Nixon, Trump, Deep Throat und die Unbestechlichen
Trump will die Arbeit der Journalisten behindern. Das hat auch ein anderer Präsident vor ihm schon versucht: Richard Nixon. Es ist ihm schlecht bekommen.
Schmutzig war nicht nur der Name des Informanten, Deep Throat, nach einem populären Pornofilm, schmutzig waren vor allem die Vorgänge, über die er berichtete: die Verstrickung hochrangiger Personen aus dem Umfeld Präsident Richard Nixons in ein Verbrechen. Ein Einbruch am 17. Juni 1972 in das Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Komplex in Washington. Ein Polizist hatte bei einem Rundgang einen Klebestreifen entdeckt, der wohl das Zufallen einer Tür verhindern sollte. Die später herbeigerufene Polizei nahm fünf Einbrecher fest, die im Besitz von Abhöreinrichtungen waren, von denen einer, James McCord, ein ehemaliger CIA-Mann, Kontakte zum CRP, dem Komitee zur Wiederwahl des Präsidenten, hatte. Von James McCord, der in dem anschließenden Gerichtsverfahren zugab, einen Meineid geschworen zu haben, führten die Verbindungen zu Howard Hunt, dem Chef der „Klempnertruppe“ im Weißen Haus, und von dort zu den Stabsmitgliedern John Mitchell, „Bob“ Haldeman, John Ehrlichman und Richard Colson, der sogenannten „Palastgarde“, die später alle zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden.
Der Einbruch war nur die Spitze eines Eisbergs aus Rechtsbrüchen zur Bekämpfung der „Opposition“ – besser der Bekämpfung von dem, was das Weiße Haus unter Opposition verstand: Demokraten, Kriegsgegner und Medien. Und auch, wenn nicht bis ins Detail geklärt werden konnte, inwieweit Nixon selbst in die Vorgänge um den Einbruch eingeweiht war, führten die Vorwürfe des Amtsmissbrauchs, der Manipulation von Beweismaterial, des Missbrauchs von Regierungsbehörden, der Vertuschungs- und Behinderungsversuchen gegenüber der Justiz, die unter dem Stichwort „Watergate-Affäre“ bekannt wurden, zum ersten Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) in den USA und zum Ende der Ära Nixon.
Maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung hatten die beiden Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein von der Washington Post – und Deep Throat! Der Journalist Bob Woodward kannte Deep Throat schon länger unter dem Namen Mark Felt, ein ehrgeiziger und nicht unumstrittener Ermittler, der es bis zur Nr. 2 im FBI brachte. Er war einer der ersten, der vom Einbruch erfuhr und teilte seine Ermittlungsergebnisse Woodward mit – allerdings unter der Bedingung, dass a) sein Name nicht genannt werden würde und b) keine direkten Zitate veröffentlicht würden. Berühmt geworden sind die Treffen in der Tiefgarage aus dem oscarprämierten Film „Die Unbestechlichen“ (1976), in dem die Quelle auf die Fragen von Woodward, gespielt von Robert Redford, nur mit einsilbigen Antworten reagierte, um ihm auf diese Weise mitzuteilen, ob er auf der richtigen Spur war oder auf der falschen. Bis heute gilt die Enthüllung der beiden Post-Mitarbeiter als eine der wichtigsten Meilensteine im politischen Journalismus und begründete den Mythos der Presse als der vierten Instanz in einem demokratischen Rechtsstaat. Und die Autoren hielten Wort: 33 Jahre lang bis kurz vor dem Tod Felts schwiegen Woodward und Bernstein über ihre Quelle.
Ohne Felt wäre Deep Throat nur ein mittelmäßiger Pornostreifen
Wie wichtig diese Übereinkunft war, muss man noch einmal betonen. Denn gerade sitzt ein Mann im Weißen Haus, der die „Opposition“ – oder das, was er darunter versteht: Demokraten, Liberale, Medien – wieder mal mit allen Mitteln bekämpft. Ein Satz, der in den letzten Tagen ein wenig unterging, lässt aufhorchen. Trump äußerte sich bei einem Treffen konservativer bis rechtsradikaler Aktivisten in Washington auch zur Arbeitsweise der Journalisten: „Es sollte ihnen nicht mehr erlaubt sein, Quellen zu benutzen, wenn sie nicht den Namen von jemandem nennen.“ Das muss man sich, 45 Jahre nach Watergate, auf der Zunge zergehen lassen. Nach dieser Prämisse hätte es vielleicht die Aufdeckung der Watergate-Affäre nicht gegeben, hätte jemand wie Mark Felt nicht die Medien informiert, wäre Deep Throat nur ein mittelmäßiger Pornostreifen.
