Betrachtet man die erneut entfachte Debatte über die Relevanz des Klimawandels, erscheint es fast tragikomisch, dass nur wenige Akteure willens sind, etwas nüchterne Distanz zuzulassen, um Strategien zu entwickeln, die tatsächlich hilfreich sind. Denn: Das ist möglich.

In einer zunehmend komplexeren Welt, die es dem menschlichen Verstand erschwert, sich in ihr zurechtzufinden, gewinnen einfache Vorschläge für die Lösung komplizierter Probleme an Attraktivität. Das ist für niemanden überraschend, der sich damit beschäftigt hat, wie Menschen die Welt wahrnehmen und auf Basis dieser Wahrnehmung Entscheidungen treffen.

In den 70er Jahren entwickelten die Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky eine Theorie, die zu erklären versucht, wie Menschen sich in Situationen entscheiden, die für sie selbst ein gewisses Risiko bergen und deren Ausgang nicht ersichtlich ist. Diese Überlegungen führten 1979 schließlich zu dem Paper „Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk“ – eine Arbeit, die bis heute zu den einflussreichsten innerhalb der Wirtschaftswissenschaften gehört und die die Grundlage für das neue Forschungsfeld der Verhaltensökonomie legte.

Vor Kahneman und Tversky herrschte in den Modellen der Wirtschaftswissenschaften der Standpunkt vor, dass Menschen stets imstande seien, rationale Entscheidungen zu ihrem Vorteil zu treffen. Diese Art Mensch wird meist als Homo oeconomicus bezeichnet. Während der wissenschaftlich arbeitenden Psychologie zu diesem Zeitpunkt längst bewusst war, dass Menschen alles andere als knallhart kalkulierende, stets rational entscheidende Akteure sind, schien diese Erkenntnis noch nicht zu den Ökonomen jener Zeit durchgedrungen zu sein. Doch die Pionierarbeit, die von Tversky und Kahneman geleistet und später durch Richard Thaler, Cass Sunstein und anderen fortgeführt wurde, war schon bald nicht mehr von der Hand zu weisen. Das Credo des stets rational entscheidenden Menschen begann immer schneller zu bröckeln. Konsequenterweise erhielten Kahneman im Jahr 2002 und Thaler 2017 für ihre Forschungen den Nobelpreis in Ökonomie. Die Arbeit an Entscheidungsprozessen führte zu zwei zentralen Aspekten, die für das Verständnis der öffentlichen Wahrnehmung des Klimawandels bedeutsam sind.

Weniger ist nicht immer mehr

Eine dieser Grundannahmen wird als „loss aversion“ beschrieben – also die Tendenz, mehr darum bestrebt zu sein, Verluste zu vermeiden als Gewinne von vergleichbarem Wert zu erzielen. Ein konkretes Beispiel: Für die persönliche Wahrnehmung wiegt der Verlust an Zufriedenheit beim Verlust von 100€ mehr als der Gewinn an Zufriedenheit, wenn der gleiche Betrag als unerwarteter Geldsegen eintrifft. Die emotionale Bewertung der Verlust-Gewinn-Rechnung weist demnach eine Asymmetrie zugunsten des Vermeidungsverhaltens auf. Eng mit dem Begriff loss aversion ist der sogenannte „endowment effect“ verbunden. Dieser besagt, dass Menschen jenen Dingen, die sie als ihr Eigentum wahrnehmen, einen höheren Wert beimessen, als fremden, ähnlich wertvollen Gegenständen. Kahneman, Knetsch und Thaler (1990) stellten die Überlegung an, dass loss aversion eine mögliche Erklärung für den oft beobachteten endowment effect anbietet.

