Selbst Politiker ohne Sympathien für den Sozialismus loben die Gesundheitsversorgung des Inselstaates. Dabei gibt es in Kuba eine lupenreine Zweiklassen-Medizin.

Als Kubas gefühlt ewiger Diktator Fidel Castro Ende November des vergangenen Jahres starb, konnte man den Eindruck gewinnen, da sei kein Massenmörder, der Oppositionelle vor Erschießungskommandos stellen und Schwule in Lager sperren ließ, abgetreten, sondern ein vorbildlicher Humanist und Wohltäter. Der Papst zeigte sich „sehr traurig“, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach von einer „historischen Persönlichkeit“ (das war Stalin unzweifelhaft auch) und kondolierte dem unterdrückten kubanischen Volk zum Tod seines Unterdrückers, und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hob allen Ernstes die „große Entschlossenheit“ Castros hervor (auch das hätte bei Stalin gut gepasst).

Eine der Errungenschaften, auf denen dieser wohlmeinende Blick auf den Verstorbenen fußt, ist das kubanische Gesundheitssystem. „Es gehört zur großen Leistung von Fidel und der kubanischen Revolution, Bildung und Gesundheit kostenlos für die gesamte Bevölkerung bereitzustellen“, lobhudelten die Linken-Fraktionschefs Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, die immerhin „nicht unkritisch der großen Leistung dieses Revolutionärs gedachten. Für ein kritisches Gedenken hat es trotz des eklatanten Mangels grundlegender bürgerlicher Freiheiten in Kuba aber offenbar nicht gereicht.

 

Trauer beim VW-Betriebsrat

Auch in kleinem, weniger prominentem Rahmen wurden Kerzen für den großen Revolutionär entzündet. In der „Braunschweiger Zeitung“ erschien am 6. Dezember eine Traueranzeige für Castro, der sein Leben „in den Dienst des Kampfes um die Befreiung der Völker, für eine friedliche Welt ohne Hunger, Krankheiten und Analphabetismus gestellt“ habe (ohne Schwule hat wohl nicht mehr in die Anzeige gepasst) – unterzeichnet unter anderem vom Linken-Fraktionssprecher im Rat der Stadt Braunschweig, Udo Sommerfeld, und dem Betriebsratsvorsitzenden des Braunschweiger VW-Werks, Uwe Fritsch.

„Ich kann nicht bestätigen, dass Castro ein Diktator war“, verteidigte der bekennende Kommunist Fritsch die Anzeige. Dass Kommunisten ihre Mühe damit haben, Diktatoren als solche zu erkennen, wenn sie sich mit roter Tarnfarbe anmalen, ist bekannt. Überraschender ist, dass auch echte Demokraten immer wieder eine rosarote Kuba-Brille aufsetzen. Kanadas Regierungschef Justin Trudeau etwa würdigte, dass Castro die „Gesundheitsversorgung in seinem Inselstaat maßgeblich verbessert“ habe. Auch US-Präsident Barack Obama lobte schon Kubas „enorme Errungenschaften in der Bildung und der Gesundheitsversorgung“. Selbst die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation WHO nannte das Gesundheitssystems des Inselstaats ein „Vorbild für die Welt“. Sie hoffe, dass alle Menschen der Welt einst Zugriff auf medizinische Leistungen wie die Kubaner hätten.

Fragt sich nur, welche Kubaner? Denn hier offenbart sich schon der erste Aspekt des Mythos vom gerechten Gesundheitssystem: Es gibt nicht eines, sondern zwei – eines für reiche Ausländer und die Funktionäre und Lieblinge des Regimes und eines für den ganzen Rest.

 

Gesundheit gegen Devisen

Medizintouristen, die vor allem für Schönheits-OPs anreisen, bekommen das Beste, was Kuba zu bieten hat: Saubere, hervorragend ausgestattete Kliniken mit gut ausgebildetem Personal. Im Gegenzug bringen die Ausländer Devisen ins Land, die das Regime zum Überleben bitter nötig hat. Auf einen ähnlich hohen Standard kann die Nomenklatura aus Politik, Militär, Polizei und Schranzen des Regimes hoffen.