Whistleblower wie etwa Daniel Ellsberg, der 1971 die geheimen Pentagon-Papiere über den Vietnam-Krieg an die Presse spielte, waren zwar in den USA seit jeher umstritten, aber bisher hat es kein Präsident seit Nixon gewagt, jenen die Arbeit zu erschweren, die auf der Basis von Whistleblowing kritische Berichte schreiben und unangenehme Fragen stellen – den Journalisten. Denn es ist vollkommen klar, dass niemand mehr – getrieben von seinem Gewissen oder auch nur von persönlichem Frust – bei gravierenden Rechtsverstößen durch seine Vorgesetzten oder in seinem beruflichen Umfeld den Weg an die Öffentlichkeit beschreiten würde, wenn sich daraus erhebliche Nachteile für ihn selbst oder für seine Angehörigen ergeben. Wie auch umgekehrt vollkommen klar ist, dass jemand wie Trump illoyales oder auch nur unbotmäßiges Verhalten unbarmherzig verfolgen würde. Der Quellenschutz gehört somit zum unantastbaren Bestandteil der Pressefreiheit. Ohne Quellenschutz kann die Presse nicht die Aufgaben erfüllen, die ihr im Rahmen der Meinungsfreiheit als konstitutives Element der Verfassung zugewiesen sind. Und man darf die Frage stellen: Was will Präsident Donald Trump derzeit oder erst noch in Zukunft vertuschen und den Medien durch ein Verbot anonymer Quellen vorenthalten, damit diese es nicht von „illoyalen“ Mitarbeitern aus dem Weißen Haus oder den Geheimdiensten erfahren.
Nun mag man solche Befürchtungen, wie es auch der amerikanische Ex-Botschafter, John Kornblum, bei Anne Will tat, als „typisch deutschen“ Alarmismus abqualifizieren, als „Recentism“, also dem Versuch, „flüchtigen Nachrichten“ einen höheren Stellenwert zuzuweisen, als ihnen tatsächlich gebührt. Dem muss man entgegnen, dass von Flüchtigkeit derzeit keine Rede sein kann. Fast alle Ankündigungen Trumps finden sich wenig später in seinen berüchtigten Dekreten wieder, mit denen er an den parlamentarischen Gremien vorbei Fakten schafft. Und so folgte seiner Hasstirade gegen die Medien auch ziemlich schnell der zweite Akt: die Ausladung der kritischen Presse und ihrer Korrespondenten von den Briefings – von der New York Times über die L. A. Times bis hin zu Politico. Es gehört zur widersprüchlichen Natur Trumps, dass er zwar gegen die „Lügenpresse“ des Landes hetzt, aber jene Medien davon ausnimmt (und sie sogar hofiert), die wie Breitbart oder der Conspiracy-VLog von Alex Jones tagtäglich mit frei erfundenen Scoops die Öffentlichkeit belügen oder – wie es im New Speech von White House heißt – mit „alternative Facts“ versorgen. Und völlig absurd und fadenscheinig wirken Trumps beständige Anklagen gegen die Fake-News-Medien, wenn er einen Whistleblower wie Julian Assange, dem er vor Jahren noch die Todestrafe zugedachte, für seinen Podesta-Hack lobt. Wahre Nachrichten sind nur die, die dem Gegner schaden. Alles andere ist Lüge.
Wäre Donald Trump Sektenchef, stände er unter Beobachtung des Verfassungsschutzes
Der Inhalt des Begriffs „Wahrheit“ erhält damit eine neue Bedeutung, die Nützlichkeitserwägungen folgt. Eine Methode, die man schon bei Scientology kennenlernen konnte und die Sektengründer L. Ron Hubbard, ein Meister der Wortverdrehung und der Anagramme, als „redefining“ bezeichnete: Bekannte Begriffe werden mit neuen Inhalten konnotiert und damit ihrer ursprünglichen Bedeutung mehr und mehr entfremdet, was letztendlich auch zu der erwünschten Abgrenzung der neuen Sprachnutzer von ihrem alten sozialen Umfeld, von Familie, Freunden und Arbeitskollegen, führt. Man versteht sich einfach nicht mehr – und das ist buchstäblich gemeint. Wäre Donald Trump nicht der Präsident der Vereinigten Staaten, sondern der Chef einer Sekte, würde er in Deutschland längst vom Verfassungsschutz beobachtet.
