Vor fünf Jahren entstand der weltweit erste Fleischklops aus der Retorte. Der war weder „vegan“, noch war er ressourcenschonend. Und wie weiter?

Prognosen haben die blöde Eigenart, dass sie meist nur die Gegenwart in die Zukunft projizieren. Immer wieder schön ist die Geschichte, nach der im Jahr 1850 New Yorker Stadtplaner Alarm schlugen: Wenn der Kutschverkehr weiter wie bisher anwachse, werde die Stadt im Jahr 1910 in Pferdemist versinken. Die Zukunft hatte ihren eigenen Kopf und brachte bekanntlich das Automobil hervor, während sich das omnipräsente Pferd nach einer Anschlussverwendung umsehen musste. Heute steht es im Stall eines Nebenerwerbs-Landwirts und dient dem Großstadtmenschen als Sportgerät und Seelentröster. So koexistieren friedlich: Das Pferd, sein Mist, die Stadt und das Land.

Groß ist das Raunen, wenn es um die Zukunft des globalen Fleischkonsums geht. Bislang galt: Je wohlhabender Menschen werden, desto mehr Fleisch essen sie. Einer immer größeren Nachfrage stehen begrenzt Weideland, Wasser und Anbauflächen für Tierfutter gegenüber. Was heißt das für die Zukunft? „Tödliche Konkurrenz um Ressourcen und Methangas-Overkill“, sagen die Apokalyptiker. „Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen und alle Vegetarier, besser noch Veganer werden“, folgern sie. Noch sieht es nicht danach aus, dass wir Wohlhabenden verzichten. 8,25 Millionen Tonnen Fleisch produzierte Deutschland im Jahr 2016, ganz überwiegend für den Eigenbedarf und für den europäischen Markt – so viel wie nie zuvor.

Der Wettlauf ums Retortenfleisch

Natürlich hätten wir ein großes Problem, wenn im Jahr 2050 jeder Inder und Chinese die gleiche Menge Fleisch äße wie ein Deutscher im Jahr 2016, nämlich gut 60 Kilo pro Kopf. Aber wer sagt, dass Fleisch in Zukunft noch vom toten Tier stammt? Der Wettlauf um bezahlbares Retortenfleisch ist in vollem Gang, seit der niederländische Physiologe Mark Post im Jahr 2013 den ersten Burger aus dem Labor präsentierte. Der war mit Produktionskosten in Höhe von 300.000 Dollar für den Endverbraucher noch ein wenig teuer. Doch das waren die ersten Großrechner auch.

Mit seiner Firma Mosameet steht Post nun in den Startlöchern für den Massenmarkt. Bald werde sein Kunstfleisch zu erschwinglichen Preisen erhältlich sein, ließ er wissen. Die von ihm entwickelte Technologie hat sich nicht wesentlich verändert: Zellen vom Tier, mittels Biopsie gewonnen, wachsen in einer Nährlösung zu großen Gewebestücken heran, bis sie in Aussehen, Geschmack und Konsistenz natürlichem Muskelfleisch nahe kommen. Für ihr Wachstum benötigen sie einen Cocktail aus Nährstoffen, Hormonen und anderen Wirkfaktoren. Diesen Saft wiederum liefert ein fötales Serum aus dem Blut ungeborener Kälber.

Rinderföten als Marketingkiller

Was ist der Sinn von Retortenfleisch, wenn es sich nur mit einem Serum von Rinderföten produzieren lässt? 50 Liter davon werden benötigt, um einen einzigen Fleischklops herzustellen, verriet Post dem Technologie-Magazin Wired. „Fleisch aus Zellkulturen wird nur dann akzeptiert, wenn es gelingt, ‚tierfreie‘ Seren zu entwickeln. Ohne sie ist eine Massenproduktion undenkbar“, schreibt der Branchendienst Transgen, lässt seine Leser aber nicht ohne Hoffnungsschimmer.

Das Zauberwort heißt „Clean Meat“. Ausgangsstoff ist auch dabei die vom Tier gewonnene Zelle. Im Labor sollen alternative Wirkstoffe aus Pflanzen, Algen oder Pilzen die Teilung der Muskelzellen anregen. Ermutigende Versuche gibt es, allerdings ist die natürliche Konzentration der Wirkstoffe zu gering. Mittels Gentechnik und synthetischer Biologie könnte es gelingen, effektive und tierfreie Nährlösungen zu produzieren. Das Ergebnis wäre ein Fleisch neuen Typs: Hoch artifiziell, dafür ohne Methangas-Emission, Tierleid, Schlachthaus und Tod.

Der Makel des Künstlichen

Eine Prognose, ob die Zukunft dem Kunstfleisch gehört, wage ich erst, wenn ich davon kosten konnte. Gesetzt den Fall, es schmeckt und liefert ein fleischiges Mundgefühl, sind mehrere Varianten denkbar. Erstens: Das cleane Fleisch wird bezahlbar, setzt sich in den Industrieländern durch und gehört in nicht allzu ferner Zeit zum guten Ton bei Tisch. Dann bliebe es der ärmeren Welt überlassen, totes Tier zu essen, „Echtfleisch“ gälte als ekliges Relikt einer rückständigen Welt.

In einem anderen Szenario haftet dem Kunstfleisch der Makel des Artifiziellen an, weil es auf Gentechnik basiert. Gelingt es, die Produktionskosten drastisch zu senken, könnte es als Proteinquelle für arme Länder attraktiv werden. Die erste Welt äße weiterhin „authentisches“ Fleisch, natürlich immer mehr Bio und unter wachsendem Verbrauch natürlicher Ressourcen, während weniger wohlhabende Menschen zum Kunstprodukt greifen. Interessant wäre die Frage, wie die aufstrebenden Volkswirtschaften auf Laborfleisch reagieren: Gäbe es große kulturelle Unterschiede? Würde ein Hindu beispielsweise Rind aus der Retorte essen? Und ist Clean Meet automatisch halal bzw. koscher?

Start-ups in den USA und Israel gelten beim Kunstfleisch übrigens als führend, Investoren wie Bill Gates, Sergey Brin und Richard Branson sollen laut Transgen schon vor einigen Jahren im großen Stil eingestiegen sein. Sogar die deutsche PHW-Gruppe mit der Hauptmarke „Wiesenhof“ tummele sich in der Post-Fleisch-Szene und habe sich gerade beim israelischen Unternehmen Supermeat eingekauft. Mit ein bisschen Zukunftsoptimismus hängt der Himmel des Fleischliebhabers vielleicht bald voller Steaks und Buletten, ohne dass dafür eine einzige Kuh gefressen, getrunken oder auch nur gepupst hätte.

 

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In ihrer Kolumne „Essen mit Ellen“ setzt sich Ellen Daniel mit kulinarischen Spezialitäten auseinander – und den kulturellen Hintergründen. Sämtliche bisher erschienene „Essen mit Ellen“-Beiträge finden sich hier.