Ein besonderer Platz in der Demoberichterstattung aus Hamburg wurde einer jungen Frau zuteil, die in trashigen Party-Klamotten einen Räumpanzer eroberte. Für das Online-Magazin „bento“ eine Heldin.

Revolten brauchen Symbole. Je brutaler der Konflikt und je übermächtiger die Staatsmacht, desto eindringlicher das Foto, das die Fallhöhe zwischen Macht und Ohnmacht symbolisiert – in einem Bild, das zu bestimmten Zeiten das Zeug zur Ikone hat. Unvergessen das Foto von dem „Tank-Man“ auf dem Tian’anmen-Platz, der sich, während in anderen Teilen der Stadt Massaker stattfinden, nur mit zwei Einkaufstüten bewaffnet einer Reihe von Panzern entgegenstellt. Der vorderste Panzer versucht an ihm vorbeizufahren, doch der Mann versperrt ihm immer wieder den Weg, bis er schließlich von Männern weggezerrt wird. Ein Held – ohne Zweifel.

Einen Held – oder besser „eine Heldin“ – hat auch „bento“ entdeckt, die Kinder-Abteilung des Spiegels. Und wieder geht es um ein Bild zum Thema „Mensch gegen Panzer“: Ein Bild, das man im Rahmen der G20-Demonstrationen häufiger zu sehen bekam – vermutlich auch wegen der Aufmachung der Protagonistin, eine auf Krawall gebürstete Party-Tusse, die in einer hautengen neonglänzenden Stretchhose einen Räumpanzer der Polizei erklimmt, als handele es sich um eine Go-go-Bühne.

Für „bento“-Redaktionsleiter Ole Reißmann ein gefundenes Fressen. In bester Boulevard-Manier zieht er alle Register, um diesen nichtigen Vorfall aus dem ohnehin schon schwachsinnigen Randale-Alltag rund um G20 ins rechte Licht zu rücken – ins Heldenlicht! Da wird der Räumpanzer zum „Sonderwagen“ der Polizei erklärt (klingt irgendwie bedrohlich) und das Pfefferspray, das man auch in einigen Drogeriemärkten kaufen kann, zum „gefährlichen Kampfstoff“ hochgejazzt, der nicht einmal an Tieren getestet werden darf.

Aus diesen lächerlichen Zutaten konstruiert Reißmann dann einen nach Altherrenart sabbernden Fotoroman über eine pfefferspraygeschädigte Teilzeit-Revolutionärin, der in dem konsensheischenden Schlussakkord mündet: „Sie ist die Heldin des Tages. Denn für eine solche Aktion braucht es mehr Mut, als im Dunkeln irgendwelche Scheiben einzuschmeißen oder sinnlos Autos abzufackeln.“ Amen!

Überflüssig hinzuzufügen, dass die Helden, die in Berlin 1953, Prag 1968 und Peking 1989 auf Panzer gestiegen sind, tatsächlich ihr Leben riskiert haben – die „bento“-Heldin von Hamburg jedoch bestenfalls ihre Frisur. Traurig – und irgendwie enttäuschend: Jede Gesellschaft hat die Helden, die sie verdient. Oder anders ausgedrückt: Wenn die Sonne tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten.