Die USA haben Ann Coulter, Russland hat Maria Sacharowa, Deutschland hat Birgit Kelle. Das sagt eigentlich alles.

Jahrelang galt das Ehepaar Kelle als Garant für ein streng konservatives Rollenmodell in der Geschlechtergeometrie mit gusseisernen Ansichten über die Ehe, die Fortpflanzung und all den neumodischen Genderkram, das es in ausufernder Kolumnentätigkeit einem ebenso enthusiastischen wie intellektfeindlichen Anhängerkreis offenbarte. Er, Klaus Kelle, ein Mann mit dem gediegenen Charisma eines Versicherungsmaklers, ehemals leitender Redakteur in diversen Medienanstalten mit Gastkolumnen vom Bayernkurier über Kath.net bis hin zu Welt am Sonntag. Sie, Birgit Kelle, das lustige Mädel aus dem Deutsch-Rumänischen, das auf manchen Fotos so aussieht, als wäre die Zeit um ein paar Jahrzehnte zurückgedreht worden. Und das in seinen Kolumnen, etwa beim The European, deutsche Werte verkörpert, die man offensichtlich nur noch in Siebenbürgen findet. Dann gibt es noch vier Kinder. Von ihnen sind bislang keine Kolumnen bekannt.

Die Arbeitsteilung zwischen den Kelles nimmt zum Teil skurrile Ausmaße an – wenn etwa Klaus Kelle über seine Frau schreibt, als handle es sich um eine entfernt stehende Person. Das liest sich dann so: „Melania Trump ist die erste emanzipierte First Lady in der Geschichte der USA, behauptete damals die großartige Autorin Birgit Kelle in einem Essay in Der Welt. Ich finde, da hat sie mal wieder absolut recht.“ Es ist anzunehmen, dass sich Birgit Kelle in Ihrer eigenen Kolumne für diese hochsubtile und emanzipierte Liebeserklärung revanchieren wird. Man stelle sich vor, die Kelles sitzen in ihrem Haus, jeder in seinem eigenen Arbeitszimmer, und schicken sich gegenseitig kleine Neckereien über ihre Kolumnen – amüsant!

Zwischen G.I. Jane und Ninja-Turtle

Aber vielleicht ist ja Klaus Kelle seine Frau tatsächlich ein wenig fremd geworden, denn intimen Kennern des Kelleschen Kolumnenwesens dürfte eine erstaunliche Wandlung aufgefallen sein. Plötzlich mischen sich feministische Untertöne in das schöpferische Schaffen von Birgit Kelle – und das nicht nur bei Melania Trump. Ist das noch unsere Birgit Kelle, mag sich der eine oder andere Siebenbürger Sachse gefragt haben. Und auch auf den Fotos tritt uns eine veränderte Kelle entgegen: Statt einer Bewerbung für die Kontaktanzeigen im Heimatboten tritt uns nun auf dem Buchtitel zu ihrer neuen Streitschrift „Muttertier“ eine optisch verjüngte Amazone entgegen, mit Vamp-Filter vor dem Objektiv und wehenden Strähnen von der Windmaschine. Leider bleibt das Ergebnis ein wenig hinter der erklärten Absicht zurück – irgendwo zwischen G.I. Jane und Ninja-Turtle. Kelle bleibt halt Kelle!

Ihre Fans können daher auch beruhigt sein: Der neue „feminine“ Feminismus von Birgit Kelle, den sie wie ein Bekennerschreiben zur Neuerscheinung ihres Buch veröffentlicht – Textprobe: „Wir sind die wahre Avantgarde, ohne uns kein Leben, wir sind die Muttertiere. Wir hüten die Brut, wir verteidigen sie wie Löwinnen. Wir geben ihr Wurzeln und Flügel. Wir lieben sie. Es ist nicht rational, es ist.“ – ist abseits der mutterkreuzkompatiblen Kreißsaal-Prosa eine ranzige Neuauflage des Dressierten Manns, mit dem Mitte der 70er die argentinische Schriftstellerin Esther Vilar durch deutsche Talkshows tingelte. Und wenn Kelle tatsächlich mal ihre Stimme gegen die Unterdrückung der Frau erhebt, kann man unter Garantie davon ausgehen, dass es das Thema „Islam“ ist. So auch bei ihrem neuesten Coup!

