Deutsche Feministinnen sind schnell dabei, schmierige Anmachen als Missbrauch zu skandalisieren, die Missbrauchsvorwürfe gegen Tariq Ramadan werden hingegen seit Wochen beschwiegen. Warum eigentlich?

Egal, ob als Serienkiller im Thriller „Sieben“ oder als piefiger, von der Midlife Crisis geplagter Familienvater in „American Beauty“: Kevin Spacey zählt zweifelsohne zu den Ausnahmetalenten in Hollywood. Zuletzt sorgte er jedoch nicht so sehr mit seinem schauspielerischen Können, sondern mit seinem Privatleben für Schlagzeilen. Er habe sich mehrfach an anderen Männern vergriffen, hieß es. Wegen der Belästigungsvorwürfe hat der Streamingdienst Netflix inzwischen die Zusammenarbeit mit Spacey aufgekündigt und die Dreharbeiten zur sechsten Staffel der Erfolgsserie „House of Cards“ gestoppt. Starregisseur Ridley Scott ging noch einen Schritt weiter und schnitt Spacey aus seinem jüngsten Film heraus.

Scheinheilig und Verlogen

Doch die Vorwürfe gegen Kevin Spacey wirken scheinheilig angesichts des sexistischen Normalzustandes in Hollywood. Man wird deshalb auch den Eindruck nicht los, dass es sich um absteigende D-Promis handelt, die jetzt behaupten, von Spacey vor 30 Jahren auf einer Party belästigt worden zu sein. Für ein letztes Stück Aufmerksamkeit bereit sein, Existenzen zu zerstören? Das ist moralisch so kaputt, dass man am liebsten wegsehen möchte.

Für viele Schauspielerinnen ist #metoo mittlerweile so schick wie eine Prada-Handtasche. Dabei haben sie die ganze Zeit aus Opportunismus darüber geschwiegen, wie sie selbst und andere bedrängt und sexuell belästigt wurden. Wahrscheinlich würden nur die wenigsten aus moralischer Überzeugung eine Rolle ablehnen. Jetzt in der Öffentlichkeit einen solchen Idealismus zu propagieren, wirkt verlogen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich hat Spacey seine Machtposition als Hollywood-Star am Set ausgenutzt, um junge Männer zu erniedrigen. Das ist nicht ehrenvoll, das gehört sich nicht. Er hat aber weder Gewalt angewandt, noch hat einer der Betroffenen Anzeige erstattet.

Trotzdem wird Spacey nun aus der Filmwelt verbannt, seine Szenen aus einem fertigproduzierten Film herausgeschnitten. Angesichts des biederen Hollywood-Publikums ist diese Reaktion auch verständlich. Ein sexgeiler Schwuler hat nichts auf roten Teppichen und Filmpremieren verloren – er ist „Kassengift“ und muss verschwinden.

Europa, du hast’s nicht besser

Doch genug von Amerika – werfen wir einen Blick auf die andere Seite des Ozeans. Obwohl sich deutsche Feministinnen gerne als queere Außenseiter inszenieren, haben wenige von ihnen Probleme mit der Hollywood’schen Bigotterie. Ganz im Gegenteil, wenn es darum geht, einen Beweis für sexistische Machtstrukturen zu finden, werden selbst die Progressivsten unter ihnen plötzlich zu verklemmten Spießbürgern. Geschichten von schmierigen Anmachen werden dann zum „sexueller Missbrauch“ skandalisiert. Dabei wird jede Kritik an der Debatte reflexhaft zur Täter-Opfer-Umkehr umgedeutet oder als „Redeweisen der Reaktionären“ ins argumentative Aus befördert.

Währenddessen geschieht im Nachbarland Frankreich Folgendes: Der Schweizer Islamologe Tariq Ramadan wird von zwei Frauen im Zuge der französischen Twitter-Aktion #denoncetonporc wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt. Eine Ex-Salafistin und eine gehbehinderte Frau werfen ihm Vergewaltigung, schwere Körperverletzung und Morddrohungen vor.

