Lebte der Reformator heute, wäre er BDS-Aktivist und führender Israel-Kritiker. Außerdem würde er auf eine Kirche treffen, die sich ganz offenbar dafür schämt, an so etwas irrationales wie Gott zu glauben.

Würde Martin Luther heute leben, wäre er Chef der BDS-Abteilung Wittenberg und eifrig damit beschäftigt, Israel zu boykottieren. Außerdem müsste Margot Käßmann vor seinem gerechten Zorn beschützt werden, der sich vermutlich nicht auf verbale Ausfälle beschränken würde. Luther träumte schließlich davon, das Judentum zu vernichten und es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, Frauen das Predigen zu erlauben. Im Gegenteil, der Reformer war ja mindestens ebenso sehr Fundamentalist, der die wortwörtliche Auslegung der Bibel forderte und die hält nun mal nicht so viel von Gleichberechtigung.

Die evangelische Kirche und er hätten sich schlicht nichts zu sagen. Er würde für diese Organisation, die nicht von Glaubens-, sondern Zweifelseifer bestimmt wird, nur Verachtung übrig haben. Und das schon, bevor er wüsste, dass die Alphatiere „seiner“ Kirche in Jerusalem auf das Tragen des Kreuzes verzichten, um keine muslimischen Gefühle zu verletzen. Er würde auf eine Kirche treffen, die sich ganz offenbar dafür schämt, an so etwas irrationales wie Gott zu glauben. Und er müsste aus all dem den Schluss ziehen, dass Gott ihm den Thesenanschlag offenbar übelgenommen hat.

Warum sonst sollte er ihn mit einer Kirche strafen, die sich zwar auf ihn beruft, aber praktisch nichts mit ihm gemein hat. Unter den Umständen hätte er sicherlich bereut, was er da in die Wege geleitet hat. Wobei es 500 Jahre nach der Reformation ohnehin nicht den Eindruck macht, als ob da noch weitere 500 Jahre dazukommen. Dafür ist diese Kirche zu kraft- und ideenlos und kann Menschen auf Sinnsuche keinen Halt bieten, weil sie selbst in einer Sinnkrise steckt.

Ein freier Tag

Kein Wunder, dass in den sozialen Netzwerken für den Reformationstag auch nicht mit religiösen Inhalten geworben wird, sondern mit dem Slogan: wir alle haben frei! Ja, wunderbar. Als Luther die Schlosskirche in Wittenberg beschädigte, ging es ihm vermutlich weniger um etwas mehr Freizeit und wahrscheinlich hätte sogar ein Fanatiker wie er es für unverhältnismäßig gehalten, für einen freien Tag im Oktober einen Religionskrieg zu führen, der halb Europa entvölkerte. Und dennoch: die Protestanten wissen fünfhundert Jahre nach Luther nicht, womit sie werben sollen. Deswegen also: wir alle haben frei! Das klingt ein bisschen nach hitzefrei, nur bei schlechtem Wetter.

Und wie geht es nun weiter mit Luthers Erben? Nachdem „seine“ Kirche längst von Hardlinern wie ihm befreit ist (weswegen es heute Pastorinnen gibt, so ein Sakrileg hätte es mit dem zornigen Martin nicht gegeben), wird sie ihren Weg zu einer ganz im Diesseits verankerten Organisation fortsetzen, die sich mehr für Umwelt- und Naturschutz einsetzt sowie im sozialen Bereich aktiv ist, aber immer weniger die Seelen der Menschen im Blick hat. Ihr Hauptkonkurrent um Mitglieder wird in Zukunft nicht mehr die katholische Kirche sein, sondern Greenpeace. Die Zeiten haben sich geändert und die evangelische Kirche wäre nicht die erste Organisation der Welt, die ihr Geschäftsmodell umstellt, weil sie sonst keine Zukunft mehr hätte.

Als ich für das Buch „Deutschland, deine Götter“ umherreiste, sagte mir ein Pastor übrigens mit folgender symptomatischer Begründung ab: „Termine nach 14:00 Uhr sind immer schlecht einzurichten, da habe ich nämlich das Bedürfnis zu schlafen.“

Na dann, gute Nacht.