Muttertier an der Facebook-Front

Was war geschehen: Die amerikanische Spielzeugfirma Mattel hatte offensichtlich auf Drängen einer jüngeren weiblichen Kundschaft aus dem muslimischen Kulturkreis eine Hidschab-Barbie auf den Markt gebracht. Ein Ereignis, das vermutlich an weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit unbemerkt vorübergegangen wäre, hätte sich nicht Kelle auf Facebook wie ein Muttertier in die Schlacht geworfen. Wen interessiert schon, wie ein Spielzeughersteller seine Puppen anzieht – außer er ist weiblich und unter zwölf. Alles, was über Barbie Tiefschürfendes gesagt werden muss, hat schon John Lasseter in Toy Story 3 erledigt. Doch mit Kelle erfahren wir plötzlich, welch grausames Spiel Mattel treibt.

Mit einem kämpferischen Pathos, das an die Kanonen von Navarone erinnert, polemisiert sie gegen die „Kopftuch-Barbie“, als gelte es, das heimische Kinderzimmer vor den IS-Horden zu schützen. Und unterschlägt dabei, dass das Vorbild die amerikanische Säbelfechterin Ibtihaj Muhammad ist – und damit eher ein Beispiel für ein emanzipiertes Rollenmodell im Islam. Der Kelle-Erguss im Wortlaut: „Toll. Und jetzt noch das Barbie-Spielhaus, um lustig nachzustellen, wie Ken seine Barbie auspeitschen oder steinigen lässt, weil sie den Hidschab abgelegt hat. Frauenunterdrückung ist kein Spielplatz @Mattel.“

Ikone auf Barbie-Format

Die Strafe folgte auf dem Fuße: Facebook, eine Macht die stärker ist als das Kelle-Imperium, verbannte das Muttertier für sieben Tage von seinen Seiten – die Sperre wurde dann allerdings nach 24 Stunden wieder aufgehoben. Doch statt jetzt mal die Klappe zu halten und über den eigenen Unsinn nachzudenken, legte Kelle noch mal nach: In Ihrer Welt-Kolumne stilisierte sie sich zur Ikone des Widerstands – auf Barbie-Format: „Bis gestern schmückten mich nur Titel wie „Antifeministin“, „Rechte“, „Homophobe“ und „Rassistin“ oder auch „Katholiban“, gerne auch in der Kombination „rechte Antifeministin“, „homophobe Rechte“ und – das ist neuerdings Höchststrafe im Land – „erzkonservative Katholikin“. Sehen Sie im Hintergrund auch schon den Scheiterhaufen brennen? Seit gestern weiß ich es besser, ich bin jetzt auch islamfeindliche Hetzerin. Danke!“

Nun kann man nicht gänzlich ausschließen, dass bei Facebook ein Penalty-Editor saß, der mit Turban auf dem Kopf und Messer zwischen den Zähnen Birgit Kelle an den geföhnten Skalp wollte, doch sehr wahrscheinlich ist es nicht. Viel eher dürfte es sich um eine automatisch induzierte Sperre gehandelt haben, nachdem die Facebook-Algos nach einer fatalen Verkettung unglücklicher Keywords Alarm schlugen: „Spielhaus“, „Ken“, „Barbie“, „Auspeitschen“, „Steinigen“ …

Veritables Shitstürmchen

Doch in der rechten Blogosphäre löste die Causa Kelle wie zuvor schon bei retuschierten Kreuzen auf griechischem Schafskäse ein veritables Shitstürmchen aus – mit erheblichen Kollateralschäden in den Trivialzonen der äußeren Gehirnrinde. Manche vermuteten einen organisierten Gegenschlag des politischen Islams, der über massenhaftes Drücken der Meldetaste den Social Media Konzern unter Druck setzte. Andere sahen in der Sperre einen weiteren Beweis für die „Meinungsdikatatur in Deutschland“. Und natürlich darf auch Bettina Röhl nicht fehlen: „Sehr gut, Birgit Kelle“

Der gleichen Meinung dürfte auch Mattel sein. Dank Kelles unermüdlichem Einsatz an der Mutterfront dürfte der Vormarsch der Hidschab-Barbie in das muslimische Kinderzimmer in Deutschland als gesichert gelten.