Die Thesen von Postwachstumsökonomen wie Niko Paech üben eine große Faszination aus. Vor allem auf Menschen, die in reichen Gesellschaften leben und sich den Luxus gönnen, eine Verzichtsethik zu predigen, von der sie ahnen, dass sie nie Wirklichkeit wird.

Paul ist ein freundlicher Mensch und ab und an unterhalten wir uns am Tresen einer der netten Kneipen Bochums oder diskutieren ein wenig auf Facebook miteinander. Paul macht Musik, arbeitet als Theaterkritiker und hat einen Vollbart. Ich mag Paul, er ist ein netter Kerl und ein angenehmer Gesprächspartner. Eines Tages kamen wir beiläufig auf das Thema Wirtschaft zu sprechen. Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu kam, wahrscheinlich hatte ich es mit irgendeinem neoliberalen Scherz provoziert. „Ich bin ja eher ein Anhänger der Postwachstumsökonomie“, sagte Paul, und das Schlimme war, dass er es ernst meinte. Noch schlimmer allerdings ist, dass es viele gibt, die so denken wie Paul. Zumeist sind es Menschen, denen es gut geht. Und die vergessen haben, warum das so ist.

Wachstumskritiker gab es schon immer, und spätestens seit der „Club of Rome“ 1972 seine Studie „Die Grenzen des Wachstums“ vorstellte, erreichte die Skepsis gegenüber dem Wachstum auch die Mitte der Gesellschaft. Mehr noch, sie eroberte die Linke, die, egal welcher Fraktion sie sich zugehörig fühlte, bis dahin vom technischen Fortschritt und vom Wachstum überzeugt war. Die Gewinne und der Besitz sollten nur anders verteilt werden. Die Skepsis gegenüber dem Wachstum speiste sich jedoch nicht nur aus den apokalyptischen und weitgehend ausgebliebenen Visionen des Club of Rome. Die erste Ölkrise von 1973, 1979/80 sollte es eine zweite geben, brachte in Deutschland das Ende der Vollbeschäftigung, einen Rückgang des Wachstums und steigende Inflation. Der lange, fast ein Vierteljahrhundert dauernde Nachkriegsboom war zu Ende gegangen.

Wachstum jenseits der Grenzen des Wachstums

Das Wachstum jedoch nicht. Auch wenn seit mehr als 40 Jahren die Skepsis gegenüber dem Wirtschaftswachstum ungebrochen ist, hat dies das Bruttoinlandsprodukt Deutschland nicht davon abgehalten, zwischen 1973 und 2015 von knapp unter 300 Milliarden US-Dollar auf über 3,3 Billionen US-Dollar zu steigen. Wem das zu abstrakt ist, der kann sich wahlweise an die frühen siebziger Jahre zurückerinnern oder in den Geschichtsbüchern nachschauen. Die Zahl der angemeldeten Kraftfahrzeuge stieg im selben Zeitraum von gut 17 auf mehr als 44 Millionen, die Wohnfläche pro Kopf von 26,4 Quadratmeter (1972) auf 47 Quadratmeter. Und diese Wohnungen haben heute nahezu alle eine Heizung, ein Bad oder eine Dusche und die Außentoilette ist auch schon lange Vergangenheit – in den 70er Jahren war sie, vor allem in Altbauten, nicht unüblich. Aber auch wenn man mal das Materielle beiseite lässt, kann sich die Entwicklung in Deutschland seit den 70er Jahren sehen lassen. In Ost und West machten 1972 15 Prozent der Schüler Abitur, 2015 waren es 51 Prozent.

Dass sich die Wachstumsskepsis in Deutschland einer so großen Beliebtheit erfreut, ist kaum nachzuvollziehen. Wie kaum ein anderes Land hat es von den Entwicklungen seit Ende des Zweiten Weltkriegs profitiert. Die Einbindung in den Westen und Europa brachte eine lange Friedensperiode, der immer freiere Handel führte zu mehr Wohlstand vor allem durch eine leistungsfähige Exportwirtschaft, und die immer weiter voranschreitende Öffnung der Grenzen sorgte dafür, dass das Land deutlich internationaler und offener wurde.

