Mit großem Tamtam sagt die EU-Kommission einem imaginierten Problem den Kampf an: Müllbergen aus Plastik. Die gibt es zwar, allerdings nicht dort, wo das nun geplante Verbot von Q-Tips, Plastikgeschirr und Strohhalmen einen Einfluss hätte.

Die europäische Hütte brennt: Die Briten wollen nicht mehr mitmachen, Italien ist soeben an der Bildung einer Anti-EU-Regierung vorbeigeschrammt, deren Mitglieder schon mal laut über den Austritt aus dem Euroraum oder sogar gleich aus der ganzen EU nachdenken, und an der griechisch-türkischen Grenze entsteht eine neue Flüchtlingsroute.

Da will die Kommission offenbar die Ärmel hochkrempeln und Handlungsfähigkeit beweisen, indem sie einem etwas leichter zugänglichen Problem den Kampf ansagt: Plastikmüll. Geschirr und Besteck aus Plastik, Strohhalme und Q-Tips sollen nun verboten werden – wegen der Umwelt. „Plastik ist das neue Umweltproblem, auf den Weltmeeren ebenso wie in unseren Städten; über die Weltmeere gelangt es in die Nahrungskette, so nehmen wir täglich kleinste Plastikpartikel zu uns“, warnt der plötzlich zum Umweltexperten mutierte Haushaltskommissar Günther Oettinger, der sich nebenbei noch über eine geplante Plastikmüllabgabe freut, die 80 Cent pro Kilogramm Plastik in seine Kasse spülen soll.

Das klingt gut und praktisch zugleich. Die Umwelt wird geschützt, und nebenbei sammelt die EU Geld für wichtige Infrastrukturprojekte, Wissenschaftsförderung und blühende Wiesen von Cabo da Roca bis Hattuvaara. Tatsächlich aber ist es Symbolpolitik der allerdümmsten Sorte. Das beginnt schon damit, dass das durchaus reale Problem des Plastikmülls in den Weltmeeren mit europäischen Q-Tips so viel zu tun hat wie Homöopathie mit Medizin.

Denn der überwältigende Teil des Plastiks gelangt nicht über Elbe, Rhein und Weser in die Weltmeere, sondern über Jangtse, Mekong und Ganges. Um das herauszufinden, hätte Herr Oettinger gar nicht lange suchen müssen. Von seiner Heimat aus hätte ein Inlandsgespräch gereicht. Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig hat nämlich die zehn Flüsse ermittelt, die am meisten zum Plastikproblem beitragen. Es sind (in dieser Reihenfolge): Jangtse, Gelber Fluss, Hai He, Perlfluss, Amur, Mekong, Indus, Ganges, Niger und Nil. Was auffällt: Acht dieser Flüsse liegen in Asien, zwei in Afrika und kein einziger innerhalb der EU.

Null Effekt

Oettinger kritisiert, dass gerade Deutschland zu viel Plastikmüll produziere. Die Deutschen sind zwar Recycling-Weltmeister, die Müllmenge der europäischen Vorzeigeumweltbewahrer hat aber zugenommen. Nur: Ist das wirklich ein ökologisches Problem? Mülldeponien mit Plastikbergen, die Grundwasser und Umwelt belasten, gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr. Was nicht recycelt wird, kommt in die Verbrennungsanlage. Und auch die Zeiten, in denen solche Anlagen die Luft verpesteten, sind lange vorbei. „Eine IFEU-Studie kommt sogar zu dem Schluss, dass die Anlagen der Luft Giftstoffe ‚entziehen‘: Würde man die entsprechende Menge Strom und Wärme in herkömmlichen Kohlekraftwerken erzeugen, belasteten zusätzliche drei Tonnen Arsen, Cadmium und andere Schwermetalle die Atmosphäre. Auch bei der Kohlendioxidbilanz sind Müllverbrennungsanlagen besser als ihr Ruf: Beim Verbrennen einer Tonne Restmüll fällt zwar rund eine Tonne Kohlendioxid an. Davon ist aber etwa die Hälfte als klimaneutral zu verbuchen, weil das Treibhausgas aus organischen Rückständen in der Restmülltonne stammt.“ Das schreibt nicht etwa der Verband der rücksichtlosen Umweltverseucher (VRU), sondern das Greenpeace-Magazin.

Durch das Verbot von Strohhalmen und Q-Tips in Europa werden die Plastikpartikel im Essen von Herr Oettinger, vor denen er sich so gruselt, nicht weniger. Die EU schleudert mit großem Tamtam einen Speer, der nach Frankreich, Griechenland, Rumänien und Finnland fliegt. Derweil schlängelt sich der zu erschlagene Plastik-Lindwurm davon unberührt fröhlich durch China, Indien und Vietnam.

Der Vorstoß ist reine Symbolpolitik, die nichts an dem adressierten Problem ändert. Zugleich ist sie aber alles andere als folgenlos. Denn das Verbot praktischer Alltagsgegenstände wie Strohhalme oder Einweggeschirr werden Millionen von EU-Bürgern direkt zu spüren bekommen – beim Picknick, beim Grillausflug, beim Besuch von Schnellrestaurants und Imbissbuden mit kleinen, sich beim Trinken zu gern bekleckernden Kindern. Kurzum: Es nervt! Null Effekt bei gleichzeitig maximalem Frustrationspotenzial – wenn es die Absicht der Kommission ist, die EU noch unbeliebter zu machen, wird sie offenbar gut beraten.