Nimmt man diese Idee als Grundlage, so überrascht es wenig, dass viele Menschen von den oftmals kommunizierten Einschränkungen in der persönlichen Lebensgestaltung abgestoßen sind, die zur Prävention des Klimawandels gefordert werden. Während die Veränderung des Klimas ein abstraktes, emotional schwer zu fassendes Phänomen darstellt, offenbart sich der geforderte Verzicht auf Fleisch, Flugreisen oder Kinder als ein ganz konkret wahrgenommener Verlust an Lebensqualität. Scheinbar objektive Hochrechnungen, die Preisanpassungen vieler Annehmlichkeiten errechnen – Maßnahmen, die notwendig sein sollen, um den Konsum zu senken und damit dessen Auswirkungen auf das Klima zu mindern –, sorgen bei vielen Menschen verständlicherweise für Ablehnung und Ärger. Es gehört zu den großen Tragödien politischer Ideologien, dass sie mit den Menschen arbeiten müssen, die sie haben, und nicht jenen, die sie gerne hätten.

Der vielerorts vernommene Ruf nach einem Mehr an Verzicht, an Steuern und Einschränkungen wird daher nur bei denen auf fruchtbaren Boden stoßen, die ohnehin bereits willens sind, zugunsten einer übergeordneten Idee persönliche Verluste in Kauf zu nehmen. Nicht selten liegt das auch daran, dass sie die empfohlenen Einschränkungen überhaupt nicht als solche empfinden, da sie die Vorschläge selbst bereits aus freien Stücken befolgen. Darauf basierend allerdings anzunehmen, dass alle anderen Menschen ebenso bereitwillig das eigene Leben umkrempeln, ist zu kurz gedacht.

Es bedarf also Strategien, die anerkennen, dass unterschiedliche Menschen vielfältige Bedürfnisse haben und eine „One-Size-Fits-All-Lösung“ nur in den Manifesten revolutionärer Ideologen taugt. Viel wäre für die öffentliche Wahrnehmung bereits getan, wenn nicht mehr so oft darüber geredet wird, worauf wir alles verzichten müssen, sondern was wir aktiv tun können, ohne dass die empfundene Lebensqualität darunter leidet.

Zu den schönen Nachrichten der jüngeren Geschichte gehört beispielsweise die vom Land Schleswig-Holstein und dem Cartoonisten Ralph Ruthe initiierte Idee, zum Tag der deutschen Einheit Bäume zu pflanzen oder dafür zu spenden – ganz ohne Zwang oder Angstmacherei. Die positive Resonanz war entsprechend groß. Anders hätte es vermutlich ausgesehen, wäre über die Einführung einer „Baumsteuer“ nachgedacht worden, die man für denselben Zweck einsetzen würde, allerdings ohne dem Bürger eine Entscheidungsoption zur Verfügung zu stellen.

Die Idee dahinter ist natürlich nicht neu. Richard Thaler und Cass Sunstein haben mit ihrem 2008 erschienen Buch die Idee des sogenannten „Nudgings“, das sie auch als „libertären Paternalismus“ bezeichnen, popularisiert. Zu den Grundannahmen gehört, dass es oftmals sinnvoll ist, die Anzahl der möglichen Wahloptionen zu erhöhen sowie gewisse positive Alternativen so zu präsentieren, dass sie dem Betrachter eher ins Auge fallen. Anstatt also beispielsweise Fast Food in Kantinen zu verbieten, werden gesündere Angebote an einem als leichter zugänglich wahrgenommenen Ort aufgestellt. Jeder Kunde besitzt nach wie vor die Entscheidungsfreiheit, sich den Burger mit Fritten auf den Teller zu legen, doch vielleicht denkt er von nun an häufiger daran, dass eine vegetarische Alternative von Zeit zu Zeit auch nicht ganz verkehrt ist. Privatwirtschaftliche Unternehmen sind mit dieser Art der Kundenbeeinflussung seit Jahren bestens vertraut und machen sie sich zunutze, wo immer es ihnen möglich ist.

