Die AfD ist auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. Gerade deshalb sollte man sie jetzt besonders genau im Auge behalten.

Nach dem Ende des G20-Gipfels und der Abreise der vielen Staatenlenker aus aller Welt hat man in Hamburg inzwischen damit begonnen, die Scherben zusammenzukehren. Nach drei „Krawallnächten“ (Süddeutsche) in Folge und einer „Orgie der Gewalt“ (FAZ) dürften die Verantwortlichen an der Elbe froh sein, dass der Spuk vorbei ist und der Schwarze Block sich nach und nach wieder in seine Rückzugsgebiete in Kreuzberg und Connewitz verkriecht.

Während also in Hamburg zuletzt tagelang Bürgerkrieg gespielt wurde, geht ein Ereignis aus einer weniger weltläufigen Ecke unseres Landes weitgehend unter: Im beschaulichen Dohna unternimmt zur Stunde ein Kreisparteitag der AfD den Versuch, der Bundesvorsitzenden und sächsischen Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl Frauke Petry die Kandidatur für das Direktmandat im Bundestagswahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge wieder zu entziehen. Das mag kein G20-Gipfel sein, ignorieren sollten wir es dennoch nicht, denn derlei Mätzchen der AfD sind vor dem Hintergrund der bevorstehenden Bundestagswahl alles andere als unerheblich.

Mancher mag den Dohnaer Parteitag für eine Sommerlochposse halten oder für einen Sturm im Wasserglas. Ist es nicht auch eigentlich schon egal, wer Frauke Petry, seit dem Kölner Parteitag sowieso nur noch Vorsitzende auf Abruf, noch so alles ans Leder will? Und kann Petry, ihres Zeichens die Nummer eins der Landesliste, die Kandidatur für das Direktmandat in einem tiefschwarzen Wahlkreis nicht vollkommen wurscht sein?

A LONG WAY DOWN

Nein und nein. Denn weder die Bundesvorsitzende noch ihre Partei, beide im politischen Überlebenskampf, sollte man leichtfertig als moribund abtun, wenn auch außer Frage steht, dass es in der AfD allenthalben lichterloh brennt. Das zeigen bereits die Umfragen: Nach Höchstständen von 12,5 Prozent bei Allensbach und 15,5 Prozent beim quasi-hauseigenen Umfrageinstitut INSA im Jahr 2016 weist Emnid am heutigen Sonntag gerade noch magere 7 Prozent aus. Vorbei die Zeiten, da den selbsternannten Wahrheitsverfechtern zweistellige Ergebnisse einfach so in den Schoß fielen wie vergangenes Jahr in Sachsen-Anhalt. Die dortige Rekordfraktion ist inzwischen durch mehrere Austritte bereits von 25 auf 22 Mitglieder geschrumpft, die Aussteiger berichteten von „extremen und radikalen Auffassungen und Handlungen“ sowie einer autoritären Führungsweise des Vorsitzenden André Poggenburg. Auch steht selbiger nach der Veröffentlichung umfangreicher Whatsapp-Chats der Landes-AfD, in denen freimütig über die Zeit nach der „Machtübernahme“ und Säuberungen in den Medien geplaudert wird, stark unter Druck. Seine Partei ist heillos zerstritten, und ob die AfD-Landesliste für Sachsen-Anhalt überhaupt zur Bundestagswahl zugelassen wird, steht momentan in den Sternen.
Das gleiche Problem hat auch die AfD im Nachbarland Niedersachsen, die in ihrem medienwirksamen Tête-à-tête mit der Landeswahlleitung je nach Deutung entweder durch dreiste Urkundenfälschung oder, wohlwollender betrachtet, durch haarsträubende Unprofessionalität aufgefallen ist. Die Landesliste ist zwar inzwischen eingereicht, nach einem ganzen Strauß an Ungereimtheiten bei ihrer Aufstellung im Februar hatte die Bundes-AfD jedoch dringend zu einer Wiederholung des Parteitags geraten – die nun kurzfristig ausfiel. Begründung: Nicht mehr nötig, wird schon schiefgehen.
Und auch in Sachsen, dem Heimatland der Bundesvorsitzenden, reißen die Querelen nicht ab. Zank herrscht in der Partei unter anderem, weil Anfang Mai erstmals AfD und Pegida gemeinsam demonstrierten – eingefädelt gegen den ausdrücklichen Wunsch Frauke Petrys sowie des Landes- und Bundesvorstands von einem Vorstandsmitglied der AfD Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, die, wir erinnern uns, heute in Dohna parteitagt. Einer der Sprecher auf der Gemeinschaftsdemo wurde inzwischen von der Zwickauer AfD als Direktkandidat für den Bundestag zurückgezogen.