Auch global gesehen gibt es keinen Grund zur Panik. Das Projekt „Our World in Data“ hat sich angeschaut, wie sich die Welt und das Leben der Menschen in den vergangenen 200 Jahren entwickelt hat. 200 Jahre Aufklärung, Demokratisierung, Kapitalismus und Industrialisierung haben sich offenbar ausgezahlt: Lebten vor 200 Jahren noch 94 von 100 Menschen weltweit in extremer Armut, sind es heute nur noch 10. Mehr als die Hälfte der Menschen lebt heute in eher demokratischen Staaten – vor 200 Jahren tat das nur einer von 100. Vor 200 Jahren hatten 83 Prozent der Menschen keinerlei Zugang zu Bildung, heute können 85 Prozent der Weltbevölkerung lesen. Wurden vor 200 Jahren 43 von 100 Kindern keine fünf Jahre alt, sterben heute nur noch vier von 100 Kindern vor ihrem fünften Lebensjahr. Sicher, da ist noch Luft nach oben, vieles wird sich noch verbessern lassen, aber wir sind als Menschheit weltweit auf einem guten Weg.

Postwachstumsökonomie ist eine nationalistische Idee

Ob bei Niko Paech oder Harald Welzer: Die Visionen der Postwachstumsökonomen sind national. Sie streben – und das ist eigentlich erstaunlich bei Autoren, die vorgeben, ökologisch zu denken, was natürlich nur in globalen Maßstäben geht – ein grünes Deutschland an. Dem Rest der Welt ist es zwar anheimgestellt, am grünen, deutschen Wesen zu genesen, aber die ökologische Katharsis ist zunächst einmal eine nationale. In seinem Bestseller „Selbst denken“ entwirft Welzer das Bild eines neuen, grünen Deutschlands: Es wird weniger gearbeitet, man tapeziert sich bei Bedarf gegenseitig die Wohnzimmer und auf den ehemaligen Straßen und Kreuzungen stehen Bühnen, Zelte und Speaker’s Corner. Deutschland ist seinen eigenen Weg gegangen. „Die Glücksindizes messen für Deutschland kontinuierlich ansteigende Werte, anders als im Rest der Welt, der in einer Mischung aus Bewunderung und Entgeisterung auf dieses Land schaut. Ausgerechnet die Deutschen gelten heute als die entspanntesten Menschen; die Chinesen halten sie für stinkfaul und die G20 für nicht integrationsfähig. Deutschland wird nicht mehr zu den Gipfeln eingeladen. ‚Kann passieren‘, sagt die Kanzlerin. ‚Ich halte das sowieso für keine demokratische Veranstaltung.'“

Davon ab, dass Welzers Deutschland alleine deshalb nicht zu den G20-Gipfeln eingeladen werden würde, weil es schlicht nicht mehr zu den 20 wirtschaftlich führenden Staaten gehören würde, wundert es doch, dass ausgerechnet Welzer seine Kanzlerin des Jahres 2033, sie wird wohl nicht Merkel heißen, mangelnde Demokratie beklagen lässt. Denn in seinem Buch setzt Welzer auf eine kleine Elite, eine Avantgarde von drei bis fünf Prozent an Unternehmern und Politikern, die ausreichen würde, den von ihm angestrebten und natürlich für zwingend notwendig gehaltenen Wandel in Gang zu setzen. Mit so etwas Banalem wie der Frage, ob die anderen 95 Prozent überhaupt Lust hätten, den Tag werkelnd und in Dauerdiskussionen in „Mikrogenossenschaften“ zu verbringen, hält sich der gut frisierte Vordenker nicht auf.

Auch Paech setzt auf nationale und regionale Lösungen. Welthandel ist ihm ein Graus. Der Mensch lebt und nährt sich vor allem auf seiner Scholle. „Zusätzlich könnte eine verstärkte Gemeinschaftsnutzung dafür sorgen, dass eine verringerte Anzahl an Gebrauchsgegenständen den Bedarf möglichst vieler Menschen befriedigt. (…) Ergänzend dazu ließe sich die oben angesprochene Sesshaftigkeit auch als ökonomisches Konzept verankern, in dem Güterversorgung vorrangig lokal und regional erfolgt.“

Wanderprediger in grünen Ortsverbänden

Auch der Austausch von Ideen ist für ihn etwas Negatives. In der Zeit schreibt Paech: „Kulturen, die an traditionellen, zumal religiösen Maßstäben ausgerichtet sind, verlieren jeden Schutz davor, ihren Modernisierungsrückstand vorgeführt zu bekommen. Der Kulturvergleich, dem in Afrika, Asien und Lateinamerika infolge billiger Smartphones und Flugreisen niemand mehr zu entgehen vermag, pulverisiert stabile Orientierungen. Was vormals sinnstiftend und materiell hinreichend war, wird entwertet und fühlt sich jetzt nur noch vormodern, ärmlich oder gar unmenschlich an.“

