Was sich so in meinem Notizbuch angesammelt hat – 23. August 2019

Jeden Morgen, kurz nach halb sieben, gibt es im Deutschlandfunk eine kurze Morgenandacht. Zwei Kirchen wechseln sich dort im Wochenrhythmus ab: Die katholische und die ökologische.

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Der Kabarettist Bruno Jonas stellte vor einiger Zeit die Frage. „Wird das Richtige falsch, wenn es der Falsche sagt?“ Mit Blick auf die Berichterstattung über Fragen der Umwelt- Sozial- und Verkehrspolitik scheint mir mindestens ebenso wichtig die Frage zu sein: „Wird das Falsche richtig, wenn es der ‚Richtige‘ sagt?“

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Wie vermutlich viele Männer mittleren Alters empfinde auch ich den Anblick der Schauspielerin Jennifer Aniston als erfreulich. Dennoch fragt man sich, wenn man im Supermarkt vor dem Regal mit den bunten Blättchen steht, ob es für die diversen Fernseh- und Rätselzeitschriften nicht vielleicht doch sinnvoll sein könnte, nach 15 Jahren auch einmal einen anderen Menschen auf der Titelseite abzubilden, und sei es auch zunächst probehalber.

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Eintrag eines Lesers mit dem Nutzernamen „Chriswr“ in den Internet-Kommentarspalten der englischen Zeitung „The Guardian“ zur Nachricht über die Wahl der neuen Parteivorsitzenden der Liberaldemokraten, der ein anderer Leser vorwarf, sie sei „neoliberal“: „Die meisten normalen Leute haben noch nie das Wort ‚Neoliberalismus‘ gehört. Es ist lediglich ein beleidigendes Etikett, dass einem Linke anhängen, wenn man weniger links ist als sie selbst.“ Knapper und klarer kann man es nicht ausdrücken.

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An einem grausam kalten, düsteren und verregneten Frühsommertag, irgendwann in den frühen 80er Jahren, hielt der Physiker Heinz Haber einen Vortrag im Hamburger Planetarium. Haber, ein sehr angesehener Wissenschaftler, hatte in den 60er und 70er Jahren populärwissenschaftliche Fernsehsendungen moderiert und war darum einigermaßen prominent. Entsprechend voll war der Saal. Haber begann seinen Vortrag mit der Bemerkung, dass die Wetterkapriolen, die man grade erlebe, keineswegs der Beginn einer vom Menschen verursachten neuen Eiszeit seien, sondern einfach schlechtes Wetter. Das Publikum erzitterte geradezu vor gerechter moralischer Empörung angesichts dieser Ignoranz gegenüber dem allgemein anerkannten wissenschaftlichen Konsens und buhte den unbelehrbaren Klimaleugner erbarmungslos aus.

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Wirklich gut gemeinte Ratschläge erkennt man daran, dass sie uneigennützig sind. Vor vielen Jahren erzählte ich auf der Frankfurter Buchmesse dem Buchverleger Manuel Herder, dessen Verlag damals noch mehr als heute auch auf Ratgeberliteratur spezialisiert war, dass meine Frau das erste Kind erwarte, und wir doch schon etwas unsicher seien angesichts der Veränderungen, die unserem Leben bevorstünden. Herder, ungefähr gleich alt wie ich, hatte damals bereits Kinder. Spontan, wie aus der Pistole geschossen, sagte er: „Lesen Sie bloß keine Bücher!“

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Für die wirtschaftspolitische Debatte wäre es hilfreich, wenn Wirtschaftsvertreter und die ihnen nahestehenden Politiker und Medien auf den Begriff „Mittelstand“ verzichten würden. Er ist zwar korrekt, aber missverständlich: Die meisten Bürger verwechseln „Mittelstand“ mit „Mittelschicht“. Wenn sich dann der Bonze im großen Mercedes vorfahren lässt und verkündet, er gehöre zum Mittelstand, klingt das für die meisten Menschen wie Hohn. Fast immer lässt sich das Wort „Mittelstand“ ohne Informationsverlust durch „kleine und mittlere Unternehmen“ ersetzen.

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In einem Aufsatz des Historikers Joachim Radkau über die Zukunftsprognosen der Vergangenheit kann man das ultimative Urteil über die „Wissenschaft“ der Futurologie lesen. Es findet sich in einer kurzen Darstellung der Werke des amerikanischen Futurologen Herman Kahn: „Herman Kahn, der in einer Biographie als fleischgewordener Computer charakterisiert wurde, brachte 1967 mit seinem futurologischen Kollegen Antony Wiener ein Buch ‚The Year 2000‘ heraus, das schon im Folgejahr (…) auf deutsch unter dem prophetischen Titel ‚Ihr werdet es erleben‘ erschien und in jener Zeit der prognostischen Hochkonjunktur weite Beachtung fand (…). Im Zentrum standen Prophezeiungen neuer Technik. So sagte er für die Jahrtausendwende voraus, da würden künstliche Monde die Nachtseite der Erde beleuchten; und auch die Nutzung nuklearer Sprengsätze im Berg- und Tiefbau sei zu erwarten. Es werde ‚weltraumgestützte Verteidigungssysteme‘ geben und ‚bemannte interplanetarische Raumflüge‘ würden gängig werden. Die Menschheit werde ‚etwas Kontrolle über Wetter und/oder Klima gewinnen‘. Vielleicht war es Kahns Glück, dass er das Jahr 2000 nicht einmal von ferne erlebte: Schon 1983 starb er mit nur 61 Jahren an einem Herzinfarkt.“

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Der Historiker Alexander Gallus schreibt in der FAZ über die Novemberrevolution von 2018: „So verfehlt und vereinfachend eine ganz auf ‚1933‘ fixierte Geschichte des Scheiterns von Weimar ist, so naiv und geschichtsblind wäre es, vom 12. November 2018 ausgehend, eine Erfolgsgeschichte schreiben zu wollen.“ Das wäre ja wohl auch einigermaßen schwierig.

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Ein Bekannter, der auf dem Gebiet der Vermögensverwaltung tätig ist, berichtete von einem Kunden, der ihm sagte: „Man muss seinem Bankberater gut zuhören und dann das Gegenteil von dem tun, was er vorschlägt.“ Es dürfe wenig empfehlenswert sein, diesem Kunden nachzueifern, doch gänzlich verwerfen sollte man seine Strategie nicht. Ich kenne zwei außerordentlich kluge und kenntnisreiche Analytiker des Zeitgeschehens, die dazu neigen, mit großer Bestimmtheit künftige Entwicklungen vorauszusagen. Wenn sie einen Satz beginnen mit „Ich sage Ihnen, wir werden erleben, dass…“, muss man die Ohren spitzen, denn es wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Gegenteil von dem eintreten, was sie prognostizieren. Das macht die Gespräche mit ihnen sehr lohnend, denn ein Kompass, der verlässlich nach Süden zeigt, ist zur Orientierung ebenso gut geeignet wie einer, der die Richtung korrekt angibt.