Und nun Frauke Petry. Auch die Bundesvorsitzende muss sich derzeit um mehrere Baustellen kümmern: Neben dem möglichen Verlust der Bundestagskandidatur im Wahlkreis drohen ihr wegen mutmaßlicher Falschaussagen vor dem Wahlprüfungsausschuss des Sächsischen Landtags im August der Entzug der Immunität und gegebenenfalls im Anschluss Ermittlungen wegen Meineids.

WEG MIT DEM POPCORN

Kurzum: Die Partei liegt in Trümmern. Mancher sieht schon eine Neuauflage des Piraten-Dramas von 2013 heraufziehen, als der andauernde Streit um fest eingeplante Bundestagspfründe deren Verteilung schließlich erübrigte. Abwegig ist das auch heute nicht, bei der AfD liegt das Projekt „4,9 Prozent“ voll im Soll. Gerade jetzt sollte jedoch jeder, der sich die „Alternative“ nicht im nächsten Bundestag wünscht, aufmerksam bleiben. Die Partei, die mit dem Rücken zur Wand steht, könnte in ihrer Außenwirkung umso gefährlicher werden. Dass der aufziehende Misserfolg bereits zu ersten Vorboten eines innerparteilichen Burgfriedens geführt hat, mag man allein an der Tatsache ablesen, dass ausgerechnet Alexander Gauland jüngst erklärte, die AfD müsse sich „auf die Mitte konzentrieren. Nur dort können wir gewinnen.“ Nach Monaten endloser Selbstdemontage könnte die Partei sich in der heißen Wahlkampfphase wieder zusammenraufen, was allen kritischen Beobachtern Anlass genug sein sollte, die Popcornbecher beiseitezustellen und die drohende Gefahr ernstzunehmen.

EINMAL RADIKAL IST GENUG

Denn während in den deutschen Landtagen schon unzählige politische Eintagsfliegen gekommen und wieder verschwunden sind, zeigen die Beispiele der Grünen und der Linkspartei, dass eine Bewegung, die es einmal durch den Flaschenhals Bundestagswahl geschafft hat, sich im Parlament erfahrungsgemäß auch etablieren kann. Im Interesse unseres Gemeinwesens und unseres funktionierenden parlamentarischen Systems kann man sich nur wünschen, dass dieser Kelch an uns vorübergeht und eine Partei nicht zur dauerhaften Größe wird, die gezielt Zweifel an der Legitimität demokratischer Prozesse sät, die sich selbst bescheinigt, die einzig legitime Formulierung des Volkswillens zu sein und deren Anhänger folgerichtig in bestem antiparlamentarischem Dünkel für sich in Anspruch nehmen, „das Volk“ zu sein. Mit der Linken ist heute bereits eine Partei im Bundestag vertreten, die einen dezidiert außer- und antiparlamentarischen politischen Diskurs unter bestimmten, ihr genehmen Vorzeichen für nötig und richtig hält, wie die Einlassungen zu den Vorfällen in Hamburg wieder eindrücklich gezeigt haben. Das ist schlimm genug. Unter anderem mit Blick auf Hamburg bemerkte Gideon Böss dieser Tage sehr treffend: „Wer die Extremisten des Schwarzen Blocks als Verbündete ansieht, die halt etwas über die Stränge schlagen, fördert die Rückkehr der Straßenschlacht auf die politische Bühne Europas.“ Eine weitere politisch relevante Partei mit diesem fragwürdigen Politikverständnis kann sich niemand wünschen, denn ein Land, in dem die AfD im Bundestag sitzt, darf noch wesentlich mehr derartige Ausbrüche erwarten.