Gibt es bald eine „Grüne Armee Fraktion“? Unser Gastautor Erwin Jurtschitsch sieht bei den Klimaprotesten erste bedrohliche Parallelen zum Terror, der Deutschland nach 1968 erschütterte.

Es war einmal. Eine faszinierende Journalistin und ein begeistertes Bürgertum. Die Journalistin wurde immer berühmter und radikaler und das Bürgertum in Blankenese immer begeisterter. Wie schön sie den Kapitalismus kritisierte und dabei den Gastgebern gemeinsam mit den Genossen und dem Zuhältertyp Baader den Kühlschrank und den Weinkeller leerte, kann man nachlesen. Und je radikaler sie den Lebensstil der Gastgeber anklagte, desto mehr waren sie bereit, sich zu geißeln. Selbstkritik war das Wort der Stunde. Auch als Ulrike Meinhof bewaffnet in den Untergrund abtauchte, waren viele bereit, ihr Unterschlupf und Reisepässe zu besorgen. 

Ihre einstmals klugen und präzisen Reportagen, die ihren Ruf bereitet hatten, waren bald vergessen, die neue Diktion ließ nur noch eines gelten: Entweder du bist Mensch oder Schwein. Entweder du bist auf der Seite der Unterdrückten  oder ein Ausbeuter. Schwarzweiß setzte sich durch – erst im Schreiben dann im Schießen.

Erst waren es Blockaden, Demonstrationen und dann sehr bald Gewalt gegen Sachen. Jeder kann heute nachlesen, wie alles sich entwickelte und wie es ausging im sogenannten Deutschen Herbst mit der Offensive und den vielen Toten. 

Möglich wurde das alles nur durch eine sich selbst absolut setzende Moral. Die Welt, so wie sie von der RAF und so vielen in diesen Jahren wahrgenommen wurde, rechtfertigte alles, eben auch den Mord. Viele zu viele aus meiner Generation haben lange zu lange sich positiv oder indifferent zur RAF verhalten.

Fortgeschrittene Radikalisierung

Und nun keine 30 Jahre später wollen Greta, Luisa Neubauer und die FFF offenkundig die alten Fehler wiederholen.  Da ist zum einen der absolute Anspruch, auf der richtigen Seite zu stehen und alle zu verdammen, die nicht ihrer Meinung sind. Da ist zum anderen die Argumentation, wer nicht handele sei Mitschuld am Untergang des Planeten. Wieder gibt es nur schwarzweiß, und wieder ist das Bürgertum entzückt. Bürger mittleren bis älteren Semesters wälzen sich in Selbstanklagen, wie sehr sie schuld seien am Klimawandel und wie sehr die Jugend doch im Recht sei. Gefühlsduselei statt Analyse. Wie damals. 

Luisa will jetzt gemeinsam mit den Linksradikalen aus dem G20-Umfeld in Hamburg den Verkehr lahmlegen und dann auch die Flughäfen blockieren. Wie damals sind die Bürger begeistert. Mal schauen, ob das so bleibt wenn die ersten SUVs brennen, mit denen die Eltern ihre Kids zur Demo fahren. Und wenn, wie jetzt in Berlin, die ersten Brandanschläge folgen. 

Wie weit die Radikalisierung bereits fortgeschritten ist, zeigt sich in einem Tweet eines Lobbyisten aus der Erneuerbaren Energiebranche:

„ Die alten (jungen) weißen Männer, die etwas zu entscheiden hatten, werden in ein paar Jahren vielleicht noch froh sein müssen, wenn Sie nicht aufgeknüpft werden.“ 

Deutlich wird der Gründer von Extinction Rebellion. Aufschluss darüber kann eine Rede geben, die er im Februar dieses Jahres bei einer Veranstaltung von Amnesty International hielt. Über seine Pläne äußert er sich dort wie folgt:

„We’re going to force the governments to act. And if they don’t, we will bring them down and create a democracy fit for purpose. And yes, some may die in the process.“ („Wir werden die Regierungen zum Handeln zwingen. Und wenn sie nicht handeln, dann werden wir sie stürzen und eine Demokratie erschaffen, die tauglicher für den Zweck ist. Und ja, manche könnten in diesem Prozess sterben.“)

Besonders absurd ist diese Wiederentdeckung der Kapitalismuskritik in ihrer banalsten Form. Nicht wie damals mit Marx und Adorno, sondern wie in einem Youtube Video von Rezo. Er ist wieder da, der Traum vom Sozialismus. Der soll diesmal nicht nur die Ungerechtigkeit beseitigen, sondern gleich auch noch den Planeten retten. Und keiner klärt darüber auf, wie dramatisch die ökologische Situation etwa in den sozialistischen Staaten vor dem Umbruch und der Wende war. Und für den „Systemwandel“ werden halt ein paar (wieviele?) ins Gras beißen.

Bald ist es zu spät

Was aber wird geschehen, wenn wie zu erwarten, nichts Wesentliches passiert und weder die Regierung noch die Bürger das Klima „retten“. Und wenn die Bürger die Systemfrage nicht stellen wollen. Denn eigentlich sind sie ja wie auch die FFF Kids bigott. Sie wollen radikale Maßnahmen, aber gleichzeitig ihren Lebensstil eben doch nicht radikal ändern. 

Dann aber werden die Gretas und die Luisas radikaler werden und sie werden den Untergang in immer grelleren Farben schildern und die Klimaforscher werden sich in apokalyptischen Bildern übertreffen.

Und irgendwann wird eine kleine Gruppe beschließen, es müsse endlich gehandelt werden. Die Bürger aber werden sich entsetzt abwenden und sagen, so haben wir das aber nicht gemeint, und dann wird eine ganze Generation und ihr Anliegen zerstört werden.

Besonders spannend wird zu beobachten sein, wie sich die Grünen, die ja jetzt auf der FFF-Welle reiten, von den Luisas distanzieren werden. Denn es wäre doch echt schade, wenn die vielen bürgerlichen Wähler sich dann eines Besseren besinnen und nicht ihren Untergang wählen. 

Es wäre also an der Zeit, dass die führenden Köpfe des Landes nicht feige der FFF-Generation hinterherlaufen, sondern sich kritisch mit der Radikalisierung auseinandersetzen. Sonst könnte es bald zu spät sein und dann werden alle wieder jammern, wie es nur so weit kommen konnte. Und es wäre die Aufgabe von Erwachsenen, statt sich wie die Kanzlerin unkritisch anzubiedern, ein kluger Gesprächspartner der FFF Generation zu sein. Wir alle hätten uns damals solche Gesprächspartner gewünscht.

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Erwin Jurtschitsch war Mitgründer und Redakteur der taz und bis 1999 Journalist, zuletzt Chefredakteur von Stern Online und zugleich Ressortleiter Wissenschaft, Medizin, Computer des Magazins „Der Stern“. Heute ist er Chef der Unternehmensberatung Consigliere.