Auf den ersten Blick wirkt der gebürtige Schweizer Ramadan wie die Blaupause eines modernen, moderaten Muslims: Der Star-Theologe verurteilt in französischen Talkshows den Rassismus gegenüber Muslimen und setzt sich für einen säkularisierten Islam ein. Seit 2006 besetzt er eine Professur in Oxford; er berät Einrichtungen der EU und wurde 2014 vom britischen Außenministerium zum Berater für Religions- und Glaubensfreiheit ernannt.

Ein Freund der Extremisten

Doch der Schein trügt. Als die Missbrauchsvorwürfe jüngst publik wurden, zeigte sich schnell, in welchen Kreisen Ramadan verkehrt. Die Vergewaltigungsvorwürfe seien eine „zionistische Verschwörung“, um seinen Namen zu beschmutzen, empörten sich seine Unterstützer. Und auch Ramadan selbst hat in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass ihm extremistisches und antisemitisches Gedankengut nicht fremd ist. Die Hamas wollte er von der europäischen Liste der Terrororganisationen gestrichen sehen; den israelischen Geheimdienst beschuldigte er 2014, das Attentat auf ein jüdisches Museum in Belgien selbst verübt zu haben.

Doch damit nicht genug. Als sein Bruder, der Imam Hani Ramadan, Steinigungen bei Ehebruch in islamischen Ländern als legitime Praxis verteidigte, wollte sich der Oxford-Professor nicht distanzieren. Stattdessen rät er Frauen zur Verschleierung und sexueller Enthaltsamkeit, warnt vor Homosexualität und befürwortet Genitalverstümmelungen.

Wenn man den Frauen zuhört, die jetzt auf der Klägerbank sitzen, bekommt man Gänsehaut. Die 42-Jährige mit dem Pseudonym „Christelle“ erzählte, wie sich Ramadan mit der Französin in seiner Hotellobby verabredete, um mit ihr über religiöse Fragen zu diskutieren. Daraufhin forderte er die gehbehinderte Konvertitin auf, mit auf sein Hotelzimmer zu kommen, weil sie der „Maghrebiner von der Hotellobby schon die ganze Zeit anstarren“ würde. Im Hotelzimmer habe er dann ihre Krücken zu Boden geschlagen, sie vergewaltigt und gedemütigt, und sie anschließend an den Haaren durch das Zimmer geschleift. Ähnliche Abscheulichkeiten schildert auch Henda Ayari, die vor kurzem ein Buch darüber veröffentlichte, wie sie sich aus den Fängen des extremistischen Islam befreit hat.

Beredtes Schweigen

Und wie haben die deutsche Feministinnen auf die Frauenverachtung des Herrn Ramadan reagiert? Gar nicht. Außer der Emma hat kein feministisches Medium über Tariq Ramadans Taten berichtet nicht das „Missy Magazin“, nicht die „Edition F“ und auch nicht das „Libertine Mag“. Auch der Aufschrei, der bei weniger frauenfeindlichen Vorfällen ansonsten die Medien dominiert, blieb einfach aus. Er blieb aus, als Tariq Ramadan Christelle und Henda Ayari  eine „Verleumdungskampagne“  vorwarf.

Und er blieb auch dann aus, als sich der Leiter des „Middle East Centers“ in Oxford weigerte, Ramadan wegen der schweren Vorwürfe zu beurlauben. „Manche Studenten sehen hinter diesem Vorfall nur einen weiteren Versuch der Europäer, einen muslimischen Intellektuellen fertigzumachen“, sagte der Leiter Eugene Rogan kurz nach den Enthüllungen. „Wir müssen muslimische Studenten, die an ihn glauben und ihm vertrauen, beschützen“, meinte er weiter. Erst nach massiven Protest von Studierenden wurde der Schweizer nun vor ein paar Tagen beurlaubt. Ausgerechnet eine Uni, an der gefordert wird, dass man die Personalpronomen „he“ und „she“ durch ein geschlechtsneutrales „ze“ ersetzt, weil sich Transsexuelle sonst verletzt fühlen könnten, wird zum Apologeten eines brutalen Vergewaltigers.

Und den deutschen Feministen fällt zu alldem nichts ein.