Warum man die Idee, dass es zu einer Republik gehört, die Leute zu bewaffnen, sympathisch finden kann – und trotzdem für Einschränkungen beim Waffenbesitz plädieren sollte.

Ich gestehe: Das Herumballern mit scharfer Munition macht mir Spaß.

Es ist jetzt schon viele Jahre her, seit mein Bruder – der in Minnesota lebt, verschiedene Gewehre und Handfeuerwaffen zuhause in seinen Safes hat und seit Jahren die Demokraten wählt – mich zum ersten Mal auf einen Schießplatz mitnahm. Ich erinnere mich noch an das bleischwere Gefühl der Verantwortung, das mich überkam, als ich seine geladene Glock in die Hand nahm; an den scharfen Schrecken, den der Rückstoß in mir auslöste, als ich den Abzug durchdrückte; an die Euphorie, als es mir gelang, jenen ersten Schreck zu überwinden. Ob ich jemals mit einer Waffe auf einen Menschen schießen könnte, weiß ich nicht. Wenn ich das Gefühl hätte, ich müsste einen Mörder töten, der mein Kind umbringen will, wahrscheinlich schon.

Ich gestehe: Die Idee, dass es zu einer Republik gehört, die Leute zu bewaffnen, ist mir sympathisch.

Übrigens ist dies ursprünglich keine rechte, sondern eine linke Idee. Siehe etwa Schiller, Friedrich: „Wilhelm Tell“, dritter Aufzug, erste Szene. Hedwig: „Die Knaben fangen zeitig an zu schießen.“ Tell: „Früh übt sich, was ein Meister werden will.“ Hedwig: „Ach, wollte Gott, sie lerntens nie!“ Tell: „Sie sollen alles lernen. Wer durchs Leben / Sich frisch will schlagen, muss zu Schutz und Trutz / Gerüstet sein.“ James Harrington, der mit seiner Utopie „Oceania“ eine Art Gegen-Buch zu Thomas Hobbes´ „Leviathan“ schrieb, pries das Ideal des freien Bürgers, der sich – wie im Stadtstaat Florenz – selber das Schwert umgürtet, statt seine Verteidigung an die Söldnerheere der Fürsten zu delegieren. Marx und Engels waren gegen stehende Heere; sie wollten statt dessen die Volksbewaffnung. Ich atme jedesmal auf, wenn ich in Israel den ersten Soldaten oder die erste Soldatin sehe, der oder die seine Knarre lässig um die Schulter geschlungen trägt.

Politische oder religiöse Extremisten jeglicher Couleur

Gleichzeitig bin ich empört, dass hier in den Vereinigten Staaten die Reaktion des Gesetzgebers auf jede Massenschießerei bisher noch immer war, die Waffengesetze zu lockern. (Jawohl: sie zu lockern! Irre, nicht wahr?)

Ich bin empört, dass es – anders als in Israel und der Schweiz – keine „background checks“ gibt; dass von Leuten, die sich eine Waffe besorgen wollen, nicht verlangt wird, erst einmal den Umgang mit dieser Metallbeförderungsmaschine zu üben; dass Waffen nicht in einem Zentralregister erfasst werden; dass Leute, die ihre Waffen offen herumliegen lassen, nicht rechtlich belangt werden, wenn jemand ihre Pistole entwendet und damit eine Straftat verübt. Ich bin empört, dass die Diskussion sich hier binnen kurzem immer sofort darum dreht, welche Art von Waffe möglicherweise – und dann wieder doch nicht – verboten werden soll; es gibt gewisse Leute, die würde ich nicht mal mit einem Schweizer Taschenmesser herumlaufen lassen, zum Beispiel politische oder religiöse Extremisten jeglicher Couleur.

Nebenbei bemerkt: Ich bin außerdem wütend, dass es in der öffentlichen Diskussion bei uns in Amerika keine Rolle spielt, dass der Massenmörder von Florida (möge sein Name ausgelöscht sein) ein junger Nazi ist – und dass ein Drittel der Schüler an jener Schule, die er sich für sein Massaker ausgesucht hat, Juden sind. Warum nennt kein Schwein dies einen Terroranschlag?

Bananrepublikanischen Politikern eine Ohrfeige verpassen

Der einzige Lichtblick für mich sind die 16- und 17-jährigen Schülerinnen und Schüler, die jetzt – mit einer Disziplin und rhetorischen Ausdrucksfähigkeit, für die man sie nur bewundern kann – angefangen haben, Demonstrationen zu organisieren.

Ich schieße gern (zum Spaß, auf Schießständen), und ich habe eine gewisse Grundsympathie für das Ideal einer bewaffneten Republik. Aber ich bin nicht durchgeknallt wie jene Leute, für die eine Waffe ein Ausweis ihrer Männlichkeit ist. Und ich verachte, was aus der „National Rifle´s Association“ geworden ist: Anfangs war dies eine Organisation von Veteranen der Nordstaaten, die ihre Mitbürger nach dem Bürgerkrieg den verantwortungsvollen Umgang mit Waffen lehren wollten. In den Dreißigerjahren war die NRA ausdrücklich für Einschränkungen des Waffenrechts – damals ging es darum, den Gangstern die Maschinengewehre aus der Hand zu nehmen.

Heute geht es darum, bananrepublikanischen Politikern eine schallende Ohrfeige zu verpassen, die den Hinterbliebenen der Opfer nichts anzubieten haben als „thoughts and prayers“, fromme Gedanken und Gebete. Schon sind russische „bots“ unterwegs, um Anhänger vernünftiger Einschränkungen des Waffenrechts nach allen Regeln der Verleumdungskunst als Feinde der Freiheit zu brandmarken: Dies verschärft die Gegensätze innerhalb der amerikanischen Gesellschaft, und wenn noch mehr amerikanische Schulkinder dabei draufgehen, ist es dem russische Regime offenbar auch recht.

Ich hoffe unterdessen, dass die wunderbaren Schülerinnen und Schüler sich nicht ins Bockshorn jagen lassen, sondern mit Wut und Traurigkeit und Klarsicht weiterdemonstrieren. (Eine Großdemonstration ist für den 24. März angekündigt.) Und ich finde den Gedanken beruhigend, dass diese jungen Leute in zwei Jahren das Wahlrecht haben werden.