikatoren: Journalisten, die selektiv und manipulativ vom Forschungsstand der Klimawissenschaften oder von den Risiken der Kernenergie berichten und aus der heterogenen Menge verfügbarer Informationen lediglich Klima-Alarmisten und Super-GAU-Propheten herausklauben; Politiker, die offensichtlichen Unsinn und krasse Vereinfachungen in die Welt twittern, ohne Sachverständige zu konsultieren; Sachverständige, die im Talkshow-Sessel mehr zu Hause sind als im Labor. Von der Schule bis zur Bahre werden wir bepausewangt, gekempfert und zerschellnhubert, damit auch dem letzen Hinterbänkler und Sechstklässler klar wird: ohne Windräder, oder gar mit Kernkraftwerken, werden wir eines schrecklichen Todes sterben. Während die Kirchen jedes Jahr leerer werden, hat die Energie-Eschatologie Hochkonjunktur. Und natürlich hat die ökologistische Kirche ihre Evangelien, ihre Apostel, ihre Hölle und ihre Erlösung.

Und ihren Ablass. Der polit-ökonomische Treiber, der unsere Erneuerbaren zum Scheinriesen aufgebläht hat, ist die üppige Subventionierung durch Abgaben, Einspeisevorrang und privilegierte Vergütungsformen, die eine solche Unternehmung erst zu einem für Investoren lohnenden Geschäft machen. Über diese Umverteilung und Sozialisierung des Investorenrisikos wird kaum mehr gesprochen – sie erscheint nach fast zwei Jahrzehnten Erneuerbare-Energien-Gesetz so selbstverständlich wie die Hundesteuer.

Betreute Folter

Nun will der gedopte Ökostaat weg von der Nadel: die emissionsarme Kernenergie soll nach seinem Willen genauso verschwinden wie die Braunkohle. Wir werden bald dabei zusehen können, wie der Junkie-Sportler sein Methadon-Programm zusammenkratzt: mit russischem Gas und NordStream 2, mit verdruckst konsumierten Atom- und Kohlestrom-Importen von den Nachbarn – oder mit regionalen geplanten Lastabwürfen. Die Folter-Werkzeugkiste ist bereits geöffnet, die Energieversorger machen keinen Hehl daraus, dass sie, insbesondere in Süddeutschland, nicht wissen, wie sie nach der Stillegung der Kernkraftwerke den Bedarf decken werden.

Aber eins ist sicher: Es wird betreute Folter sein. Man wird uns über den gesundheitlichen, sozialen und weltpolitischen Nutzen der Energie-Verknappung beizeiten aufklären, und sei es nur mit Überlegungen darüber, dass elektrischer Strom und seine allzeitige Verfügbarkeit einfach überschätzt würden. Es wird Ratschläge hageln, was man in Zeiten ohne Strom alles tun kann: zu seiner inneren Mitte finden; Internet-Fasten; das Dunkel wiederentdecken; sich fortpflanzen; Kerzen-Andachten für den Planeten. Und man wird das alles von uns als ökopatriotischen Beitrag zum voll gechillten Energiewende-Standort Deutschland einfordern. Noch erscheint der deutsche Michel um seines ökologischen Seelenheils willen unbegrenzt leidensfähig – es sei denn, er setzt endlich seinen kritischen Denkapparat in Gang und ruft die energiepolitische Aufklärung aus.