Es stellt sich daher an dieser Stelle unwillkürlich die Frage, warum gerade politische Akteure viel zu häufig auf Angst als Motivator zurückgreifen, anstatt nach Wegen zu suchen, den Menschen mehr Handlungsoptionen zur Verfügung zu stellen oder sie ihnen zumindest bewusster zu machen. Denn oftmals bedarf es weniger der intensiven Suche nach einem Allheilmittel als vielmehr des Fokus auf bereits existierende Möglichkeiten. Anstatt am Earth Day darauf hinzuweisen, dass die Ressourcen für das aktuelle Jahr theoretisch aufgebraucht sind und wir alle, wieder einmal, verzichten, verzichten, verzichten müssen, wäre es kommunikationstheoretisch wesentlich cleverer, zu zeigen, wie viel Stromkosten ein Privathaushalt durch simple Methoden einsparen kann. Ziel und Ergebnis sind gleich, doch der Weg dahin ist ein gänzlich anderer.

Klimawandel, Schmimawandel

Nicht wenige Menschen sind von der Debatte um den Klimawandel genervt. Sie glauben, dass alles nur eine große Medienhysterie ist und Greta, Fridays for Future und Co. im Grunde keine Ahnung haben, wovon sie reden. Und ganz überhaupt gab es schon immer Warm- und Kaltphasen auf der Erde.

Diese Gedanken gibt es und es ist wichtig, sie ernst zu nehmen. Eine pauschale Verurteilung mit dem Hinweis darauf, dass solche Leute doch ohnehin nur irgendwelche rechtskonservativen AfD-Verschwörungstypen sind, ist wenig zielführend.
Stattdessen lohnt eine Betrachtung der zweiten Grundannahme der Verhaltensökonomie: einer Dichotomie, die Kahneman als „System 1“ und „System 2“ beschreibt.

System 1 stellt dabei jenen unbewussten, intuitiven Mechanismus dar, der schnell, automatisch und emotional reagiert und die Grundlage der meisten alltäglichen Entscheidungen liefert. Es wäre ungemein unpraktisch, wenn Menschen stets bewusst über jede Entscheidung nachdenken müssten, da Leben, so wie wir es kennen, dann vermutlich schier unmöglich wäre. Dennoch sollten wir System 2 nicht als den eigentlichen Entscheidungsträger identifizieren. Dieses zweite, logisch kalkulierende, bewusst nachdenkende System vermittelt uns die Illusion, dass wir stets Herr aller Dinge sind und selbstverständlich immer rationale Entscheidungen treffen können, die uns zum Vorteil gereichen. Es verwundert wenig, dass die Idee des Homo oeconomicus so lange überlebt hat. Wir nehmen sie häufig als unsere Lebensrealität wahr, einfach, weil uns die Kenntnis über jene unbewussten Prozesse fehlt, die das eigene Leben maßgeblich bestimmen.

Der Grund dafür, warum Nudging oftmals ein sinnvoller Ansatz sein kann, um erwünschte Verhaltensweisen zu begünstigen, ist, dass unser System 1 viele der davon beeinflussbaren Entscheidungen trifft. Der Klimawandel jedoch, der als abstraktes, gefühlt weit entferntes Phänomen irgendwo abseits unserer Lebenswirklichkeit stattfindet, ist eher dem schwerfälligeren System 2 zugänglich und das auch nur, wenn die präsentierten Argumente überzeugend sind und nicht zu sehr mit der Wahrnehmung von System 1 auf Konfrontationskurs gehen. Wer hat schon Zeit und Motivation, sich mit klimatheoretischen Fachdiskussionen auseinanderzusetzen? Das sollte nicht als Vorwurf verstanden werden, sondern es ist eine simple Wiedergabe des Status Quo, wie er sich für viele Menschen darstellt. Es ist überaus menschlich, dass wir oft bemüht sind, anstrengende Situationen zu vermeiden, wenn es denn nicht gerade notwendig erscheint.

