Mythenjagd (4): Detox – Der Körper kann entschlackt werden
Entgiftung, Entschlackung, Ausleitung, Detox – viele Begriffe für dasselbe Konzept. Die Reinigung des Körpers von den ungesunden, sündigen Einflüssen des irdischen Daseins ist ein religiöses Motiv ohne physiologische Grundlage.
Zu viel Alkohol am Abend, zu wenig Schlaf, im Zeitmangel des Berufsalltags nur ein Burger „auf die Faust“, gefolgt von einer Zigarette zur Beruhigung. Auf die Dauer kann das durchaus auf die Gesundheit schlagen – und aufs Gewissen, denn letztlich ist fast jedem bewusst, dass ein derart stressiger und womöglich rücksichtsloser Lebenswandel Folgen haben kann.
Detox verspricht Abhilfe. Tees, Pflaster, Smoothies, Fußbäder, Cremes, Shampoo und unzählige weitere Produkte versprechen unter diesem Label, die Schadensbilanz auszugleichen, indem sie angesammelte „Schadstoffe“ aus dem Körper ausleiten. Ein ziemlich genialer Marketing-Trick: Zur Beruhigung des Gewissens haben Wellness-Anbieter einen völlig neuen physiologischen Prozess erfunden. Denn dass sich im Körper irgendwelche „Schlacken“ ansammeln, die sich durch Poren in der Haut oder mittels wundersamer Zusatzstoffe in Tees oder Smoothies aus dem Darm spülen ließen, sucht man in einem Medizin-Lehrbuch vergebens.
Schlacken gibt’s im Brennofen, nicht im Körper
„Es gibt keine Schlacken im Körper“, sagt deswegen Professor Kinan Rifai, Chefarzt der Inneren Medizin am Städtischen Klinikum Wolfenbüttel. „Der Darm ist ständig in Bewegung, in ihm können sich keine Giftstoffe aus der Nahrung ansammeln. Er reinigt sich selbst.“
Natürlich nimmt der Mensch nicht zuletzt durch die Nahrung unentwegt Giftstoffe auf. Doch dafür gibt es im Körper ein eigenes Entgiftungssystem: den Stoffwechsel. Die Leber reguliert Zucker, Protein- und Fetthaushalt. Sie filtert Alkohol aus dem Blut und baut ihn über Zwischenschritte zu Essigsäure um. Am Ende der Kette steht ausgeatmetes Kohlendioxid. Das beim Aufspalten von Aminosäuren freiwerdende toxische Ammonium wandeln Leber und Nieren in Harnstoff um, der den Körper über den Urin verlässt.
Darüber hinaus gibt es evidenzbasierte Verfahren wie die Dialyse zur Blutreinigung oder die Chelat-Therapie bei akuten Schwermetall-Vergiftungen. Sie werden in der wissenschaftlichen Medizin eingesetzt und basieren auf der genauen Messung eindeutig definierter Giftstoffe wie Blei, Quecksilber oder Kupfer. Es ist auch bekannt, dass Ablagerungen mancher Stoffwechselprodukte Krankheiten verursachen können. Einen Zusammenhang gibt es bei Cholesterin und Kalk mit Arteriosklerose, bei Harnsäure-Salzen mit Gicht und bei falsch gefalteten Proteinen mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer.
Was genau wird eigentlich ausgeleitet?
Damit gäbe es also konkrete Stoffe, auf die eine „Entgiftung“ bei derartigen Erkrankungen einwirken könnte. Doch bei Detox-Produkten wird nie angegeben, um welche Stoffe genau es eigentlich geht. Die Aussagen bleiben nebulös, beziehen sich wenn überhaupt allgemein auf „Schadstoffe“, die sich durch vermeintlich schlechte Nahrungsmittel, Medikamente oder gar Elektrosmog im Körper ansammeln sollen.
Denn konkretere Stoffe ließen sich messen, ihre angebliche Ausleitung könnte durch Tests sehr schnell und einfach widerlegt werden. Ein echter Gesundheitseffekt würde Detox-Produkte zu Arzneimitteln machen und entsprechende Prüfungen nach sich ziehen. Deswegen bleiben die Aussagen vage und richten sich nicht an Kranke, sondern an gesunde Kunden, die bereit sind, Geld gegen ein gutes Gewissen zu tauschen.