Ganz anders sieht es für Max Mustermann, oder besser Pedro Gonzales, aus. Zwar sind Grundversorgung und Prävention auch hier besser als in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern. Doch wer ernsthaft krank wird, hat ein Problem: Die Wartezeiten für medizinische Behandlungen sind lang, die Kliniken sind unterbesetzt, und es mangelt an allem – vom Bettzeug bis zu den Medikamenten. Antibiotika sind Mangelware, für einfache Kubaner ist nicht einmal Aspirin zu haben.

Die Ärzte werden so mies bezahlt, dass Bestechung an der Tagesordnung ist. Die Gebäude zerbröseln, die Hygiene ist schlecht, OP-Räume werden nicht desinfiziert. Um aus einem Bericht des Institute for War and Peace Reporting zu zitieren: „Some bathrooms have no toilets or sinks, and the water supply is erratic. Bat droppings, cockroaches, mosquitos and mice are all in evidence.“

 

Cholera auf Kuba

Wie es tatsächlich um die Gesundheit der Kubaner steht, ist kaum einzuschätzen, da das Regime keine verlässlichen Daten dazu herausgibt. Doch unter dem Schutz der Anonymität sprechen kubanische Ärzte von Dengue- und Cholera-Epidemien, die bereits Tote gefordert haben. Auch Tuberkulose, Typhus und selbst Lepra sollen sich wieder ausbreiten.

Und während kubanische Kliniken unter Personalmangel leiden, schickt das Regime viele der tatsächlich gut ausgebildeten Ärzte ins Ausland, um Prestige und Geld einzusammeln. Mehr als 50.000 Kubaner arbeiten in der Gesundheitsversorgung von 68 Ländern und bringen so 2,5 Milliarden US-Dollar ins Land, während kranke Kubaner zu Hause Monate auf eine Operation warten müssen.

Noch immer haben Kubaner eine für die Region sehr hohe Lebenserwartung. Das hatten sie aber auch schon 1959, bevor Castro die Macht übernahm. Tatsächlich ist Kuba auf diesem Gebiet gegenüber anderen Staaten Latein- und Südamerikas, wie etwa Costa Rica und Chile, zurückgefallen. 1957 hatte Kuba mehr Ärzte und Pfleger als Großbritannien und eine niedrigere Kindersterblichkeit als Westdeutschland und Frankreich. Den heutigen Entwicklungsstand Kubas vergleicht der den US-Demokraten nahestehende Wirtschaftswissenschaftler J. Bradford DeLong hingegen mit dem Niveau Tunesiens.

 

Niedrige Kindersterblichkeit?

Und selbst die niedrige Kindersterblichkeit macht misstrauisch. Denn gleichzeitig ist die Rate bei den Schwangerschaftsabbrüchen extrem hoch. Nicht einmal jede zweite Schwangerschaft führt zu einer Geburt. Da das Regime die Kindersterblichkeit als Indikator für den Entwicklungsstand sehr ernst nimmt und Schwangere in Kuba medizinisch eng überwacht werden, gibt es Spekulationen, dass beides zusammenhängt: Schwierige Schwangerschaften werden abgebrochen, bevor sie zu toten Kindern führen könnten.

Tatsächlich ist die Gesundheitsversorgung in Kuba kostenlos – wie sich das für eine ordentliche sozialistische Diktatur gehört. Zumindest das ist kein Mythos. Armut und Mangel großzügig zu verteilen, ist eben einfach. Aber ein Vorbild für die Welt? Was die WHO-Generalsekretärin allen Menschen auf der Erde wünscht, kann man bei genauerem Hinsehen fast als Drohung verstehen.

 

[hr gap=“3″]

Bio bedeutet ungespritzt. Kernreaktoren können explodieren. Kuba hat ein vorbildliches Gesundheitssystem. In unregelmäßigen Abständen begibt sich Johannes Kaufmann hier auf Mythenjagd. Themenvorschläge werden gern entgegengenommen.

Sämtliche Mythenjagd-Beiträge finden sich hier.