Tote können sich nicht wehren. Die Deutsche Bahn bennent einen ihrer neuen ICEs nach Anne Frank – dass es die Bahn war, mit der das Mädchen deportiert wurde, ist dem geschichtsvergessenen Konzern hingegen kein Wort wert.

Dass es bei der Deutschen Bahn häufig zu Ausfällen kommt, ist bekannt. Dass es aber auch zu Ausfällen kommt, bevor die Züge überhaupt abgefahren sind, ist hingegen selten. Wie das geht, zeigt eine PR-Aktion der Bahn, bei der Kunden aufgerufen wurden, Namensvorschläge für die neuen Züge der ICE-4-Reihe zu machen.

Gestern veröffentlichte der Konzern auf seiner Homepage dann die ausgewählten Namen für die ersten 25 Züge der neuen Reihe, die zwischen 2018 und 2019 zum Einsatz kommen sollen. Unter den neuen Namenspatronen für die Züge finden sich nicht nur berühmte Deutsche wie Albert Einstein, Marlene Dietrich oder Loriot, sondern auch Anne Frank.

Dass man einen Zug unbedingt nach einer Person benennen muss, die mit diesem Transportmittel vor allem am 3. September 1944 keine guten Erfahrungen gemacht hat, begründet Jury-Mitglied Prof. Dr. Gisela Mettele folgendermaßen: „[…] So unterschiedlich die ausgewählten Persönlichkeiten auch sind, sie haben eins gemeinsam: Sie waren neugierig auf die Welt.“ Das über ein Mädchen zu sagen, dass dafür bekannt ist, erst in einem Versteck und dann im KZ gewesen zu sein, ist entweder einem völligen Mangel an Feingefühl oder einem tiefschwarzen Humor zuzuschreiben.

Symbolbild für den Holocaust

Auf Nachfrage versichert die Pressestelle der Deutschen Bahn, dass es sich um keinen bösen Scherz handelt. Anne Frank gehörte sogar neben Heinrich Heine zu den Favoriten der Jury. „Sie steht für Toleranz und für ein friedliches Miteinander verschiedener Kulturen, in Zeiten wie diesen, wichtiger denn je“, heißt es in der Pressemitteilung von Antje Neubauer, PR-Chefin der Bahn.

Problematisch an dieser Entscheidung ist nicht, das Anne Frank für Toleranz steht, sondern, dass die  Züge der Deutschen Bahn, als Nachfolgerin der Deutschen Reichsbahn, nach wie vor ein Symbolbild für den Holocaust sind. Ein Täterwerkzeug nach dem Opfer zu benennen, ist ziemlich morbide. Um das zu veranschaulichen, muss man sich nur vorstellen, Jack Daniel’s würde einen Whiskey namens „Sitting Bull’s Firewater“ auf den Markt bringen, um an das Leid der amerikanischen Ureinwohner zu erinnern.

Demnächst wird also ein Zug mit dem Namen und Konterfei Anne Franks vielleicht regelmäßig von Amsterdam nach Berlin fahren. Es bleibt abzuwarten, ob die Niederländer am Amsterdamer Bahnhof diesen Anblick für einen Aufruf zu Toleranz und friedlichem Miteinander oder für einen schlechten Scherz halten. Erstaunlich ist nur, dass bei der Deutschen Bahn niemandem aufgefallen ist, wie missverständlich diese Art des Erinnerns sein könnte. Man sollte meinen, gerade die Bahn würde alles vermeiden, um den Anschein zu erwecken, sich über den Holocaust lustig zu machen. In der Pressestelle versicherte man, dass es vor allem darum ginge, das Erinnern an den Holocaust wach zu halten. Leider ist gut gemeint häufig das Gegenteil von gut gemacht.

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Nils Kottmann, Jahrgang 1993, studiert Volkswirtschaft und arbeitet als freier Journalist (u.a. Jüdische Allgemeine).