Detox ist eine unlautere Gesundheitsaussage
Trotzdem enthalten auch solch nebulöse Angaben eine gesundheitsbezogene Aussage, und damit verstoßen sie gegen die europäische Health-Claims-Verordnung (HCVO), die solche Aussagen bei Lebensmitteln untersagt, wenn sie sich nicht belegen lassen. Das hat das Landgericht Düsseldorf in einem Prozess gegen eine Firma, die Detox-Tee verkauft, im Mai 2015 bestätigt. Die Bezeichnung „Detox“ bringe zum Ausdruck, „dass bei bestimmungsgemäßem Gebrauch des Lebensmittels eine Entgiftung des Konsumenten eintritt“, obwohl es „(…) eine Verschlackung und entsprechende Entgiftung im Sinne der Grundannahme des Entstehens von Ablagerungen im menschlichen Körper nicht gibt“, so die Begründung des Urteils.
Interessant ist die Verteidigung des verklagten Unternehmens. Es versucht nicht, den Sinn von Entgiftung zu belegen, sondern behauptet Detox habe mit tatsächlicher Entgiftung eigentlich gar nichts zu tun. Der Verbraucher wisse das, denn Detox „impliziere beim maßgeblichen, normal informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher keinen Zusammenhang zwischen dem Tee und der Gesundheit des Verbrauchers, sondern beinhalte lediglich einen Hinweis auf eine bestimmte Lebenseinstellung, die sich im Drange des derzeitigen Wellnesstrends insbesondere durch ein Streben nach innerer Ausgeglichenheit und allgemeinem Wohlbefinden auszeichne“. Ähnlich argumentieren auf Anfrage nach den von ihnen verkauften Detox-Tees auch dm und Bad Heilbrunner.
Im Klartext: Eigentlich hat Detox keine richtige Bedeutung. Es ist ein reines Marketingwort, ein inhaltsleerer Wohlfühlbegriff. Das ist ein überraschend ehrliches Eingeständnis. Dem Kunden sei bewusst, dass er verarscht werde. Das Gericht ließt das allerdings nicht durchgehen. Detox sei zwar ein Kunstwort, aber: „Ein normal informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher, zu denen auch die Mitglieder der Kammer zählen, erkennt aber, dass die Bezeichnung nicht aus einer willkürlichen Buchstabenkombination entstanden ist. Unabhängig von speziellen Fremdsprachenkenntnissen sind die Silben ‚de‘ und ‚tox‘ geläufig. Insbesondere der Bestandteil ‚tox‘ ist aus Worten wie toxisch, toxikologisch auch in Deutschland bekannt und weist der Silbe ‚tox‘ die Bedeutung von Gift oder giftig zu.“ Das Gericht untersagte schließlich dem Unternehmen, den Begriff in der Bezeichnung seines Tees weiter zu verwenden.
Ein säkulares Reinigungsritual
Obwohl Detox also ein Marketing-Trick ist, wurde das Konzept keinesfalls für die Verbrauchertäuschung mit Tees und Smoothies erfunden. Die Idee ist viel älter. Rituelle Reinigungen von den Sünden des Lebens gibt es in fast jeder Religion: Fasten im Christentum, Ramadan im Islam, Jom Kippur und religiöse Bäder im Judentum. Im hinduistischen Ayurveda gibt es die Reinigungskur des Panchakarma .
Detox ist eine säkularisierte Form davon. Die entsprechenden Wellness-Regime sind ähnlich ritualisiert und geben dasselbe Versprechen: Reinigung und die Vergebung von Taten, die wir bereuen – ob man unter einer Sünde nun den Verstoß gegen eine religiöse Vorschrift oder den Griff zur Pralinenschachtel versteht.
Doch dafür bedürfte es eigentlich keiner teuren Hilfsmittel. Wer sich tatsächlich von durchzechten Nächten voller Drogen, Sex und Alkohol erholen will, dem ist mit ausreichend und regelmäßigem Schlaf, ausgewogener Ernährung, Bewegung und etwas weniger Risikoverhalten bereits geholfen. Das einzige, was darüber hinaus mit Detox ausgeleitet wird, ist Geld aus dem Portemonnaie.
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Bio bedeutet ungespritzt. Kernreaktoren können explodieren. Kuba hat ein vorbildliches Gesundheitssystem. In unregelmäßigen Abständen begibt sich Johannes Kaufmann hier auf Mythenjagd. Themenvorschläge werden gern entgegengenommen.
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