Ob bürokratisch, umgangssprachlich oder einfach falsch – es gibt Wörter und Redewendungen, die es nicht geben darf. Im Lexikon der schlimmen Sprache werden sie gesammelt. Und danach hoffentlich für immer vergessen. Diesmal: Gegenüber.

DAS LEXIKON DER SCHLIMMEN SPRACHE

In diesem Land ist viel Aufregung. Meist lohnt sie nicht. Besser, sich über etwas zu echauffieren, das die Mühe wert und doch harmlos ist: verbrecherischen Sprachgebrauch. Inklusive Urteilsbegründung und Strafmaß.

FOLGE 7

Gegenüber

BEGRÜNDUNG

Es gibt Wörter, die mehrfach verwendet werden können und vielleicht auch deshalb irgendwann außer Kontrolle geraten. Ein Beispiel dafür ist „gegenüber“. Die Hauptbedeutung des Adverbs sowie der Präposition ist räumlich. Beispielsatz: „Ich wohne gegenüber der Palme.“ Eine zweite Bedeutung der Präposition ist vergleichend. „Deine Palme ist gegenüber meiner grüner.“ Die dritte Bedeutung stellt eine Beziehung zu einer Person oder Sache her. „Dir gegenüber würde ich nie sagen, dass deine Palme grüner ist.“

Wer diese drei willkürlichen Sätze laut liest, wird feststellen, dass zwei davon geschwollen klingen. Das liegt daran, dass man auf „gegenüber“ – wie auf jede Schwellung – gut verzichten kann. Es gibt kürzere und elegantere Möglichkeiten, Vergleiche und Beziehungen auszudrücken. Etwa so: „Deine Palme ist grüner als meine“ und „Dir würde ich nie sagen, dass deine Palme grüner ist“.

Umso ärgerlicher ist es, dass ausgerechnet im Journalismus, dem schlanke, einfache Formulierungen heilig sein sollten, unablässig gegenübert wird. Da sprechen Manager „gegenüber Welt.de“ statt „mit Welt.de“, da sagen Politiker etwas „gegenüber der Süddeutschen Zeitung“ statt „der Süddeutschen Zeitung“ – und man fragt sich, was gegenüber der Süddeutschen Zeitung wohl sein mag, dass es extra betont werden muss. Ich habe es bei Google Maps recherchiert. Je nachdem, wo man aus dem Fenster guckt, ist „gegenüber der Süddeutschen Zeitung“ entweder die Druckerei oder Heidelberger Beton. Keine Palme.

Es gibt Redaktionen, in denen das dämlich geschwollene „gegenüber unserer Zeitung“ zu Recht auf dem Index steht. In viel zu vielen anderen Redaktionen jedoch gehört es dazu. Es gilt manchen offenbar als vornehm. Zumindest ist es den für die Texte zuständigen Redakteuren zu oft schlicht egal. Und so verselbständigt sich das Wort. Verwirrte Nicht-Muttersprachler zitieren als Folge aus einem „Interview gegenüber der Süddeutschen Zeitung“. Man fragt sich: Wurde das Interview auch „mit“ der Zeitung geführt oder nur „gegenüber“, also bei Heidelberger Beton? Gegenüber Bild.de wird neuerdings nicht mehr nur gesprochen, sondern auch geschmunzelt. Es wird sogar von Handballern „gegenüber Handball-WM“ gezweifelt statt „an der“ Handball-WM. Dabei sollte gerade im Boulevard gelten, dass man so schreibt, wie der Leser spricht. Wer bitte sagt: „Ich habe Zweifel gegenüber der Handball-WM“?

Eben. Wie so oft gilt auch hier: weglassen, einfach weglassen. Und schon wird’s schön.

HERKUNFT

Gegenüber ist als Adverb eindeutig räumlich und als Präposition mehrdeutig zu nutzen. Wer Liebe für Sprache empfindet, nutzt gegenüber jedoch ausschließlich räumlich. Wer Liebe gegenüber Sprache empfindet, der täuscht sich in seinen Gefühlen.

STRAFE*

20 Peitschenhiebe.

* Dr. Deutsch schlägt für das Verwenden schlimmer Wörter jeweils eine Körperstrafe vor. Sie ist an „Asterix bei den Schweizern“ angelehnt dreistufig: Fünf Stockhiebe, 20 Peitschenhiebe oder „In den See, mit einem Gewicht an den Füßen“. Dieser Vorschlag ist ein Scherz. Niemand muss sich darüber aufregen.

IM NAMEN DES VOLKES

Welches Wort hassen Sie? Welche Floskel macht Sie krank? Vorschläge werden jederzeit gern entgegengenommen.

ALLE WEITEREN FOLGEN DES LEXIKONS

Reden, wir müssen

Sohnemann

Gehangen statt gehängt

Räumlichkeit

Die Menschen da abholen, wie sie stehen

Abtanzen, abfeiern, ablachen

Das pädagogische Wir

Vater Staat und Mutter Natur

US-Administration