Noch mehr als mit L. Ron Hubbard hat Donald Trump jedoch mit Richard Nixon zu tun. Es ist erstaunlich, wie ähnlich sich die beiden Präsidenten schon nach einem Monat Amtszeit sind:
- Wie Richard Nixon hat auch Donald Trump statt ausgewiesener Experten ein Netz von Günstlingen und Vertrauten um sich geschart. Statt Mitchell, Colson und Halderman sind es jetzt Bannon, Conway und seine Tochter, Ivanka Trump.
- Wie Richard Nixon setzt er auf einen zentralistisch-hierarchischen Führungsstil, der unter Umgehung der Ministerialbürokratie auf Berater wie Schwiegersohn Jared Kushner oder eben Steve Bannon setzt, die in seinem Namen die Politik des Weißen Hauses exekutieren sollen. Erwartungsgemäß kommt es dabei zu internen Missverständnissen, Machtkämpfen und Fehlinterpretationen, die vermutlich noch zunehmen werden.
- Wie der Westküsten-Quäker Richard Nixon misstraut auch Trump dem Ostküsten-Establishment und setzt bei der Besetzung der Regierungsposten auf Quereinsteiger und Newcomer, die ihm loyal ergeben sind.
- Wie Richard Nixon hat er es mit White House Leaks zu tun, mit peinlichen Enthüllungen aus seinem engsten Umfeld, die vermutlich das Ergebnis ungeklärter Zuständigkeiten und Eifersüchteleien sind.
- Wie Richard Nixon pflegt auch Trump ein manichäisches Freund-Feind-Denken, das in seinem Narzissmus wurzelt und sich als politische Paranoia und rasende Eifersucht äußert.
- Und wie Richard Nixon gibt er den Medien Schuld an den schlechten Nachrichten und nicht etwa seiner Politik. Als Reaktion auf die Watergate-Enthüllungen wurden seinerzeit der Chefredakteur der Post, Howard Simons, so wie 10 weitere Journalisten von der Post, der New York Times, der Washington Star News und des Nachrichtenmagazins Time zwangsweise vorgeladen. Sie sollten auf Wunsch der Staatsanwaltschaft vor Gericht die Namen ihrer Informanten preisgeben – ohne Erfolg. „Es ist an der Zeit“, so verkündete Nixon, „dass gute, anständige Bürger sich nicht länger niederwalzen lassen von irgend jemandem, der sich als selbstgerechter Moralrichter unserer Gesellschaft aufspielt.“ Große Worte, die einem bekannt vorkommen. Sie haben Nixon letztendlich nichts genützt.
Überrumpelungstaktik als Idee
Es bleibt abzuwarten, ob Trump wie Richard Nixon versuchen wird, dem ständig wachsenden Teil der Öffentlichkeit, der über seine Präsidentschaft erschrocken ist, mit anderen als rechtsstaatlichen Mitteln zu begegnen. Seine ersten Tage im Amt waren ein Parforceritt, eine unablässige Folge von Maßnahmen und Dekreten, die bei seinen Gegnern zu einer Schockstarre führten und als Überrumpelungstaktik eine Idee seines engsten Beraters Steve Bannon zu sein scheinen: der Versuch, mit einer Art kalten Coup d’Etat Fakten zu schaffen, die schwer zurückzudrehen sein werden. Doch das ist Politik – damit muss man sich abfinden.
Ernster muss man seinen Umgang mit der Presse nehmen. Wer ihre Arbeit beschränken will, tut das nicht ohne Grund – so wie Erdogan in der Türkei. Er will sich immunisieren für den Fall, dass nur die Presse den offenen Rechtsbruch und den Missbrauch der Macht aufdeckt. Wie bei Watergate! 1973 hat die Öffentlichkeit dafür gesorgt, dass Nixon aus dem Amt gejagt wurde. Wie wird es in den nächsten vier Jahren sein? Kommt es zu einem zweiten Impeachment in der Geschichte der USA oder hat Trump aus Watergate gelernt? Wer in den USA die Presse gegen sich aufbringt, wie es Trump gerade tut, hat keine leichte Amtszeit vor sich. Jetzt kommen erst einmal die Oscars! Die „Unbestechlichen“ sind garantiert ein Thema.
Der Text erschien auch bei Prinzessinnenreporter