In Zeiten sozialer Medien regiert in vielen Unternehmen die Angst. Dem Kapitalismus nimmt diese Panikkultur viel von seiner Faszination.

Es ist eine merk- und unwürdige Diskussion: Das Unternehmen Rewe mag den zu Ostern verkauften Hasen offenbar nicht Osterhase nennen. Christsensible Beobachter sehen darin den Versuch, nichtchristliche Kunden nicht zu verprellen. Und in gewisser Weise kann man das auch so sehen, zumal es in der Welt der Unternehmenskommunikation momentan von derlei Appeasement-Politiken nur so wimmelt. Die Begründung, man habe das Ding schon länger als „Traditionshase“ verkauft, wirkt jedenfalls etwas dünn. Und „Traditionshase“ ist in seiner Vagheit natürlich ein alberner Begriff – welche Tradition ist denn gemeint? Man verkauft auch kein Produkt zur Fußball-WM als „Sporttraditions-Bier“. (Dass die Social-Media-Diskussion über die arglosen Schokoprodukte, die binnen Minuten den Untergang des Abendlandes heraufbeschwört, genauso albern daher kommt, ist hiervon unbenommen.)

Für mich steht die Diskussion für etwas Breiteres: Für eine Entwicklung der marktwirtschaftlichen Gegenwart hin zu einer Kultur der angstgesteuerten Langeweile. Klassischerweise war Kapitalismus ein Treiber technologischer, aber auch kultureller Innovation. Marx war von seiner Dynamik fasziniert. Man konnte ihn lieben oder hassen. Aber er traute sich etwas. Spätestens in den 1960er Jahren wurde auch die Werbung mutig und cool. Die Mad Men waren Revoluzzer, Charles Wilp schrieb mit seiner Afri Cola-Werbung Kulturgeschichte.

Damit ist es vorbei. In Zeiten der Angst vor dem nächsten „Shitstorm“ regiert die Hasenfüßigkeit. In manchen Kommunikations-Etagen sitzen keine an Wilp oder Don Draper orientierten Traditionshasen, sondern Angsthasen. Gut bezahlte Informationsmanager, die ihre Digital Media-Seminare besucht haben und alle quantitativen Messmethoden vorwärts und rückwärts runterdeklinieren können. Die aber letztlich vor allem froh sind, wenn die nächste Aufruhr nicht sie erwischt, sondern die Konkurrenz.

Einziges Ziel ist es, in keine Kontroverse reingezogen zu werden. Auf besagten Seminaren seziert man dann den letzten PR-Fail der Konkurrenz mit einer Schärfe, die jeweils impliziert, hier würde gerade die Zukunft der Menschheit verhandelt. Stattdessen tauscht man letztlich nur Tipps aus, wie man sich im großen Netz der pöbeligen Lautsprecher möglichst klickreich seine kleine Welt der digitalen Neutralität errichtet.

Zugleich wünschen sich Unternehmen und ihre Positionierer offenbar eigentlich nichts sehnlicher als politische oder gesellschaftliche Relevanz. In einschlägigen Strategiepapieren der Kommunikationsbranche schlägt sich das momentan in der Forderung nach „Haltung“ nieder. Unternehmen sollen Haltung zeigen, so die Idee. Na dann mal los. Stand heute kontrastiert dies leider mit der Realität des Wegduckens, in der Konzerne unter Preisgabe ihrer korporativen Würde versuchen, noch die kleinste vermutete Sensibilität abzufedern – oder auch den vermuteten Unmut einer größeren Gruppe religiös Sensibler zu vermeiden. (Ich vermute übrigens, dass die Aktivisten beim Ortgruppentreffen von Islamismussektion XY heimlich natürlich die leckeren Schokohasen und -männer von Rewe und Co. verzehren, auch wenn diese mit „Oster-“ oder „Weihnachts-“ betitelt sind. Am Ende gewinnen sie eben doch, die sinistren Verlockungen des Kapitalismus.)

Das werbliche Instrumentarium zur schnellen Reaktion auf jegliche Nichtharmonie am Meinungsmarkt wird derweil immer weiter ausgefeilt. Devote „wir haben verstanden“-Anzeigen und total dialogische „wir hören zu“-Kampagnen liegen in der großen „Krisen-PR“-Schublade jederzeit bereit. Zugleich herrscht gerade in den sozialen Medien eine Kultur der permanenten Observation. Alle kontrollieren alle, jeder wartet darauf, dem anderen eine moralische Abgründigkeit vorhalten zu können. Das ist die Kontrollgesellschaft des Philosophen Gilles Deleuze in Reinform.