Also sollten wir die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, weil ohnehin alles keinen Sinn hat und niemand so recht weiß, wovon er redet? Nicht ganz.

Von schwarzen Schwänen und komplexen Systemen

Im Jahr 2007 veröffentlichte der Statistiker Nassim Nicholas Taleb das Buch The Black Swan: The Impact of the Highly Improbable. Zu den Kernaussagen des Werks gehört, dass das menschliche Leben sowie das es umgebende Ökosystem ein unfassbar komplexes System unzähliger Variablen darstellt, die wir unmöglich alle in die Bewertung der Welt mit einbeziehen können. Daraus folgt: Es besteht die Möglichkeit, dass Ereignisse eintreten werden, die im Widerspruch zu allen statistischen Prognosen stehen, aber mitunter katastrophale Folgen haben – die namensgebenden Schwarzen Schwäne. Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass ein Jahr später eine unerwartete Weltwirtschaftskrise sehr desaströse Auswirkungen in vielen Ländern nach sich zog – kaum jemand hatte zum damaligen Zeitpunkt mit einem Ereignis von derartiger Tragweite gerechnet. Die verwendeten Prognosemodelle ließen nichts erkennen. Damit ist nicht gesagt, dass statistische Methoden nutzlos sind, ganz im Gegenteil. Es existieren viele Bereiche, in denen statistische Betrachtungen sehr hilfreich sein können. Allerdings ist es nicht minder bedeutsam, sich gelegentlich die Grenzen dieser Methoden vor Augen zu führen und zu verstehen, was sich vernünftigerweise prognostizieren lässt und was nicht.

Klimamodelle gehören Taleb zufolge in die letztere Kategorie. Da es unmöglich ist, alle relevanten Faktoren zu kennen, sind abgeleitete Prognosen auf Basis unvollständiger Informationen auch relativ wertlos. Interessanterweise führt ihn diese Überlegung aber nicht zur selben Schlussfolgerung, wie jene kritische Kommentatoren das unter den Artikeln vieler Berichte über den Klimawandel gerne hätten.

Seiner Argumentation folgend, ist es absolut geboten, sich in Bezug auf Umweltschutzaspekte so konservativ (im Wortsinn, also bewahrend) wie nur möglich zu verhalten. Die Möglichkeit eines katastrophalen Schwarzer-Schwan-Events besteht und dessen Auswirkungen können so verheerend sein, dass wir uns davon nie wieder erholen werden. Selbst wenn also sämtliche Modelle und Vorhersagen nutzlos sein sollten (eine Position, über die sich vermutlich trefflich streiten lässt), so sorgt gerade diese Unsicherheit dafür, dass ein risikovermeidendes Verhalten sehr sinnvoll ist.

Man muss Talebs rigorose Ablehnung statistischer Prognosen in komplexen Systemen nicht teilen, um die Attraktivität des Arguments anzuerkennen. Manchmal bedarf es keiner komplizierten mathematischen Verfahren, um zuzugeben, dass man viele Dinge nicht versteht, aber es womöglich eine gute Idee ist, das Risiko eines verheerenden Ereignisses zu verringern.

Es bleibt zu wünschen, dass sich der öffentliche Diskurs zugunsten einer positiven, weniger angstzentrierten Debatte verschiebt. Anstatt auf immer mehr Verbote, Einschränkungen und Abgaben zu pochen, wäre das Nachdenken über attraktivere Alternativen eine sehr willkommene Abwechslung. Niemandem ist damit geholfen, wenn die großen, globalen Fragen unserer Zeit auf Ablehnung treffen, weil es nicht gelungen ist, die Bedeutsamkeit angemessen zu veranschaulichen. Die meisten Menschen mögen es nicht, wenn sie das Gefühl vermittelt bekommen, in ihrer Entscheidungsfreiheit beschnitten zu werden. Das ist normal, das ist menschlich. Wir brauchen daher mehr gute Optionen, nicht weniger.