Der Rassismusforscher Shelby Steele hat einen Dokumentarfilm über den Tod des schwarzen Teenagers Michael Brown gedreht. Doch weil die These nicht in die politische Landschaft passte, wurde der Film von Amazon abgelehnt. Und dann wurde er doch zum Bestseller. Ein Lehrstück über Cancel Culture.

Am 9. August 2014 wurde Michael Brown in Ferguson, Missouri, von dem Polizisten Darren Wilson erschossen, nachdem er mit einem Freund einen Tabakwarenladen überfallen hatte. Der Vorfall löste 2014 Unruhen und gewaltsame Proteste aus und gilt als ein Beginn der Black-Lives-Matter-Bewegung. Allerdings liegt der Fall anders als beim wehrlosen George Floyd, der am 25. Mai 2020 in Minneapolis von einem Polizisten getötet wurde. Darren Wilson wurde nie angeklagt. Drei Kommissionen haben sich inzwischen mit dem Geschehen beschäftigt, zuletzt wurde im August 2020 eine Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt. Denn Brown hatte den Polizisten unter Drogeneinfluss tätlich angegriffen, wie DNA-Spuren an dessen Uniform beweisen, die tödlichen Schüsse fielen den Ermittlungen zufolge in diesem Zusammenhang. Die Unterlagen zu dem Fall kann man öffentlich einsehen. Dennoch bleibt der Hergang umstritten, es gibt unterschiedliche Zeugenaussagen und vor allem gab es gewaltigen politischen und gesellschaftlichen Druck, der sich wiederholt in Protesten und Ausschreitungen entlud.

Der Rassismusforscher Shelby Steele geht in seinem Film „What killed Michael Brown?” all dem nach. Er sollte am 16. Oktober auf der Amazon-Plattform ausgestrahlt werden. Doch Amazon cancelte den Film zwei Tage vorher. Begründung per E-Mail: „Er entspricht nicht Prime Videos Erwartungen an die Qualität des Inhalts“. Vulgo: Das Narrativ passt uns nicht. Steele folgt nicht dem Dictum vom systemischen Rassismus in der amerikanischen Polizei, der Film zeichnet ein sehr komplexes Bild von der Wirklichkeit. Vorsorglich wurde den Filmmachern mitgeteilt, dass sie den Film auch in veränderter Form nicht wieder einreichen bräuchten. Gegen diesen Bescheid könne auch kein Widerspruch eingelegt werden. Ein Rausschmiss erster Klasse.

Amazon stoppt einen Bestseller

Fragt man Shelby Steele, wie es dazu kam, sagt er: „Als Amazon uns cancelte, hatten sie 10 Millionen Dollar an Black Lives Matter (BLM) überwiesen. BLM fußt auf der klassischen Idee der Schwarzen als Opfer von Rassismus. Amazon wollte zeigen, dass es gegen Rassismus ist. Doch Schwarze zu Opfern zu machen, ist ihre Art, moralische Autorität und Macht herzustellen.“ Steele, Autor des Bestsellers „White Guilt“ passt nicht in dieses Opfernarrativ. Steele jedoch ist nicht irgendein Filmer, sondern angesehener Forscher an der Hoover Institution in Stanford, Autor einiger Bücher zu Rassismusfragen und Emmy-Gewinner für den Film „Seven Days in Bensonhurst“, in dem es auch um den Tod eines schwarzen Jugendlichen ging, der von weißen Gangmitgliedern ermordet wurde.

Selbst im segregierten Chicago aufgewachsen, war Steele bereits als Kleinkind auf Bürgerrechtsveranstaltungen mit seinen Eltern, sein Großvater wurde noch als Sklave in Kentucky geboren. Amazon machte mit dem Zurückhalten des Films auch deshalb einen großen Fehler, weil der Konzern damit all die schwarzen Stimmen ausblendete, die in der Dokumentation zu Wort kommen. Sie sprechen Sätze, die auch nicht ins Narrativ passen und zeigen, wie sehr manche Antirassismus-Aktivisten sich inzwischen politisch missbraucht fühlen. So sagt etwa ein schwarzer Präsident der Bürgerrechtsorganisation NACCP in St. Louis: „Die progressive Agenda ist nicht die schwarze Agenda. Den Menschen in dieser Gegend geht es nicht besser als vor dem Tod dieses Teenagers … und jeder weiß es.“

Das Wall Street Journal griff die Sache auf, es folgten andere Medien – und nach einigem peinlichem Hin und Her knickte Amazon ein. „What killed Michael Brown?“ schoss auf Platz eins der Dokumentarfilme bei Amazon Prime und hat sich über Wochen zwischen Platz eins und drei gehalten. Vielleicht lernt nicht nur Amazon daraus. Offenbar gibt es immer noch genügend Zuschauer, die sich nicht durch eine Cancel Culture schützen lassen wollen und an das bessere Argument glauben. Auch wenn es unbequem ist.