Es ist ein offenes Geheimnis: Alle Redaktionen haben Nachrufe für die Großen der Welt in der Schublade. Wir natürlich auch. Wir allerdings veröffentlichen unsere Abschiedsworte vorab, damit sich schon die Lebenden an unserem Lob erfreuen können. Denn für Nachrufe gilt: Über Tote redet man nicht schlecht. Folge 4: Papst Franziskus.

Der Heilige Vater hat seine Vollendung erreicht. Mit Papst Franziskus verliert die deutsche Presse eines ihrer wichtigsten Selbstbestätigungsorgane und die Welt einen Menschen, der immer auf der Seite des Friedens stand. Egal, was andere dafür opfern mussten.

Das Aufopfern für andere war überhaupt der leitende Gedanke seines Pontifikats. Papst Franziskus war wie kein anderer ein Papst für die Armen und Schwachen. Vor gefüllten Töpfen aß er trocken Brot, und in goldene Zimmer ließ er sich eine harte Pritsche stellen, denn das freiwillige Ablehnen dargebotener Bequemlichkeit ist die harte Lebensrealität der Ärmsten der Armen auf der ganzen Welt.

So demütig war er gar, auch noch die Niedersten der Niedrigen mit offenen Armen zu empfangen: Ob Putin, Assad oder Fidel Castro, sie alle kamen in den Genuss seiner höchsten Ehren und liebevoller Worte. Im scharfen Kontrast hierzu steht die Verachtung des Gerechten für die Geißeln dieser Welt: Die Durchschnittskatholiken in Industrienationen und „die Industrie“. Er weiß genau, mit wem er es zu tun hat und spricht gern und viel vom Teufel, der ihm fast überall begegnet, wo Menschen nicht seiner Meinung sind.

Trotz solch strenger Mahnungen war seine Botschaft eine der Hoffnung: Ob er junge Menschen ermutigte, als Unternehmer ihr Land zu verbessern: „diese Wirtschaft tötet“, Hoffnung für die zukünftige Zusammenarbeit der internationalen Staatengemeinschaft zum Ausdruck brachte: „Warum wollen so viele Regierenden nicht den Frieden? Weil sie vom Krieg leben!“, oder eine zuversichtliche und realistische Einschätzung zur Lage der Welt abgab: „Aber wenn die ganze Welt, so wie heute, im Krieg ist – die ganze Welt! – […], dann gibt es keine Rechtfertigung. Und Gott weint.“.

Er wäre ein guter Pressesprecher gewesen

Besonders westliche Medien liebten ihn dafür. Nichts befriedigte sie mehr, als vom Demutsriesen im Vatikan den Spiegel genauso vorgehalten zu bekommen, wie sie es gerne hatten: Kompatibel mit ihren eigenen Dekadenzklagen.

Papst Franziskus war der König des folgenlosen Publicity Coups: Wenn er die Welt etwa mit der liberalen Ansicht überraschte, dass auch Frauen und Homosexuelle von Gott geliebte Menschen seien, waren ihm seitens besonders konservativer Katholiken Hass, von nicht- oder liberalkatholischen Kommentatoren hingegen Lobeshymnen sicher – und die wechselseitige Beschimpfung der beiden Lager hielt seinen Namen zuverlässig lange an der medialen Oberfläche. Oft geschah das mitunter ohne, dass sich daraus für die Gläubigen die geringste Änderung ergeben hätte.

Solche und ähnliche Stunts zeigten uns immer wieder, dass Papst Franziskus mitnichten der Einfaltspinsel war, für den er sich ausgab, sondern ein brillanter Taktiker, der das Getöse seiner Sympathisanten und Gegner gewieft zu seinen Gunsten ausspielte und dabei stets das Lächeln eines leicht senilen Großvaters auf den Lippen trug. Man könnte fast den Eindruck erlangen, er begab sich auf das Niveau, das er seinen Gegnern unterstellte und ließ sich von ihnen dafür feiern.

Die Schattenseite des Papstes

Darüber verpasste man die leisen Töne des Franziskus. Wer sich tatsächlich die Mühe machte, seine Ansprachen auf der Seite des Vatikans zu lesen, war erstaunt, wie feinfühlig Franziskus werden konnte, sobald seine Äußerungen den deutschen Medien für eine Berichterstattung zu differenziert erschienen. Etwa als er peruanische Waisenkinder zu Bildung und Fleiß ermutigte, weil sie damit ein besseres Leben erlangen könnten. Als er die Seelennot von Katholikinnen anerkannte, die sich für eine Abtreibung entschieden hatten. Oder als er das Internet als machtvolles Werkzeug nicht nur für, sondern auch gegen den Menschenhandel bezeichnete.

Auch die wohl größte seiner Leistungen werden Sie in kaum einem Nachruf lesen. In seiner Enzyklika Laudato Si, ansonsten ein Werk von großartiger Belanglosigkeit, bricht er mit einem konservativen Vorurteil seiner Vorgänger und gibt der Gentechnik im Zusammenhang mit Nutzpflanzen und Tieren seinen Segen. Seine Begründung spiegelt still und unaufgeregt das wieder, was er sonst in die Welt hinaustrompetet: Menschlichkeit, Demut und Mitgefühl. Ihm erscheine jede Technologie gut und gottgewollt, die Menschenleben retten könne und er habe Achtung vor der Kreativität der Wissenschaftler. Dass sein Ansehen in den deutschsprachigen Medien dadurch keinen Schaden genommen hat, dürfte bereits als Wunder für den kommenden Heiligsprechungsprozess zählen.

 


Damit sich schon die Lebenden an unserem Lob erfreuen können, veröffentlichen wir unsere Nachrufe ante mortem. Sämtliche Nachrufe können hier nachgelesen werden.