Paech ist damit nicht weit entfernt vom rechtsradikalen Konzept des Ethnopluralismus, das sich gegen die Idee der allgemeinen Menschenrechte stellt, die im Zuge der Aufklärung entstanden. Er würde sich gut machen als Prediger eines ökologischen Nationalsozialismus im Geiste Walther Darrés, dem nationalsozialistischen Agrarpolitiker, der zeitweise Minister für Ernährung und Landwirtschaft und im Rasse- und Siedlungshauptamt tätig war und sich für eine Rückkehr zu den Verhältnissen vor der industriellen Revolution aussprach. Paechs Denken steht in der Tradition von Darré. Paech ist kein Exot, er tingelt durch die grünen Ortsverbände der Republik und sein Buch „Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“ ist wie Welzers Buch „Selbst Denken“ ein Bestseller.

Welzer und Paech argumentieren apokalyptisch. Auch wenn ihre Ansätze in erster Linie national sind und den Willen zur Entwicklung der Bevölkerung ganzer Kontinente mit Milliarden Menschen ausblenden. Für sie ist die Postwachstumsökonomie die einzige Alternative zum ökologischen Ruin des Planeten. Diese Argumentation funktioniert in ihrer Schlichtheit, weil sie so tun, als wäre die Zukunft nicht mehr als die weiter gerechnete Gegenwart. Nun ist es eine unangenehme Eigenschaft der Zukunft zwar, dass niemand weiß, wie sie aussehen wird – aber es ist wahrscheinlich, dass wir auch in den kommenden Jahrzehnten technologische Fortschritte erleben werden, die viele unserer heutigen Probleme mildern oder lösen werden.

Menschenverachtendes Denken

Die Technologie- und Fortschrittsfeindlichkeit von Welzer und vor allem Paech hat zudem eine menschenverachtende Seite. Nicht zu viel Technologie und zu viel Wirtschaftswachstum verursachen die großen Probleme und das Leid vieler Menschen in Afrika, Süd- und Mittelamerika sowie in Teilen Asiens. Eine Mischung aus schwachen Wirtschaften, zutiefst ungerechten Welthandelsbeziehungen – etwa die Exportsubventionen Europas für Nahrungsmittel –  ein Mangel an Demokratie, das Fehlen einer  Zivilgesellschaft und kein Zugriff auf moderne Technologien verursachen in der Dritten Welt Elend und Armut. Viele Wälder Afrikas könnten noch stehen, wenn die Menschen dort nicht gezwungen wären, ihre Energie aus Holz zu gewinnen, sondern Strom aus dezentralen Solaranlagen mit angeschlossenen Akkus selbst gewinnen könnten. Hätten Menschen auch nach Einbruch der Dunkelheit Licht, könnten sie aktiver leben, auch abends noch lernen und lesen; wären sie online, stünden ihnen nahezu unendliche Informationsmöglichkeiten zur Verfügung. Der Einsatz von modernem Saatgut, als Beispiel sei der genetisch veränderte „Goldene Reis“ genannt, würde Ernten verbessern und vielen das Leben retten.

Allein der Zugriff auf Energie, Informationen und ausreichende Lebensmittel würde das Leben von Milliarden Menschen weiter deutlich verbessern und nebenbei die Umwelt schonen. All dies würde nicht nur ihre Existenz sichern, sondern zu ihrer Emanzipation beitragen, ja, ihnen erst die Möglichkeit geben, ihre Fähigkeiten und Talente zu entwickeln. Endlich könnten afrikanische Bauerntöchter Physikerinnen und Ärztinnen werden, wenn sie es sich denn wünschen. Wer weiß, was für grandiose Dichter zur Zeit in den Slums von Rio und Bogota vor sich hinvegetieren, ohne ein Chance, ihre Talente und Leidenschaften zu leben?

Die Postwachstumsökonomie, vor allem in der Paechschen Ausprägung, negiert diese Chance des Fortschritts. Sie ist im Gegenteil eine menschenverachtende, gegen alle Ideen der Aufklärung stehende Ideologie, entstanden in jenem Sumpf, in dem völkisches- und ökologisches Denken eine grün-braune Brühe bilden. Dass sie vor allem in westlichen Großstädten Anhänger findet, und dass diese sich in der Regel eher als links beschreiben würden, zeugt von einer unvorstellbaren Mischung aus Ignoranz, Geschichtsblindheit und Naivität dieser, sich selbst zumeist für intellektuell haltenden Klientel. Oder, ganz einfach gesagt: von einem Leben im Luxus genährte Dummheit.